Griechenland brennt nieder

Großfeuer weiter außer Kontrolle. Bisher größte Katastrophe in EU. Rechtsregierung stochert bei Ursachenforschung im dunkeln

Von Hansgeorg Hermann, Chania, 30.8.2023 – junge Welt

Nach nahezu zwei Wochen Einsatz unter schwersten Bedingungen haben die griechischen Feuerwehren und ihre internationalen Helfer die katastrophalen Großbrände – am vergangenen Wochenende waren es mindestens vierzehn – immer noch nicht unter Kontrolle bringen können. Nach Einschätzung aus Brüssel handelt es sich um »die größte derartige Katastrophe, die je in der Europäischen Union verzeichnet wurde«, wie am Dienstag gemeldet wurde. »Alles Asche«, titelte am Sonnabend die regierungskritische Wochenzeitung Documento und zeigte im Bild den rechten Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, der lieber dem ukrainischen Kriegschef Wolodimir Selenskij die Hand schüttelt, als sich um die Not im eigenen Land zu kümmern. Mehr als 75.000 Hektar Wald und Ackerland sind inzwischen in der bis zu 43 Grad Celsius heißen Sommerhitze verglüht. Um »Erbarmen« flehte die Athener Tageszeitung Efimerida ton Syntakton (Efsyn) im Namen der elf Millionen erschütterten Griechen; »Wir sind erledigt«, verzweifelte der sozialdemokratische Ethnos.

»Erledigt« in der Tat, denn Mitsotakis’ Regierung sei auf rein gar nichts vorbereitet gewesen angesichts der sich immer unberechenbarer präsentierenden Klima- und Wetterverhältnisse. Statt dessen ergehe sich der Premier in sinnentleerten Allgemeinplätzen – »Wir sind im Krieg« – und schicke, wie immer in Krisensituationen, seine Untergebenen vor. Am Wochenende den verantwortlichen Minister für Klimakrise und Zivilschutz, Vassilis Kikilias, der auch in seinen vorherigen Ressorts für Gesundheit und für Tourismus »nicht besonders aufgefallen« sei, wie Efsyn anmerkte. Kikilias war nach Alexandroupolis gekommen, um sich in der Hauptstadt der Provinz Thrakien dem Feuersturm zu nähern. Der bedrohte dort nicht nur die nördlichen Wohnviertel – einige tausend Einwohner waren vorsorglich evakuiert worden –, sondern hat bereits mehr als die Hälfte des Naturschutzgebietes Dadia an den Ufern des türkisch-griechischen Grenzflusses Evros vernichtet. 18 Menschen waren in der vergangenen Woche in den dichten Wäldern umgekommen, vermutlich von den Flammen eingeschlossene Flüchtende aus der Türkei, die elendig verbrannten. (…)

weiterlesen

Veröffentlicht unter Griechenland | Verschlagwortet mit , , , | Kommentare deaktiviert für Griechenland brennt nieder

Familie eines griechischen Journalisten, der mehr als 100 SLAPPs überlebte, körperlich angegriffen

Betroffen waren der Investigativjournalist Kostas Vaxevanis und seine Familie, während sie sich in einem Restaurant befanden.

Von Sarantis Michalopoulos, 28.8.2023 – EURACTIV.com

In einem weiteren Vorfall, der die prekäre Lage griechischer Journalisten verdeutlicht, wurden der investigative Reporter Kostas Vaxevanis – ebenfalls nominiert für den Daphne-Caruana-Galizia-Preis – und seine Familie am Freitag von einem Geschäftsmann verbal und körperlich angegriffen, dessen Name auf der „sündigen“ Lagarde-Liste stand, die rund 2.000 potenzielle Steuerhinterzieher enthielt und 2012 von dem Journalisten aufgedeckt worden war.

Vaxevanis aß am vergangenen Freitag mit seiner Familie und seiner achtjährigen Tochter in einem Restaurant, als sich der Geschäftsmann dem Tisch näherte und ihn zu beschimpfen begann. Nach Angaben des Journalisten schlug der verbale Angriff in körperliche Gewalt um. Der Geschäftsmann versuchte, die Frau von Vaxevanis zu schlagen, die das Kind auf dem Arm hatte, und als die Mutter versuchte, den Angriff zu stoppen, erhielt sie einen Schlag ins Gesicht.

