Griechenland nach der Wahl: Zementierte Verhältnisse

Die rechtskonservative Regierungspartei und die extreme Rechte sind die Gewinner der Parlamentswahl in Griechenland

Von John Malamatinas, Athen, 26.6.2023 – nd

Mitsotakis und Hiernonymus II. in bestem Einvernehmen

»Zum zweiten Mal in Folge ist ganz Griechenland blau.« Mit diesem Satz leitete Kyriakos Mitsotakis am Sonntagabend in Athen seine Siegesrede ein. »Die Nea Dimokratia ist heute die stärkste Mitte-Rechts-Partei in Europa. Wir haben genau die gleiche Anzahl von Abgeordneten wie 2019, aber der Unterschied zu unserem Hauptkonkurrenten beträgt 24 Punkte, während er damals 8 Punkte betrug.« Mit dem Erdrutschsieg scheinen die Wähler über die Verstrickung der ND-Regierung in eine Reihe von Skandalen hinwegzusehen und ihr das Versprechen von »anhaltender wirtschaftlicher Stabilität und Wohlstand« abzunehmen.

Bei der vorangegangenen Wahl am 21. Mai, die ohne Bonussitze durchgeführt wurde, fehlten der ND fünf Sitze zu einer absoluten Parlamentsmehrheit. Das Nichtzustandekommen einer Regierungskoalition hatte die erneute Wahl erforderlich gemacht. Die Wahlbeteiligung ist mit 52,83 Prozent im Vergleich zu der Wahl im Mai (61,10 Prozent) stark gesunken. Acht Parteien werden nun in das Parlament einziehen, im Mai hatten sich fünf qualifiziert.

Bei der zweiten Wahl vergrößerte sich der Abstand zwischen ND und Syriza geringfügig. Die Linkspartei ist damit noch einmal der große Verlierer. Die ND erreichte 40,55 Prozent und 158 Sitze, während Syriza lediglich auf 17,84 Prozent und 48 Sitze im 300 Abgeordnete zählenden Hellenischen Parlament kam. Die sozialdemokratische Pasok schaffte 11,85 Prozent und 32 Sitze. Es folgen die kommunistische KKE mit 7,69 Prozent (20 Sitze) und die drei extrem rechten Parteien Spartaner mit 4,64 Prozent (12 Sitze), Griechische Lösung (4,44 Prozent,12 Sitze) und Niki mit 3,69 Prozent (10 Sitze). Die Partei Kurs der Freiheit der ehemaligen Syriza-Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou errang 8 Sitze (3,17 Prozent), während die ebenfalls linke Partei von Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis Mera 25 erneut unter der 3-Prozent-Hürde blieb. (…)

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Zurück zur Oligarchie

Griechenland: Rechter Premier Mitsotakis siegt bei Wahlen. Linke verliert Hochburgen, Faschisten gestärkt

Von Hansgeorg Hermann, Chania, 27.6.2023 junge Welt

»Kyriaarchia«: Die Schlagzeilen verkünden weitere vier Jahre unter dem rechten Premier Kyriakos Mitsotakis (Athen, 26.6.2023)

Gleich drei Parteien mit faschistischem Hintergrund haben am vergangenen Sonntag den Einzug ins griechische Parlament geschafft. Der Wahlsieger heißt allerdings Kyriakos Mitsotakis, der nach seinem Erfolg vor vier Jahren und dem ersten Wahldurchgang am 21. Mai mit 40,5 Prozent der Stimmen die linke Formation Syriza (Koalition der radikalen Linken) des Herausforderers Alexis Tsipras um mehr als 20 Prozentpunkte hinter sich ließ. Mit nur noch 17,9 Prozent unterbot der nun schwer angeschlagene Oppositionsführer sein Ergebnis vom Juli 2019 um fast zwölf Prozentpunkte. In der Partei wurden zum ersten Mal Stimmen laut, die eine »Erneuerung« Syrizas forderten. Die lautstärkste Oppositionsgruppe werden in den kommenden Jahren die nationalistisch-faschistischen Parteien Elliniki Lysi (»Griechische Lösung«, EL) mit 4,6 Prozent, Spartiates (Spartaner) mit 4,7 und Niki (Sieg) mit 3,6 Prozent der Wählerstimmen stellen. Mit 47 Prozent erreichte die Wahlenthaltung Rekordhöhe.

Mitsotakis’ Partei Nea Dimokratia (ND) gewann wie schon im Mai mit einer Ausnahme (Rhodopen) in allen Wahlbezirken. Die Linke verlor alle ehemaligen Hochburgen wie etwa auf Kreta (Heraklion) oder rund um die Hafenstadt Piräus. (…)

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Kostis, Kyriakos, Kostas, Kyriakos

Europas einzige Erbdemokratie: Der Mitsotakis-Clan

Von Ferry Batzhoglou, 26.6.2023 – TAZ

ATHEN taz | Kyriakos Mitsotakis, der alte und seit der Wahl am Sonntag neue griechische Regierungschef, ist Spross einer alten Politdynastie. Sein Urgroßvater Konstantinos, der „Gero-Kosti“ (der „alte Kostis“), ist der Gründer des Mitsotakis-Clans. 1845 auf dem Peloponnes als Kind kretischer Eltern geboren, die vor Verfolgung auf Kreta geflüchtet waren, zog Kostis Mitsotakis 1872 nach Chania auf Kreta und gründete die „Partei der Barfüßigen“, wie sie seine politischen Gegner abschätzig nannten.

