Feuer, Hitze und Hetze

Rechte Hetzkampagne in Griechenland: Migranten seien schuld an den verheerenden Waldbränden. 18 Geflüchtete waren am Dienstag verbrannt.

Von Ferry Batzoglou, 23.8.2023 – Taz

A forest on fire in the village of Dikela, near Alexandroupolis town, in the northeastern Evros region, Greece, Tuesday, Aug. 22, 2023. Firefighters scouring the area of a major wildfire in northeastern Greece have found the bodies of over 10 people thought to have been migrants who entered the country from Turkey. (AP Photo/Achilleas Chiras)

ATHEN taz | Ihr Anblick war erschreckend. Pavlos Pavlidis, Gerichtsmediziner, untersuchte die 18 verkohlten menschlichen Überreste just an jener Stelle, wo sie am Dienstag gefunden worden waren: im Naturwald von Dadia in der Region Evros im äußersten Nordosten von Griechenland, an der Festlandsgrenze zur Türkei.

Die Leichen, alles Männer, darunter zwei Minderjährige, waren Geflüchtete. Sie befanden sich auf dem Weg von der Grenze ins Landesinnere von Griechenland, bis sie im Dadiawald, einer Durchgangsstation für viele Flüchtlinge und Migranten, einen grausamen Tod starben. Die Schutzsuchenden hatten sich in einer Hütte im Wald versteckt, um nicht der Polizei in die Hände zu fallen. Doch dann erfasste sie die gewaltige Feuerwalze.

In ihrer Wut und Verzweiflung betreiben die Griechen derweil eine wilde Blüten treibende Ursachenforschung. Geradezu menschenverachtend sind mehr oder minder direkte Andeutungen von Politikern und Kommentatoren, wonach ausgerechnet über die Türkei nach Hellas gelangte Flüchtlinge und Migranten die Waldbrände legen würden. Ihrem Narrativ über den Migranten als Brandstifter im Rahmen eines mutmaßlichen Hybridkrieges schenken nicht wenige Griechen Glauben, offen rassistische Anfeindungen und sogar Hetze gegen Flüchtlinge inklusive. (…)

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»Die antike Tragödie ist immer politisches Theater«

Über Antigone, Rosa Luxemburg, Kafka und die griechische Linke nach den Wahlen. Ein Gespräch mit dem Regisseur Savvas Stroumpos

Interview: Sabine Fuchs, 12.8.2023 – junge Welt

»Was Aischylos betrifft, warnte er mit den ›Persern‹ seine Mitbürger davor, sich wie ihre schlimmsten Feinde zu benehmen« (Inszenierung von Simeio Miden, 2022)

Herr Stroumpos, Sie und Ihre Gruppe Simeio Miden, »Nullpunkt«, werden in Kürze erstmals im deutschsprachigen Raum zu Gast sein, beim »Welttheaterfestival Art Carnuntum« unweit von Wien. Dort präsentieren Sie zwei Inszenierungen antiker Tragödien, »Die Perser« von Aischylos und »Antigone« von Sophokles. Was hat uns die antike Tragödie heute noch zu sagen?

Die antike griechische Tragödie ist ein Genre, das in einer sehr speziellen Phase der menschlichen Kultur entstanden ist – der athenischen Demokratie. Die Widersprüche dieser Zeit – etwa hinsichtlich der Stellung der Frauen und Sklaven – sind zwar offensichtlich, und natürlich stehen wir ihnen kritisch gegenüber, gleichzeitig muss man aber sagen: Die Tragödie entstand in der Polis und bezog sich auf die Polis – auf die Stadt, das politische Gemeinwesen. Wir haben es also von vornherein mit politischem Theater zu tun. Die Tragödie versucht, die Conditio humana in existenziellen, historischen oder auf die Natur bezogenen Extremsituationen zu untersuchen, und zwar gespiegelt durch den Mythos. So zwang sie Künstler und Zuschauer dazu, sich mit jenen dunklen Seiten der menschlichen Natur auseinanderzusetzen, die eben der Ursprung des Mythos sind: mit extremen Gefühlslagen, mit Ausnahmezuständen wie Trauer, Rache, Wahn und Schmerz. Die Bühne war dabei der Ort radikaler Andersartigkeit. Die Tragödie forderte die Menschen heraus, nicht nur das politische Gemeinwesen kritisch zu betrachten, sondern auch sich selbst und die eigenen verdrängten Emotionen. Anders, so die Vorstellung, könnten sie keine dynamischen und kreativen Bürger sein. (…)

Die »Perser« werden, zumindest bei uns, meist etwas eindimensional als Antikriegsstück gelesen. Nun zeigt Aischylos zwar die Hybris, der die Perser anheimfallen, geschrieben hat er das Stück aber für die Athener. Was bedeutet das für unsere Gegenwart, individuell und politisch?