„Ich wurde angegriffen, weil ich meine Arbeit gemacht habe. Die Lagarde-Liste enthielt 2.062 Namen von griechischen Einlegern bei der Schweizer Bank HSBC, die Christine Lagarde der griechischen Regierung übergab, um sie auf mögliche Steuerhinterziehung zu untersuchen. Die griechische Regierung hat die Liste dann versteckt. Als ich sie enthüllte, wurde ich zur Bestrafung verhaftet. Ich wurde in Handschellen vor Gericht gebracht, glücklicherweise freigesprochen und mit zwei internationalen Preisen ausgezeichnet“, so Vaxevanis gegenüber EURACTIV.

Weiterlesen
Veröffentlicht unter Griechenland | Verschlagwortet mit , , , | Kommentare deaktiviert für Familie eines griechischen Journalisten, der mehr als 100 SLAPPs überlebte, körperlich angegriffen

Kostas Vaxevanis: „Ich wurde angegriffen, weil ich meine Arbeit gemacht habe“

„Politische Persönlichkeiten führen ständig methodische Prozesse, um mich einzuschüchtern“

Kostas Vaxevanis – investigativer Journalist und Dorn im Auge von Mitsotakis

Das europäische Portal Euractiv veröffentlicht einen ausführlichen Bericht über den dreisten Angriff, dem der Journalist und Documento-Redakteur Kostas Vaxevanis und seine Familie am Freitagabend während ihres Urlaubs auf Euböa zum Opfer fielen.

Neben der Beschreibung des Angriffs enthält Euractiv auch Aussagen des Redakteurs, der betont: „Ich wurde angegriffen, weil ich meine Arbeit gemacht habe. Die Lagarde-Liste enthielt 2.062 Namen von griechischen Einlegern bei der Schweizer Bank HSBC, die Christine Lagarde der griechischen Regierung übergab, um sie auf mögliche Steuerhinterziehung zu untersuchen. Die griechische Regierung hielt die Liste daraufhin zurück. Als ich sie enthüllte, ordnete sie als Strafe meine Verhaftung an. Ich wurde in Handschellen vor Gericht gebracht und glücklicherweise freigesprochen und mit zwei internationalen Preisen ausgezeichnet.

Weiterlesen
Veröffentlicht unter Griechenland | Verschlagwortet mit , , , , | Kommentare deaktiviert für Kostas Vaxevanis: „Ich wurde angegriffen, weil ich meine Arbeit gemacht habe“

Land unter Feuer

Großbrände, Landraub, Immobilienhandel. Griechenland ist fest in der Hand des Kapitals

Von Hansgeorg Hermann, 22.8.2023 – junge Welt

Vom Klimawandel wie vom Kapital zugerichtet (abgebrannte Hotelanlage in Kiotari im Südosten von Rhodos am 26. Juli 2023)

Im Fall Griechenland kann selbst den einigermaßen neutralen lokalen Beobachter fast gar nichts mehr überraschen. Nicht in diesem schönen, vielleicht schönsten Land des Kontinents. Im Südosten, wo das Meer immer noch türkisblau schimmert und die Oligarchen einfach immer weitermachen, und sie sich vielleicht für die winzig kurze Zeit von vier Jahren ein bisschen sorgten. Doch Alexis Tsipras, den sie in Brüssel, Paris und Berlin völlig zu Unrecht als »extremen Linken« verschrien und verachteten, ist neulich von der politischen Bühne abgetreten, seine »Koalition der Radikalen Linken«, Syriza (Synaspismos Rizospastikis Aristeras), ist von der Regierungspartei (2015 bis 2019) zu einer undisziplinierten, machtlosen Oppositionsdarstellerin verkommen. Eine charismatische Führungsnatur zeigt sich bisher nicht. Aber gut, Hoffnung ist noch da – eventuell schafft es ja diesmal eine Frau an die Spitze: Eftychia Achtsioglou, 38 Jahre alt, aus dem Kaff Giannitsa im Nordwesten der Universitäts- und Hafenstadt Thessaloniki, die unter dem Regierungschef Tsipras Arbeits- und Sozialministerin war. (…)

Durchmarsch der Rechten

Die eigentliche Überraschung für die vielen Journalisten aus aller Herren Länder, die – siehe oben – für die heimischen Lohnschreiberinnen und -schreiber der knapp 300 Printmedien freilich keine mehr war: Gleich drei mindestens stramm rechte, eher faschistische Parteien – Spartiates (Spartaner), Elleniki Lysi (Griechische Lösung), Dimokratiko Patriotiko Kinima (Patriotische Bewegung) – zogen am 25. Juni ins Parlament ein, die »Vouli« genannte, 300 Köpfe zählende Nationalversammlung in Athen, wo sie die absolute Mehrheit des alten und neuen rechten Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis ideologisch unterfüttern. Soll heißen: In Mitsotakis’ Partei Nea Dimokratia (ND) gibt es ohnehin einen Flügel, in dem sich Volk tummelt, das der emsige Stimmensammler aus dem kretischen Hafenstädtchen Chania aus einigen inzwischen verbotenen Formationen der äußersten Rechten absorbiert hat. Was der Regierungschef natürlich von sich weist. (…)

weiterlesen

Veröffentlicht unter Griechenland | Verschlagwortet mit , , , , | Kommentare deaktiviert für Land unter Feuer

Feuer, Hitze und Hetze

Rechte Hetzkampagne in Griechenland: Migranten seien schuld an den verheerenden Waldbränden. 18 Geflüchtete waren am Dienstag verbrannt.

