Die besetzte Fabrik SE VIO.ME vollendet in diesem Jahr ein Jahrzehnt der Selbstverwaltung, während sie durch den Verkauf des Grundstücks an einen Hedge-Fonds bedroht ist. Die ArbeiterInnen der Fabrik sprechen über die Bedeutung von VIO.ME für sich selbst und für die Gesellschaft. Sie rufen auf zur Solidarität, zur Teilnahme an künstlerischen Aktionen u. zur Unterstützung ihres Kampfes.
Kollege ohne Namen:Hände weg von VIO.Me! Georg:Ich bin Georg, Kollege von VIO.ME, und möchte hier klarstellen: Hände weg von VIO.ME!
Dimitris:Ich bin Dimitris von VIO.ME, der besetzten Fabrik, die ohne Chefs arbeitet, und nur von den KollegInnen betrieben wird. Seit 2011 haben wir übernommen, weil die Eigentümer die Fabrik klammheimlich aufgegeben haben und verschwunden sind. Für mich ist VIO.ME etwas Anderes, etwas Besseres, etwas Ganzheitliches. Wir organisieren alles über die Vollversammlung und entscheiden zusammen. Wir haben unser Leben selbst in die Hand genommen und kämpfen bis zum Ende weiter. VIO.ME ist nicht nur eine Fabrik. VIO.ME ist eine andere Gesellschaft für alle.
Von Georg Brzoska, 21.2.2023 – griechenlandsoli.com
Mateusz Morawiecki und Viktor Orban
Fast alle Fraktionen des Europäischen Parlaments haben am 15.2.2023 während einer Debatte über die „Erosion der Rechtsstaatlichkeit in Griechenland, den Abhörskandal und die Pressefreiheit“ heftige Kritik an der Regierung Mitsotakis und dem Premierminister selbst geübt. Eine Ausnahme bildete die Europäische Volkspartei, die Fraktion, der die Nea Dimokratia angehört, deren Abgeordnete versuchten, die Zuhörer davon zu überzeugen, dass in Griechenland „alles in Ordnung“ und alles ein böses Komplott sei, damit die Regierungspartei die Wahlen verliert.
Die Debatte fand auf Initiative der Fraktion der Sozialisten und Demokraten (S&D) und statt. Als erstes ergriff der Abgeordnete und Vorsitzende der PASOK-KINAL, Nikos Androulakis, selbst ein Opfer der Überwachung, das Wort:
Nikos Androulakis: „Herr Präsident, Demokratie kann nicht ohne einen starken und verlässlichen Rechtsstaat für den Bürger existieren, der den Schutz seiner Rechte vor staatlicher Willkür garantiert. … Doch was haben wir in den letzten sechs Monaten gelernt, seit die Dienste des Europäischen Parlaments das versuchte Abhören des Predator-Handys aufgedeckt haben? Eine enge Zelle im Maximos-Gebäude, in der der Neffe des Premierministers die Hauptrolle spielte und die vom Geheimdienst instrumentalisiert wurde, überwachte mit der Begründung einer angeblichen nationalen Gefahr nicht nur mich, Journalisten, Mitglieder des Europäischen Parlaments und sogar einen amtierenden Minister, sondern auch führende Mitglieder der Streitkräfte. Nach der Enthüllung erklärten sie öffentlich, dass sie versuchen würden, alles ans Licht zu bringen, aber alles, was wir sahen, war Dunkelheit und der Versuch, die Opfer zu beschuldigen. Sie untergruben die Arbeit des Untersuchungsausschusses des griechischen Parlaments, indem sie die Ladung wichtiger Zeugen ausschlossen und sich auf die Geheimhaltung beriefen. Zweimal änderte Herr Mitsotakis die Gesetzgebung, um zu verhindern, dass die Betroffenen rechtlich informiert werden. Regierungsbeamte haben sogar den Vorsitzenden der zuständigen unabhängigen Behörde, Christos Rammos, wegen der Fortführung der Ermittlungen auf grausame Art und Weise öffentlich auf das Übelste diffamiert.
Trotz des sich ausweitenden Abhörskandals scheiterte ein Misstrauensvotum gegen die griechische Regierung. Diese versucht nun, weitere Untersuchungen zu unterbinden.