Machtgier und Krieg waren nicht mit den Perserkriegen beendet – es gibt sie nach wie vor, und heute bedrohen sie unseren ganzen Planeten. Als Individuen sind wir vielleicht nicht in der Lage, die ganze Welt zu verändern, aber wir können damit beginnen, uns selbst zu verändern. Dazu fordert uns die Tragödie auf. Was Aischylos betrifft, warnte er mit den »Persern« seine Mitbürger davor, sich wie ihre schlimmsten Feinde zu benehmen. Er betonte zwar die demokratischen Errungenschaften Athens, forderte die Athener aber gleichzeitig dazu auf, ihr arrogantes Verhalten zu ändern. Seine Warnung wurde nicht ernst genommen, und was folgte, ist bekannt: Die athenische Demokratie ging in den Peloponnesischen Kriegen unter. Ich hoffe nur, dass wir unsere Denk- und Lebensweise noch ändern können … (…)

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Holocaust in Saloniki

Entrechtet, enteignet und ermordet. Vor 80 Jahren endete die Deportation der griechischen Juden

Bis zum heutigen Tag wurde die Frage der Reparationen nicht geklärt. Obwohl von griechischer Seite immer wieder angemahnt, sind deutsche Regierungen ihren Pflichten in keiner Weise nachgekommen. (Texte auf GSKK.org)

Von Jürgen Pelzer, 12.8.2023 – junge Welt

Sadistisches, antisemitisches Spektakel auf dem »Platz der Freiheit« in Thessaloniki (Juli 1942)

Innerhalb von fünf Monaten, von Mitte März bis Mitte August 1943, wurde fast die gesamte jüdisch-sephardische Gemeinde Thessalonikis nach Auschwitz deportiert. Im April 1941 hatte die deutsche Invasion zur Kapitulation und Aufteilung Griechenlands in deutsche, italienische und bulgarische Besatzungszonen geführt. Die Deutschen behielten sich neben Athen Thessaloniki vor, das schon vor dem Krieg ins Visier des »Sonderkommandos Rosenberg« geraten war, das sogleich mit der Plünderung von Bibliotheken, Synagogen, Zeitungsredaktionen und Buchhandlungen begann, angeblich, um Material für eine Fachbibliothek zur »Judenfrage« zu sammeln. Die ökonomische Ausplünderung des Landes, namentlich die Requirierung von Lebensmitteln, führte zu hoher Inflation und einer massiven Hungersnot. Der Massenmord an den Juden wurde deshalb verzögert in Gang gesetzt, zumal sich die italienischen Bündnispartner gegen Judenverfolgungen oder gar Deportationen sperrten. Die angestrebte »Endlösung« konnte also zunächst nur in den von den Deutschen besetzten Gebieten stattfinden, und dazu gehörte Thessaloniki, die »Mutter Israels«, wie die Stadt von den jüdischen Einwohnern stolz genannt wurde. (…)

Insgesamt wurden 48.000 Juden und Jüdinnen in Viehwaggons nach Auschwitz deportiert. Die Fahrt dauerte jeweils fünf Tage. Etwa 37.000 Menschen wurden sofort nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet, weitere 8.000 bis 9.000 gingen an Zwangsarbeit, Krankheiten und Unterernährung zugrunde. Am Ende des Krieges bestand die sephardische Gemeinde Thessalonikis praktisch nur noch aus einer kleinen Gruppe von etwa 1.200 Menschen. (…)

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Waldbrände in Griechenland: Evakuieren reicht nicht

Im Nachgang der verheerenden Waldbrände auf der Insel Rhodos wächst in Griechenland die Wut auf die Regierung

Von John Malamatinas, Thessaloniki, 04.08.2023 – nd

Warum konnte das Ausmaß der Katastrophe nicht begrenzt werden, fragen sich die Menschen auf Rhodos und in ganz Griechenland (Foto: AFP/Angelos Tzortzinis)

Es ist eine Sache, den wohlverdienten Urlaub wegen der drohenden Flammen abzubrechen – aber eine ganz andere, wenn man dort lebt, wo es brennt. »Mir geht es sehr schlecht. Ich habe seit Tagen nicht geschlafen. Eines der Dörfer, wo meine Familie herkommt, ist abgebrannt. Ich erinnere mich an unsere Ausflüge in Südrhodos und daran, dass wir mit der Familie mitten auf der Straße anhielten und ich den Hirschen durch die Bäume in die Augen sah – das tut mir jetzt in der Seele weh«, sagt die junge Lehrerin Ekaterini Alevanti.

Angst, Unruhe und Ungewissheit sind einige der Gefühle, die den Zustand der Bewohner von Rhodos beschreiben, die über zehn Tage mit ansehen mussten, wie ihre Insel brannte, ohne dass der Staat ihnen half. Die Menschen beklagten einen Mangel an Feuerwehr, Infrastruktur und Grundnahrungsmitteln. Verlass war nur auf die anderen Inselbewohner, die ihre Häuser öffneten und ihre Autos zur Verfügung stellten. »Das Einzige, was mich mit Hoffnung füllt, ist, dass alle Freunde, Cousins, wirklich alle, ihre Arbeit liegen gelassen haben und jeder mit seinen Mitteln zur Beendigung der Katastrophe beigetragen hat«, betont Alevanti. (…)

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Waldbrände: Eine verheerende Saison

Kein Land in Südeuropa hat so viel verbrannte Erde zu beklagen wie Griechenland. Die Türkei auf der anderen Seite der Ägäis ist hingegen kaum betroffen.

