«Nicht die Zeit zu trauern, sondern zu kämpfen»

Syriza hat bei den Wahlen im letzten Monat eine schwere Schlappe erlitten, doch die griechischen Linke ist entschlossen, den Kampf fortzusetzen.

Von Danai Koltsida, Friedrich Burschel, 19.6.2023 – RLS

2. Wahlgang 2023: Das Sieben-Punkte-Programm der Linkspartei SYRIZA für die Parlamentswahlen (Griechenlandzeitung, 8.6.2023)

(…) Im Vorfeld der Parlamentswahlen am 21. Mai hatten Tsipras und Syriza versucht, mit ihrer Stammwähler*innenschaft und unter Einbeziehung jener Mitte-Links-Wähler*innen, denen der griechische Rechtsruck seit 2019 Unbehagen bereitet, eine breite Front gegen die Mitsotakis-Regierung aufzubauen. Obwohl sich Syriza laut Umfragen gewisse Chancen zum Sturz der ND ausrechnen konnte, war das Wahlergebnis am Ende eine politische Demütigung für die führende sozialistische Partei Griechenlands: 20,07 Prozent, das schlechteste Ergebnis seit zehn Jahren und weniger als halb so viel wie Mitsotakis. Was ist falsch gelaufen, und kann sich Syriza davon noch einmal erholen? Mit Blick auf den nächsten Wahltermin, die Neuwahl am 25. Juni, hat Friedrich Burschel von der Rosa Luxemburg Stiftung mit Danai Koltsida, der Direktorin des Nicos-Poulantzas-Instituts in Athen, darüber gesprochen, was die Wahlniederlage bedeutet und wie Syriza zurück an die Macht kommen will.

In den Tagen und Wochen vor den Parlamentswahlen am 21. Mai lag Syriza laut Prognosen konstant nur wenige Prozentpunkte hinter der Nea Dimokratia, der Partei des amtierenden Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, doch im Wahlergebnis stürzte die Partei um über 10 Prozent gegenüber den Umfragen ab. Wie kam es zu dieser überraschenden und erschütternden Niederlage? (…)

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Auf den U-Bahn-Baustellen in Thessaloniki herrscht Hochbetrieb

Wut über die massiven Entlassungen von Vertragsarbeitern, die Ende des Monats anstehen. Streik für nächsten Dienstag angekündigt.

Von Apostolos Lykesas, 22.6.2023 – efsyn

Die erste Arbeitsmobilisierung in Thessaloniki nach den Wahlen wird bei der Metro Thessaloniki stattfinden. Die Arbeiter haben gestern in einer Vollversammlung, die auf Initiative der Baugewerkschaft von Thessaloniki auf der Baustelle „Aktor“ in Kalochori stattfand, einen entsprechenden Beschluss gefasst.

Die Entscheidung ist für diejenigen, die die Ereignisse verfolgen, nicht überraschend und wurde von „Ef.Syn.“ ausführlich dokumentiert. (9.6.2023, „Explosion des Zorns über die Massenentlassungen“), da die Mitarbeiter der archäologischen Projekte der Metro (fast 280 Personen) am Ende des Monats mit der Begründung entlassen werden, dass das Projekt ausläuft und es keine Arbeit mehr gibt.

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Inwieweit beeinflusst die Flüchtlingskatastrophe den 2. Wahlkampf?

Von Niels Kadritzke, 21.6.2023 – BLOG GRIECHENLAND (Nachtrag)

In die „patriotische“ Agenda, mit denen Mitsotakis und die ND den Kleinparteien zu ihrer Rechten noch mehr Stimmen abjagen will, versuchen sie im zweiten Wahlkampf auch die Flüchtlingstragödie vom 14. Juni einzubauen. Dass die griechische Küstenwache mittlerweile in den Verdacht unterlassener Hilfeleistung geraten ist, braucht den kommenden Wahlsieger in keiner Weise zu stören. Mitsotakis fühlt sich in seiner harten Linie bestätigt, mit der er schon bei der ersten Wahl vom 21. Mai erfolgreich geworben hat.

