Immer fleißig lächeln

Neuer Syriza-Parteichef Kasselakis ist Ex-Goldman-Sachs-Investmentbanker und US-Thinktank Zögling

Hansgeorg Hermann, Chanià, 26.9.2023 – junge Welt

Syriza-Veranstaltung auf Kreta (20.6.2023)

Der neue Mann an der Spitze einer einst als Hoffnungsträger der europäischen Linken angetretenen politischen Formation lächelt solche Dinge einfach weg. Stefanos Kasselakis und sein Partner Tyler McBeth lächeln unbekümmert vor Kameras und stirnrunzelnden Popen der orthodoxen Kirche. Ihr Hund immer dabei, der offenbar auch Teil des Parteiprogramms werden soll: Tierschutz steht im eher leicht gestrickten Orientierungpapier direkt neben den Forderung nach Trennung von Kirche und Staat.

Die allerdings ist ein Thema, das selbst ausgewiesene Atheisten und Verächter des sonntäglichen Mummenschanzes seit einigen Dekaden nie ernsthaft angefasst haben. Selbst dann nicht, als die eng mit den Orthodoxen verbandelte Militärdiktatur 1974 abdanken musste und sich Gelegenheit geboten hätte. 95 Prozent der Griechen sind eingeschriebene Kirchenmitglieder, keine Hochzeit, Taufe oder Bestattung geht ohne einen der bärtigen Popen über die Bühne – neue Abgeordnete, Minister und der Regierungschef werden – mitten im Plenarsaal – vom Athener Metropoliten und seinen vier bis fünf Assistenten auf das Testament vereidigt. Mehr Kirchenstaat geht in Europa nicht. Sorgen muss sich der kühne Antragsteller Kasselakis nicht machen. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit wird es für seine Blasphemie nicht geben, die Kirche ist Verfassungsorgan, Gott und seine Heerscharen sind Alpha und Omega in der Konstitution der »Elleniki Dimokratia«. (…)

weiterlesen

Veröffentlicht unter Griechenland | Kommentare deaktiviert für Immer fleißig lächeln

Auf den Hund gekommen

Totengräber der giechischen Linken: Syriza wählt »Amerikanos« Kasselakis zum neuen Parteichef

Hansgeorg Hermann, Chanià, 26.9.2023 – junge Welt

Neuer Vorsitzender der griechischen Linkspartei ist ein Multimillionär, ehemaliger Rohstoffhändler und Reeder. Bis vor kurzem lebte er noch in Miami.

Bis zum 29. August war der Mann – Stefanos Kasselakis, 35 Jahre jung – in Griechenland unbekannt. Ein hochgewachsener, schlanker Typ mit strahlendem Lächeln – ein Kandidat wie aus dem US-Fernsehen. Einer, auch das wäre in den USA inzwischen ein Vorteil, der sich als erster griechischer Bewerber um ein Partei- und Staatsamt, zu seiner Homosexualität bekennt. Seit Sonntag abend ist der Sohn einer Reederfamilie, selbst Unternehmer im Überseegeschäft, der neue Chef einer Bewegung, die vor gut 25 Jahren als »Koalition der radikalen Linken« antrat. Unter ihrem bisherigen »Proedros«, dem Parteipräsidenten Alexis Tsipras, war Syriza bis zu dessen Rücktritt nach der katastrophalen Wahlniederlage im Juni – mit gutem Willen betrachtet – eine Programmpartei. Wie einst die deutsche SPD, nur ein bisschen glaubwürdiger.

Blaupause USA

Kasselakis’ Wahl macht aus Syriza einen »Präsidentenwahlverein« nach US-Vorbild. Ein Schisma scheint bevorzustehen; der linke Parteiflügel ist die Minderheit in einer auseinanderstrebenden Formation, in der sich 2014 mehr als 20 linke Gruppen zu einer regierungswilligen Partei zusammenschlossen und 2015 für magere vier Jahre tatsächlich ganz demokratisch die politische Macht eroberten, weil die Griechen die Gängelei und den Verlust der Haushaltshoheit satt hatten. Kasselakis ist eine Art Verweser dieser einst linken Partei. Dabei war die Partei die erste, die nach dem Bürgerkrieg und dem zeitweiligen Verfassungsverbot für alle Parteien, die nicht für Kirche, Familie und die Anerkennung der rechtsbürgerlichen Regierungsform einstanden, eine Regierung bilden durfte. (…)

weiterlesen

Veröffentlicht unter Griechenland | Kommentare deaktiviert für Auf den Hund gekommen