Von Ferry Batzoglou, 23.8.2023 – Taz

A forest on fire in the village of Dikela, near Alexandroupolis town, in the northeastern Evros region, Greece, Tuesday, Aug. 22, 2023. Firefighters scouring the area of a major wildfire in northeastern Greece have found the bodies of over 10 people thought to have been migrants who entered the country from Turkey. (AP Photo/Achilleas Chiras)

ATHEN taz | Ihr Anblick war erschreckend. Pavlos Pavlidis, Gerichtsmediziner, untersuchte die 18 verkohlten menschlichen Überreste just an jener Stelle, wo sie am Dienstag gefunden worden waren: im Naturwald von Dadia in der Region Evros im äußersten Nordosten von Griechenland, an der Festlandsgrenze zur Türkei.

Die Leichen, alles Männer, darunter zwei Minderjährige, waren Geflüchtete. Sie befanden sich auf dem Weg von der Grenze ins Landesinnere von Griechenland, bis sie im Dadiawald, einer Durchgangsstation für viele Flüchtlinge und Migranten, einen grausamen Tod starben. Die Schutzsuchenden hatten sich in einer Hütte im Wald versteckt, um nicht der Polizei in die Hände zu fallen. Doch dann erfasste sie die gewaltige Feuerwalze.

In ihrer Wut und Verzweiflung betreiben die Griechen derweil eine wilde Blüten treibende Ursachenforschung. Geradezu menschenverachtend sind mehr oder minder direkte Andeutungen von Politikern und Kommentatoren, wonach ausgerechnet über die Türkei nach Hellas gelangte Flüchtlinge und Migranten die Waldbrände legen würden. Ihrem Narrativ über den Migranten als Brandstifter im Rahmen eines mutmaßlichen Hybridkrieges schenken nicht wenige Griechen Glauben, offen rassistische Anfeindungen und sogar Hetze gegen Flüchtlinge inklusive. (…)

Weiterlesen

Veröffentlicht unter Griechenland | Kommentare deaktiviert für Feuer, Hitze und Hetze

»Die antike Tragödie ist immer politisches Theater«

Über Antigone, Rosa Luxemburg, Kafka und die griechische Linke nach den Wahlen. Ein Gespräch mit dem Regisseur Savvas Stroumpos

Interview: Sabine Fuchs, 12.8.2023 – junge Welt

»Was Aischylos betrifft, warnte er mit den ›Persern‹ seine Mitbürger davor, sich wie ihre schlimmsten Feinde zu benehmen« (Inszenierung von Simeio Miden, 2022)

Herr Stroumpos, Sie und Ihre Gruppe Simeio Miden, »Nullpunkt«, werden in Kürze erstmals im deutschsprachigen Raum zu Gast sein, beim »Welttheaterfestival Art Carnuntum« unweit von Wien. Dort präsentieren Sie zwei Inszenierungen antiker Tragödien, »Die Perser« von Aischylos und »Antigone« von Sophokles. Was hat uns die antike Tragödie heute noch zu sagen?

Die antike griechische Tragödie ist ein Genre, das in einer sehr speziellen Phase der menschlichen Kultur entstanden ist – der athenischen Demokratie. Die Widersprüche dieser Zeit – etwa hinsichtlich der Stellung der Frauen und Sklaven – sind zwar offensichtlich, und natürlich stehen wir ihnen kritisch gegenüber, gleichzeitig muss man aber sagen: Die Tragödie entstand in der Polis und bezog sich auf die Polis – auf die Stadt, das politische Gemeinwesen. Wir haben es also von vornherein mit politischem Theater zu tun. Die Tragödie versucht, die Conditio humana in existenziellen, historischen oder auf die Natur bezogenen Extremsituationen zu untersuchen, und zwar gespiegelt durch den Mythos. So zwang sie Künstler und Zuschauer dazu, sich mit jenen dunklen Seiten der menschlichen Natur auseinanderzusetzen, die eben der Ursprung des Mythos sind: mit extremen Gefühlslagen, mit Ausnahmezuständen wie Trauer, Rache, Wahn und Schmerz. Die Bühne war dabei der Ort radikaler Andersartigkeit. Die Tragödie forderte die Menschen heraus, nicht nur das politische Gemeinwesen kritisch zu betrachten, sondern auch sich selbst und die eigenen verdrängten Emotionen. Anders, so die Vorstellung, könnten sie keine dynamischen und kreativen Bürger sein. (…)