Eine grobe Unterschätzung: Denn Kostis Mitsotakis war Förderer und enger Vertrauter des jüngeren Eleftherios Venizelos, der von 1910 bis 1933 mit Unterbrechungen gleich sieben Mal Griechenland regierte. Kostis Mitsotakis heiratete auch Venizelos’ Schwester Katigo.

Das war der Grundstein für die Etablierung des Mitsotakis-Clans in der griechischen Politik. Der Enkelsohn des Dynastiegründers, also der Vater des jetzigen Regierungschefs Kyriakos, der nach alter Tradition den Vornamen seines Großvaters erhielt, prägte nach dem Zweiten Weltkrieg fast fünfzig Jahre lang die Politik in Griechenland, von 1990 bis 1993 als Regierungschef. Kyriakos’ Großvater, der selbstredend auch Kyriakos hieß und so sein Namensgeber war, war Abgeordneter.

In der Athener Politik bleibt die oikogeniokratia (Familienherrschaft) gut 200 Jahre nach der Befreiung vom osmanischen Joch und mehr als vierzig Jahre nach Griechenlands Beitritt zur EU so fest verankert wie die Vetternwirtschaft und der Klientelismus. Ob Weltkriege, regionale Kriege, ein Bürgerkrieg oder Staatspleiten: In Griechenland ist die oikogeniokratia nicht auszurotten. (…)

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Erstarken des rechten Randes

Die konservative Nea Demokratia hat die Parlamentswahlen gewonnen – trotz Stimmenverlusten. Aber der Preis dafür ist hoch.

Von Pascal Beucker, 26.6.2023 – TAZ

Foto: Pascal Beucker

Griechenland rückt nach rechts. Das ist das zentrale Ergebnis der Parlamentswahl vom Sonntag. Das macht sich weniger fest an dem erwarteten Wahlsieg des Konservativen Kyriakos Mitsotakis. Denn der von ihm erhoffte Erdrutschsieg ist ausgeblieben. Seine Nea Demokratia verzeichnete sogar einen leichten Stimmenrückgang. Aber dafür wurde der rechte Rand massiv gestärkt.

Das Kalkül von Mitsotakis ist zwar aufgegangen, sich nach der Wahl im Mai jeglichen Koalitionsverhandlungen zu verweigern und stattdessen auf umgehende Neuwahlen zu setzen. Dank des von ihm wieder eingeführten „verstärkten Verhältniswahlrechts“, bei dem – demokratietheoretisch höchst fragwürdig – der stärksten Partei zusätzliche Mandate geschenkt werden, kann sich die Nea Demokratia jetzt mit weniger als 41 Prozent der Stimmen über die absolute Mehrheit der Sitze im Vouli, dem griechischen Parlament, freuen. Aber der Preis, den dieses fragwürdige Manöver die griechische Demokratie kostet, ist hoch.

Neben der bisher schon im Parlament vertretenen rechtspopulistischen Elliniki Lysi (Griechische Lösung) haben auch erstmalig die ultranationalistische und ultrareligiöse Niki (Der Sieg) und die Spartaner, die als eine Nachfolgepartei der 2020 verbotenen Neonazipartei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) gesehen werden müssen, deutlich den Sprung über die Dreiprozenthürde geschafft. Zusammen kommen sie auf fast 13 Prozent. Seit dem Ende des Obristenregimes waren Rechtsaußenparteien noch nie so stark im Parlament vertreten.

Die Wahl vom Sonntag ist ein Einschnitt. Nur bei der ersten Wahl nach der Diktatur 1974 wählten die Griechinnen und Griechen mehrheitlich rechts der Mitte. Seitdem gab es stets eine Stimmenmehrheit für Parteien links der Mitte, auch wenn sich das aufgrund der Anzahl der sich als links verstehenden Parteien und des „verstärkten Verhältniswahlrechts“ nicht immer in entsprechenden Parlamentsmehrheiten widerspiegelte. Das hat sich jetzt geändert. (…)

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Solidarität mit Vio.Me – Aufruf für eine Spendenkampagne

Die Kampagne wurde am 19.7.2023 beendet – Spendenergebnis: 2495,- €

Ein süddeutscher Chemieunternehmer hat seine kleine Fabrik geschlossen und Vio.Me die Übernahme eines Teils seiner Anlagen, Geräte und Maschinen als Geschenk angeboten. Das sind u.a. Laborgeräte wie Trocken- und Kühlschränke, Magnetrührer etc., Betriebsgeräte wie Fassheizer, Rührkessel, mehrere Wannen, Wasserenthärter etc.