Von Wassilis Aswestopoulos, 9.2.2023 – jungle.world
Das Misstrauensvotum im Parlament wegen des Abhörskandals hat die konservative griechische Regierung mit 156 zu 143 Stimmen überstanden, aber die politische Krise verschärft sich. Bei der Abstimmung Ende Januar hielten die Abgeordneten der regierenden Nea Dimokratia zu ihrem Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, den der Oppositionsführer Alexis Tsipras, Vorsitzender der linken Partei Syriza, als Lenker eines »kriminellen Netzwerks« bezeichnete. Syriza kündigte an, bis zu den Wahlen – mit Ausnahme eines Votums über Parteienverbote – an keiner Abstimmung im Parlament mehr teilzunehmen, da die Regierung fortwährend gegen die Verfassung verstoße; die Regierung kontert, dass das Fernbleiben von Abstimmungen einen eklatanten Verfassungsbruch darstelle.
In Griechenland hat der Wahlkampf bereits begonnen, wenngleich Mitsotakis den Wahltermin noch nicht bekanntgeben will. Bis Juli muss gewählt werden – doch bei einer Wahl wird es möglicherweise nicht bleiben. Denn bei den nächsten beiden Wahlen gilt das von der linken Syriza-Regierung 2016 beschlossene Verhältniswahlrecht mit einer Sperrklausel von drei Prozent. Bei weiteren Wahlen aber kommt das von Nea Dimokratia 2020 wieder eingeführte Bonussystem zur Anwendung, welches der stärksten Partei zusätzliche Parlamentssitze und somit die absolute Mehrheit bereits bei einem Stimmanteil von knapp 35 Prozent verschafft. Dieses Wahlrecht gilt bei den folgenden Wahlen. (…)
Griechenland: Oberstes Gericht setzt Hunderttausende verschuldete Familien auf die Straße
Von Hansgeorg Hermann, 16.2.2023 – junge Welt
700.000 Häuser und Wohnungen zu versteigern! (Proteste gegen Auktion in Thessaloniki)
Griechenlands oberster Gerichtshof, der Areopag, hat mit einem letztinstanzlichen Urteil die soziale Katastrophe im Land verschärft. Die 65 Richter des höchsten Justizorgans entschieden am vergangenen Donnerstag mit 56 gegen neun Stimmen, dass Banken, private Kreditverwalter und Hedgefonds Häuser oder Wohnungen säumiger Schuldner übernehmen und versteigern dürfen. Betroffen sind nach Angaben der griechischen Anwaltskammer mehr als 700.000 Hausbesitzer – auf Familien hochgerechnet wahrscheinlich mehr als eine Million Menschen –, die ihre Kredite in den letzten Jahren nicht mehr bedienen konnten.
Dass Hunderttausende Griechen ihre »Schulden« nicht mehr abzahlen können, ist eine unmittelbare Folge der von Brüssel seit 2010 gegen das Land verhängten finanziellen Zwangsmaßnahmen. Wie zahlreiche renommierte Wirtschaftswissenschaftler – unter ihnen Nobelpreisträger – und zuletzt im Dezember auch das Athener Institut für alternative Politik (ENA) konstatierten, wurde die sogenannte griechische Finanzkrise im Prinzip von den kreditgebenden Geldhäusern selbst ausgelöst. Die in drei »Hilfspaketen« an die Ägäis überwiesenen 275 Milliarden Euro retteten dann in der Hauptsache jene Verursacher der Immobilienblase, die ihren ehemaligen Kunden nun mit Hilfe der Justiz das Dach über dem Kopf wegnehmen. (…)
Solidarität mit den Künstler*innen in Griechenland
Grips-Theater, Berlin – 13.2.2023
„Nach der Aberkennung aller Diplome künstlerischer Studiengänge am 17. Dezember 2022 von Seiten der griechischen Regierung weiten sich landesweit die Streiks und Demonstrationen griechischer Künstler*innen aus. Dies ist nur die Spitze eines Eisbergs an politischen Maßnahmen gegen die Kunst in Griechenland. Der mit uns befreundete Schauspieler, Regisseur und Theatermacher Vassilis Koukalani hat uns über die katastrophalen politischen Entscheidungen in Griechenland informiert und um Unterstützung gebeten.“
Solidaritätsaufruf griechischer Künstler*innen
„Während die griechische Regierung fröhlich feiert, dass Eleusis die Kulturhauptstadt Europas 2023 ist, haben wir es seit 45 Tagen mit einem unglaublichen Verbrechen gegen die Kultur zu tun.