Die »Perser« werden, zumindest bei uns, meist etwas eindimensional als Antikriegsstück gelesen. Nun zeigt Aischylos zwar die Hybris, der die Perser anheimfallen, geschrieben hat er das Stück aber für die Athener. Was bedeutet das für unsere Gegenwart, individuell und politisch?

Machtgier und Krieg waren nicht mit den Perserkriegen beendet – es gibt sie nach wie vor, und heute bedrohen sie unseren ganzen Planeten. Als Individuen sind wir vielleicht nicht in der Lage, die ganze Welt zu verändern, aber wir können damit beginnen, uns selbst zu verändern. Dazu fordert uns die Tragödie auf. Was Aischylos betrifft, warnte er mit den »Persern« seine Mitbürger davor, sich wie ihre schlimmsten Feinde zu benehmen. Er betonte zwar die demokratischen Errungenschaften Athens, forderte die Athener aber gleichzeitig dazu auf, ihr arrogantes Verhalten zu ändern. Seine Warnung wurde nicht ernst genommen, und was folgte, ist bekannt: Die athenische Demokratie ging in den Peloponnesischen Kriegen unter. Ich hoffe nur, dass wir unsere Denk- und Lebensweise noch ändern können … (…)

weiterlesen

Veröffentlicht unter Griechenland | Verschlagwortet mit , , , , , | Kommentare deaktiviert für »Die antike Tragödie ist immer politisches Theater«

Holocaust in Saloniki

Entrechtet, enteignet und ermordet. Vor 80 Jahren endete die Deportation der griechischen Juden

Bis zum heutigen Tag wurde die Frage der Reparationen nicht geklärt. Obwohl von griechischer Seite immer wieder angemahnt, sind deutsche Regierungen ihren Pflichten in keiner Weise nachgekommen. (Texte auf GSKK.org)

Von Jürgen Pelzer, 12.8.2023 – junge Welt

Sadistisches, antisemitisches Spektakel auf dem »Platz der Freiheit« in Thessaloniki (Juli 1942)

Innerhalb von fünf Monaten, von Mitte März bis Mitte August 1943, wurde fast die gesamte jüdisch-sephardische Gemeinde Thessalonikis nach Auschwitz deportiert. Im April 1941 hatte die deutsche Invasion zur Kapitulation und Aufteilung Griechenlands in deutsche, italienische und bulgarische Besatzungszonen geführt. Die Deutschen behielten sich neben Athen Thessaloniki vor, das schon vor dem Krieg ins Visier des »Sonderkommandos Rosenberg« geraten war, das sogleich mit der Plünderung von Bibliotheken, Synagogen, Zeitungsredaktionen und Buchhandlungen begann, angeblich, um Material für eine Fachbibliothek zur »Judenfrage« zu sammeln. Die ökonomische Ausplünderung des Landes, namentlich die Requirierung von Lebensmitteln, führte zu hoher Inflation und einer massiven Hungersnot. Der Massenmord an den Juden wurde deshalb verzögert in Gang gesetzt, zumal sich die italienischen Bündnispartner gegen Judenverfolgungen oder gar Deportationen sperrten. Die angestrebte »Endlösung« konnte also zunächst nur in den von den Deutschen besetzten Gebieten stattfinden, und dazu gehörte Thessaloniki, die »Mutter Israels«, wie die Stadt von den jüdischen Einwohnern stolz genannt wurde. (…)

Insgesamt wurden 48.000 Juden und Jüdinnen in Viehwaggons nach Auschwitz deportiert. Die Fahrt dauerte jeweils fünf Tage. Etwa 37.000 Menschen wurden sofort nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet, weitere 8.000 bis 9.000 gingen an Zwangsarbeit, Krankheiten und Unterernährung zugrunde. Am Ende des Krieges bestand die sephardische Gemeinde Thessalonikis praktisch nur noch aus einer kleinen Gruppe von etwa 1.200 Menschen. (…)

Vollständigen Artikel lesen

Veröffentlicht unter Deutsche Besatzung | Verschlagwortet mit , , , , | Kommentare deaktiviert für Holocaust in Saloniki