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Rechts, rechter, Mitsotakis

Griechischer Regierungschef kann mit Erdrutschsieg rechnen. Umfragen sehen ihn 25 Punkte vor Herausforderer Tsipras

Von Hansgeorg Hermann, 24.6.2023 – junge Welt

Die Zukunft der griechischen Linken scheint düster. Sämtliche Umfragen zu den Parlamentswahlen am Sonntag sagen einen klaren Sieg der bürgerlichen Rechten mit ihrem derzeit geschäftsführenden Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis voraus. Der Vollstrecker einer autoritären und restriktiven EU-Migrationspolitik ist in den zurückliegenden vier Regierungsjahren zum Liebling des transatlantischen Finanzkapitals aufgestiegen und könnte offenbar mit bis zu 25 Prozentpunkten vor seinem Herausforderer und Vorgänger im Amt, Alexis Tsipras, landen, dem Anführer der Koalition der radikalen Linken ­(Syriza). So bahnt sich eine Epoche rechter Herrschaft in Athen an, die an deutsche Verhältnisse unter Helmut Kohl oder Angela Merkel erinnert.

Im Aufwind scheinen auch kleinere faschistoide, nationalistische Bewegungen zu sein, wie die Elliniki Lysi (Griechische Lösung), die mit bis zu fünf Prozent wohl locker die in der Verfassung festgeschriebene Dreiprozenthürde passieren wird, oder die Niki (Sieg), der zur Zeit bis zu 4,4 Prozent prognostiziert werden. Mit ihren aktuell vorhergesagten 43,5 Prozent würde Mitsotakis’ Partei Nea Dimokratia (ND) um die 170 Sitze und damit ungefährdet die absolute Mehrheit in der 300 Abgeordnete versammelnden Bouli, dem griechischen Parlament, erreichen. Weit dahinter käme Tsipras, der mit 17 bis 18 Prozent das Ergebnis der Syriza vom Juli 2019 halbieren würde. Nicht besser dürfte es der Partei seines ehemaligen Finanzministers Giannis Varoufakis gehen, dessen Partei des Ungehorsams (MERA 25) mit derzeit 1,7 bis 2,5 Prozent um den Einzug ins Parlament und somit um die Existenz bangen muss. Zwischen den Fronten wiederauferstanden ist die sozialdemokratische Formation Pasok (Panhellenische sozialistische Bewegung), deren laue Oppositionspolitik sie immerhin zurück auf ein womöglich zweistelliges Ergebnis von zehn bis 13 Prozent führen könnte. (…)

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»Hoffnungslosigkeit – das hat Tsipras geschafft«

Über den Zustand der griechischen Linken und die Folgen der Regierungszeit unter Syriza. Ein Gespräch mit Stathis Kouvelakis

Interview: Hansgeorg Hermann, 24.6.2023 – junge Welt

Ausgabe von Essen in einer Suppenküche in Athen (20.1.2015)

Sie verließen 2015 als Mitglied des Zentralkomitees die »Koalition der radikalen Linken«, griechisch »Synaspismos Rizospastikis Aristeras« (Syriza). Am 25. Januar hatte Syriza die Wahlen zum griechischen Parlament gewonnen, die griechische Linke – im politischen Spektrum Griechenlands gilt die sozialdemokratische Pasok nicht als »links« – stellte zum ersten Mal in der Geschichte des Landes den Ministerpräsidenten, Alexis Tsipras, und eine Koalitionsregierung mit der rechtsnationalen Partei der »unabhängigen Griechen« (Anexartiki Ellines, Anel) als Koalitionspartner. Knapp sechs Monate später war es mit der Einheit der Gewinner vorbei, was war passiert?

Die Syriza hatte seit 2012 insgesamt elf Bewegungen zusammengefasst, sechs davon als hauptsächliche Träger der Koalition. Es handelte sich um teilweise sehr unterschiedliche Gruppen und Gruppierungen, die verschiedene Vorstellungen davon hatten, wohin eine linke Regierung das Land führen sollte. Es ging zum Beispiel um die Antwort auf die Frage, ob Griechenland den Euro als Währung abschaffen, aus der Euro-Zone austreten sollte, ob wir die von rechten und sozialdemokratischen Regierungen angehäuften Schulden bezahlen oder die Begleichung dieser Schulden verweigern sollten – wie das andere Länder vor uns getan hatten.

Was war Ihre persönliche Position?

Ich gehörte zu einer der bedeutenden Bewegungen, der Linken Plattform, deren Thesen und Programm marxistisch geprägt waren. Uns war klar, dass unsere Vorstellungen in der Euro-Zone, im Euro, nicht realisiert werden konnten. Eine echte politische Wende war in diesem Rahmen nicht möglich. Tsipras’ Position war diffus und in der Minderheit. Er hat es allerdings geschafft, das ist in der Tat auch heute noch seine Stärke, seine Gegner auseinanderzudividieren.

Tsipras wurde im Januar 2015 gewählt, das war ein Ereignis für die gesamte europäische Linke, sah man einmal von Pessimisten wie Ihrem Landsmann Mikis Theodorakis ab, der Tsipras von Beginn an für einen »Verräter« hielt …

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