„Gebt Kyriakos Stimmen mit seinen 40 Häusern, seinem Offshore-Vermögen, seiner Großfamilie und seiner Bande,
damit er unserere Menschlichkeit verbrenne, soweit er es bisher nicht geschafft hat, jedenfalls hat er sie kaputtgemacht.“ (@sofilakis)

Die Flüchtlingstragödie im Mittelmeer, bei der in der Nacht zum 15. Juni mindestens 600 Menschen – Kinder, Frauen und Männer – mit ihrem seeuntüchtigen Boot in die Tiefe gerissen wurden, ist in ihrem genauen Ablauf noch nicht aufgeklärt. Das gilt auch für die Rolle der griechischen Küstenwache (HCG wie Hellenic Coast Guard), die nach internationalem Recht für die Rettung der Schiffbrüchigen zuständig war, weil sich der 30 Meter lange, mit etwa 750 Menschen überlastete Fischereitrawler mehr als 24 Stunden lang innerhalb der griechischen „Save and Rescue“-Zone befand. Die SAR-Zone gehört nicht zur Hoheitszone, aber der jeweilige Küstenstaat ist in diesem Seegebiet für die Seenotrettung zuständig. (…)

Schon jetzt ist absehbar, dass die Regierung das Unglück trotz der ungeklärten Fragen über die Rolle der HCG erfolgreich in ihrem Sinne instrumentalisieren kann. Sie schiebt die ausschließliche Verantwortung auf die Gruppe der ägyptischen Gang, die mit dem Trawler die Flüchtlingsroute Libyen-Italien bedient und von ihren „Passagieren“ für die Fahrt in den Tod pro Person zwischen 3000 und 6000 Dollar kassiert haben soll. Die griechischen Behörden haben unter den 104 geretteten Flüchtlingen (durchweg Männer) neun Ägypter verhaftet, die jetzt in Kalamata unter Anklage stehen.

Die nationale Pflicht zur Trauer wurde mit dem Ausrufen einer dreitägigen Staatstrauer abgeleistet. Aber das bleibt eine zynische Geste, wenn zugleich jede Stimme, die Fragen nach der „griechische Verantwortung“ stellt, als unpatriotisch oder gar als „nationaler Verrat“ denunziert wird. Und wenn Regierungschef Mitsotakis bei seinen letzten Wahlkampfauftritten unbeirrt verkündet, Griechenland werde an seiner „harten aber gerechten“ Flüchtlingspolitik festhalten. (…)

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Zweite Wahl nach neuen Regeln

Von Niels Kadritzke, 21.6.2023 – BLOG GRIECHENLAND

Dieser Text ist nicht nur eine erweiterte und detailliertere Fassung der Analyse, die nach den ersten Wahlen vom 21. Mai in der Juni-Ausgabe von Le Monde diplomatique erschienen ist. Er gibt auch einen Ausblick auf die zweite Wahl am 25. Juni, mit der die konservative Nea Dimokratia (ND) von Kyriakos Mitsotakis ihren ersten Wahlsieg in eine klare parlamentarische Mehrheit ummünzen will. Am Ende dieses Textes gehe ich kurz auf das tragische Schiffunglück ein, die sich zehn Tage vor der zweiten Wahl unweit der griechischen Südwestküste ereignet hat. Doch der Tod von mindestens 600 Menschen hat die ND nicht etwa zum Überdenken ihrer „harten aber gerechten“ Flüchtlingspolitik veranlasst. Stattdessen verspricht sie ihrer Wählerschaft die Fortsetzung ihrer „patriotischen“ Politik, deren oberstes Ziel nicht die Rettung, sondern die Abwehr von Flüchtenden ist.