Hellas im Ausstand

Griechische Gewerkschaften gegen 13-Stunden-Tage und Beschneidung des Streikrechts

Von Hansgeorg Hermann, Chania, 22.9.2023 – junge Welt

Festanstellung! Lohnerhöhung!“: Demo zum Streik am Donnerstag in Athen

Den Arbeitsmarkt ohne Restriktionen für die Unternehmerseite öffnen, das war in den vergangenen Jahren das Wirtschaftsprogramm der rechten französischen Regierung unter Staatschef Emmanuel Macron. Sein »bester Freund« in Europa, der rechtsnationale griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, folgt ihm nun auf dieser Spur und lässt von seiner im Juni gewählten absoluten Parlamentsmehrheit eine radikale Änderung des Arbeitsrechts abnicken. Wie gewünscht von den heimischen ebenso wie von den in Griechenland inzwischen mächtig gewordenen Bossen weltweit auftretender Konzerne. Die Beschäftigten wehren sich: Am Donnerstag legten sie mit einem Generalstreik das Land weitgehend lahm, dem Aufruf der Einzelgewerkschaften und des Dachverbands ADEDY (Öffentliche Dienste) sowie der kommunistischen PAME (Militante Arbeiterfront) folgten bis zum Abend Hunderttausende in Athen sowie in den Provinzhauptstädten Thessaloniki, Patras und Heraklion. (…)

Weiterlesen

Veröffentlicht unter Griechenland | Verschlagwortet mit , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Hellas im Ausstand

Streiks in Griechenland

20.9.2023 – junge Welt

Der Regierung mal zeigen, was ’nen Knüppel ist. Demonstranten gegen Premierminister Kyriakos Mitsotakis in Thessaloniki (16. September 2023)

Athen. Wegen landesweiter Streiks wird am Donnerstag in Griechenland mit starken Einschränkungen im Fähr- und Nahverkehr gerechnet. Den Fluglotsen, die ebenfalls teilnehmen wollten, wurde der Ausstand jedoch am Mittwochnachmittag gerichtlich untersagt. Zuvor war das Verkehrsministerium gerichtlich dagegen vorgegangen, wie die Zeitung To Proto Thema berichtete.

Die großen Gewerkschaften des Landes haben zu dem Ausstand aufgerufen, um gegen eine geplante Änderung des Arbeitsrechts zu protestieren. Neben den Fluglotsen wollen auch die Beschäftigten der Fähren und des öffentlichen Nahverkehrs die Arbeit niederlegen. Außerdem streiken die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, darunter Lehrer und Krankenhausmitarbeiter, wie griechische Medien am Mittwoch berichteten.

Veröffentlicht unter Griechenland | Kommentare deaktiviert für Streiks in Griechenland

10 Jahre seit der Ermordung von Pavlos Fyssas: Ein Wendepunkt im antifaschistischen Kampf in Griechenland

Neil Middleton, 18.9.2023 – FREEDOM

Am 18. September 2013, kurz nach Mitternacht, stieg ein Mitglied der Neonazigruppe Goldene Morgenröte aus einem Auto, ging ein paar Schritte und stach einem Mann in die Brust. Pavlos Fyssas, ein Musiker und Antifaschist, erlag bald seinen Verletzungen, aber sein Tod leitete die Niederlage der Goldenen Morgenröte ein. Bis zu diesem Zeitpunkt schien der Vormarsch der Faschisten ungebrochen. Zehn Jahre später und angesichts der immer noch wachsenden Bedrohung durch die Rechtsextremen ist es wichtig, sich sowohl an Pavlos Fyssas als auch an diesen Moment in der antifaschistischen Geschichte zu erinnern.