Von Ferry Batzoglou, 4.8.2023 – TAZ

ATHEN taz | Die Tourismus-Flaggschiffe Rhodos und Korfu mitten in der Hochsaison, der agrarisch geprägte Süden der ohnehin feuergeplagten Halbinsel Euböa, eine Luftwaffenbasis in Mittelgriechenland mit sündhaft teuren Kampfjets und riesigen Munitionslagern, in denen ein Feuerinferno in diesen Tagen gewaltige Detonationen auslöste: Griechenland erlebt abermals eine verheerende Feuersaison mit einem enormen ökologischen und ökonomischen Schaden.

Von Anfang Januar bis zum 31. Juli ist bereits eine Fläche von 55.000 Hektar in ganz Griechenland verbrannt. Das hat das Europäische Waldbrandinformationssystem (European Forest Fire Information System – EFFIS) dokumentiert. Das sind bereits rund dreißig Prozent mehr verbrannte Gesamtfläche als im Ganzjahresdurchschnitt der Jahre 2006 bis 2022.

Damit liegt Griechenland in Sachen verbrannte Erde gemessen an seiner Gesamtfläche im laufenden Jahr unangefochten auf Platz eins in ganz Europa. Konkret: In Italien sind im laufenden Jahr bisher 0,18 Prozent der Gesamtfläche verbrannt, in Spanien 0,14, in Portugal 0,09 und in der Türkei 0,02 Prozent – in Griechenland sind es 0,4 Prozent.

Größere Brände als die Jahre zuvor (…)

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Landnahme des Kapitals

Verheerende Waldbrände in Griechenland Folge organisierter Brandstiftung für Profit. Wirtschaftliches Interesse gewinnt, Mensch verliert

Von Hansgeorg Hermann, Chania, 3.8.2023 – junge Welt

Zerstörte Lebensgrundlagen

»Wir sind im Feuer untergegangen«, titelte am Mittwoch die Athener Tageszeitung Efimerida ton Syntakton (Efsyn). Die vom Blatt veröffentlichte »herzzerreißende Bilanz« des heißesten Monats Juli seit Wetteraufzeichnung liest sich in der Tat wie ein Bericht aus der Apokalypse: In nicht einmal vier Wochen verbrannten auf Inseln und auf dem Festland rund 55.000 Hektar Wald und Buschlandschaft, dazu Häuser, Schulen, ganze Dörfer. Bei Löscharbeiten im Süden der Insel Euböa stürzten zwei junge Piloten – 27 und 34 Jahre alt – mit ihrer völlig veralteten Canadair 215 ab und starben in den Trümmern. Der Militärflughafen Nea Anchialos westlich der Hafen- und Universitätsstadt Volos musste in Panik geräumt werden. Die griechische Luftwaffe rettete zwar ihre dort stationierten F16-Jagdflieger des Kampfgeschwaders 111, ein Teil der in den Munitionslagern gestapelten 450 bis 900 Kilo schweren Marschflugkörper und Bomben explodierte allerdings und gefährdete die 150.000 Einwohner der nur 20 Kilometer entfernten Metropole der Pilion-Halbinsel. Der Syriza-Politiker Stefanos Tzoumakas, Kandidat für den seit Alexis Tsipras’ Rücktritt vakanten Parteivorsitz, klagte den seiner Meinung nach für die meisten Großfeuer verantwortlichen Brandstifter an: das Kapital.

»Die Landnahme des Kapitals« – schreibt auch der Hamburger Soziologe Jürgen-Michael Reimer in seinem jüngst erschienenen Essay »Der absurde Kapitalismus« – geht in diesen Tagen in den Ländern rund um das Mittelmeer über Leichen. Reimer: »Der Umweltschutz zur Erhaltung der Existenzgrundlage des Menschen hat der Markt nicht als seine Aufgabe angesehen, sondern dem Profitinteresse untergeordnet.« (…)

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Statement der EYATH-Mitarbeiter zum Ende des Kampfes gegen die Wasserprivatisierung

Wasser ist ein Element der Natur, das für unsere Existenz notwendig ist, es wird nicht privatisiert und unterliegt nicht der Logik des Profits.

Donnerstag, 27. Juli 2023

EYATH kehrt in die Hände des Staates zurück! (12 Jahre des Kampf werden sichtbar in einem 12-zeiligen Änderungsantrag).

Heute hat die Regierung mit dem Beschluss 8/2023 des Konformitätsausschusses des Obersten Gerichts (Staatsrat) den Ausstieg von EYATH aus dem Superfund und die Rückgabe an den Staat gesetzlich verankert.

Mit einer 12-zeiligen Änderung wird das Wasser von Thessaloniki wieder vom Staat verwaltet, wie es die Verfassung schon immer vorsah.

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