Am 17. Dezember 2022 wurden wir über das schockierende und ärgerliche Präsidialdekret 85 informiert, das von der griechischen Präsidentin Katerina Sakellaropoulou unterzeichnet wurde und ankündigte, dass alle Absolventen von Theaterhochschulen, Tanzschulen und Filmschulen als Arbeitnehmer gelten, die ausschließlich die Sekundarstufe abgeschlossen haben. Mit anderen Worten, die Diplome und Abschlüsse von darstellenden Künstlern öffentlicher und privater Institutionen gelten heute als praktisch bedeutungslos.
Der seit 2013 selbstverwalteten Seifenfabrik Vio.me aus Thessaloniki droht das Aus
Von John Malamatinas, 12.02.2023, Thessaloniki – nd
Vor zehn Jahren, im Februar 2013, sorgte die Besetzung einer kleinen Baustofffabrik in der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki international für Schlagzeilen. Die Bosse waren verschwunden und hatten die Beschäftigten von einem Tag auf den anderen ihrem eigenen Schicksal überlassen. Die Belegschaft des Unternehmens Vio.Me eröffnete damals nach einem zweijährigen Arbeitskampf mit einem Konzert und einer großen Solidaritätsdemonstration die besetzte Fabrik wieder – mit dem Ziel der Selbstverwaltung. Nun ist das Projekt bedroht, denn die Gebäude und Grundstücke des Werks wurden in einer Online-Auktion an einen ausländischen Fonds verkauft.
Immer wieder Kampf gegen ZwangsversteigerungJahrestag 2020MakisSolidarität zwischen Vio.me-Arbeitern und FischernStrom für Vio.me (Kampagne)Generator aus Deutschland ist angekommenGeneralstreik Athen 2021Solidaritätskundgebung am 11.2.2023
Am vergangenen Samstag demonstrierten deshalb über tausend Menschen in der Innenstadt von Thessaloniki: Anarchist*innen und andere Linke, Mitglieder von Kooperativen und selbstverwalteter Projekte, auch Aktivist*innen gegen die Goldminen auf der Halbinsel Chalkidiki. Makis Anagnostou, Mitbegründer der selbstverwalteten Fabrik, läuft neben dem Fronttransparent mit der Aufschrift »Die Produktionsmittel in die Hände der Arbeiter – Hände weg von Vio.Me«. Er hat wie immer kaum Zeit für ein Gespräch, denn ständig begrüßen ihn Menschen, während der Demozug den Uferboulevard am Meer entlangzieht. Er betont, Vio.Me sei für ihn »mehr als nur sein Herzensprojekt«, sondern ein Symbol dafür, dass »Sachen anders laufen können«. »Wir sind die einzige Fabrik im Land, die ohne Chefs arbeitet und in der alle gleich bezahlt werden«, sagt er und deutet auf seine Kollegen, die neben ihm die Transparente halten.
Die aktuelle Mobilisierung folgt auf die Versteigerung eines Großteils des Geländes der Firma Filkeram Johnson im Osten Thessalonikis, auf dem auch Vio.Me untergebracht ist. Makis und seine Kollegen weisen darauf hin, dass das 140 Hektar große Grundstück für nur neun Millionen Euro an einen südafrikanischen Fonds verkauft wurde, während sein tatsächlicher Wert 2016 auf über 30 Millionen Euro geschätzt wurde. (…)
Die Absicht, die einzige selbstverwaltete Fabrik des Landes in jeder Hinsicht zu verteidigen, brachten die mit VIOME solidarischen Menschen mit einer Massendemonstration zum Ausdruck, die vom Kamara-Platz ausging und am Königlichen Theater endete, das von Studenten der Schauspielschulen besetzt war.
Auf einer Versammlung, die am vergangenen Sonntag bei VIO.ME stattfand, wiesen die Arbeiter der Fabrik auf die kritische Situation hin, in der sich das Projekt aufgrund des Verkaufs des Grundstücks nach Online-Versteigerung an einen ausländischen Fonds befindet.
Das Ziel des Fonds, der das Grundstück gekauft hat, scheint darin zu bestehen, ein neues Einkaufszentrum und ein Gebäude mit Büroflächen zu errichten, für das VIOME eine echte Gefahr darstellt.
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