Der Aufstieg der Goldenen Morgenröte

Im September 2013 befand sich die griechische Partei Goldene Morgenröte auf dem Höhepunkt ihres Einflusses. Die in den 1980er Jahren von Nikos Michaloliakos, einem jungen Anhänger der 1974 zusammengebrochenen Militärdiktatur, als neonazistische Gruppierung gegründete Partei hatte einen langen Weg von ihren bescheidenen Anfängen zurückgelegt. In den 1990er und 2000er Jahren war sie eher marginal, wenn auch gefährlich, doch mit dem Ausbruch der jahrzehntelangen politischen und wirtschaftlichen Krise in Griechenland im Jahr 2008 begann ihr Aufstieg. Sie schwammen auf der Welle der einwanderungsfeindlichen Stimmung und erhielten Auftrieb, weil der Staat nach dem anarchistisch inspirierten Aufstand vom Dezember 2008 ein Gegengewicht auf der Straße brauchte. Im Laufe der Jahre 2009 und 2010 schlossen sie sich „Einwohnerkomitees“ im Zentrum Athens an und begannen, Nicht-Griechen, Anarchisten und soziale Bewegungen zu schikanieren und anzugreifen.

Weiterlesen
Veröffentlicht unter Griechenland | Verschlagwortet mit , , , , , | Kommentare deaktiviert für 10 Jahre seit der Ermordung von Pavlos Fyssas: Ein Wendepunkt im antifaschistischen Kampf in Griechenland

VIO.ME-Fabrik in höchster Gefahr

Anfang Februar diesen Jahres wurden die gesamten Grundstücke des Mutterunternehmens FILKERAM JOHNSON – die alte Fabrik der VIO.ME war eine ihrer Tochterfirmen – in einer digitalen Zwangsversteigerung zu einem Preis in Höhe von 9 237 500 Euro an einen südafrikanischen Investmentfonds vergeben. Anscheinend haben die neuen Eigentümer vor, ein neues Einkaufszentrum und Gebäude mit Büroflächen zu errichten. Wie zu erwarten, ist die zurückeroberte und selbstverwaltete VIO.ME in höchster Gefahr. Doch die Kolleg*innen werden unter keinen Umständen ihr Lebenswerk aufgeben. Ein breiter Widerstand ist schon im Aufbau und ein beachtlicher Teil der griechischen Gesellschaft beteiligt sich an den Solidaritätskampagnen zur Unterstützung ihres Kampfes. (Artikel vom Juli 2023) Doch nun ist die Gefahr handgreiflich geworden.

Weiterlesen
Veröffentlicht unter Griechenland | Verschlagwortet mit , , , , | Kommentare deaktiviert für VIO.ME-Fabrik in höchster Gefahr

Der Gouverneur von Thessalien und die Wut der Bevölkerung

„Der Regionalgouverneur von Thessalien, Kostas Agorastos (seit 2011), warb 2 Tage vor den Überschwemmungen für die von ihm durchgeführten Arbeiten zur Hochwasserbekämpfung. Jedoch: Zum 2. Mal in 3 Jahren ist Thessalien verloren, mal sehen, wie die Medien mit ihm umgehen werden.“ (,@GArchontopoulos – Vorsitzender der EYATH-Wassergewerkschaft, Thessaloniki)

Wie die Weisen sagen: „Ein Bild, das mehr sagt als tausend Worte: Kyriakos Mitsotakis, Kostas Agorastos, die Umarmungen und Unwetter Daniel“.

Lächeln. Umarmt euch. Halt dich an mir fest, damit der Pinienwald nicht überschwemmt wird.

Die große Zuneigung bleibt auch in den schwersten Krisen nicht verborgen. Naturkatastrophen bringen uns einander näher. Wir beide und Daniel. Zum Lachen oder zum Weinen.

Suchen Sie sich eine Überschrift aus, die Wahrheit ist eine. Mitsotakis und Agorastos, gestern in Karditsa, am Ort der biblischen Katastrophe. (9.9.2023)

Quelle (griech.)

Weiterlesen
Veröffentlicht unter Griechenland | Kommentare deaktiviert für Der Gouverneur von Thessalien und die Wut der Bevölkerung