Athener Wahllokal, 21.5.2023

In Griechenland tobt ein zweiter Wahlkampf. Die griechischen Bürgerinnen und Bürger haben der ND von Regierungschef Kyriakos Mitsotakis bei der Wahl vom 21. Mai zwar einen klaren Sieg, aber keine absolute Mehrheit in der Vouli, dem griechischen Parlament beschert. Deshalb lässt Mitsotakis sein Volk am 25. Juni zu einem zweiten Anlauf antreten. Bis zu diesem Zeitpunkt amtiert eine geschäftsführende Regierung unter dem Vorsitz des Obersten Richters Ioannis Sarmas, die von Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou berufen wurde.

Für die griechischen Parteien bedeutet dies einen weiteren Wahlfeldzug innerhalb weniger Wochen. Doch das Ergebnis vom 21. Mai hat die parteipolitische Konstallation auf eine Weise verändert, dass man von zwei getrennten Feldzügen reden muss. Den einen führt die ND, die im zweiten Anlauf eine möglichst sichere absolute Parlamentsmehrheit erringen will, im Idealfall 180 der 300 Sitze, die gewisse Verfassungsänderungen ermöglichen würde. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die konservative Regierungspartei nicht nur im Reservoir der „politischen Mitte“, sondern auch im Tümpel rechtsextremer Kleinparteien fischen.

Der andere Wahlkampf spielt sich in der linken Hälfte des politischen Spektrums ab, wo die sozialistische Syriza und ihr Vorsitzender Alexis Tsipras ihre seit 2012 etablierte Hegemonie gegen die sozialdemokratische Pasok zu verteidigen hat. Da beide Parteien selbst als Tandem null Chancen auf einer Mehrheit haben, sind sie vornehmlich darauf aus, sich gegenseitig Stimmen abzujagen. (…)

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Kanonen statt Schwimmwesten

646 Menschen könnten vor Pylos gestorben sein. In einer Woche will der Konservative Mitsotakis die absolute Mehrheit erreichen.

Von Ferry Batzioglou, 18.6.2023 – TAZ

Men transfer body bags carrying migrants who died after their boat capsized in the open sea off Greece, onboard a Hellenic Coast Guard vessel at the port of Kalamata, Greece, June 14, 2023. REUTERS/Stelios Misinas

ATHEN taz | Das verheerende Bootsunglück vor der griechischen Küste, vor Pylos, kommt für die Griechen zur Unzeit. Laut der griechischen Küstenwache werden schätzungsweise 568 Menschen vermisst. Das Gros der Flüchtlinge und Migranten – vor allem Frauen, Kinder und Alte – dürfte eingepfercht im Zwischendeck und Rumpf des etwa 30 Meter langen Fischkutters am vergangenen Mittwoch schnell auf dem Meeresgrund in einer Tiefe von an dieser Stelle mehr als 5.000 Metern gelandet sein. So könnten 646 Menschen bei dem verheerenden Bootsunglück gestorben sein.

Am kommenden Sonntag finden in Griechenland, das derzeit von einer Interimsregierung geführt wird, Parlamentswahlen statt. Der bis zum 25. Mai regierende Premier Kyriakos Mitsotakis, der nach dem Urnengang mit seiner konservativen Partei Nea Dimokratia (ND) weiter alleine in Athen regieren will, bezeichnete bei einer Wahlkampfrede in einer ND-Hochburg auf dem Peloponnes die Schlepper des gekenterten Fischkutters als „Dreckskerle“.

Unerwähnt blieb, dass die Regierung Mitsotakis auf eine demonstrativ restriktive Flüchtlings- und Migrationspolitik mit all ihren Facetten, mutmaßliche Pushbacks inklusive, und ihrem Augenmerk auf die See- und Festlandsgrenze zur Türkei im Osten des Landes setzt.

Mitsotakis und Co. sind sogar stolz auf ihre „strenge, aber gerechte“ Migrationspolitik, wie sie immer wieder hervorheben. Die meisten Griechen stimmen Mitsotakis’ Politik unverhohlen zu. Die Athener Opposition, namentlich linke Parteien wie Syriza oder Mera25, die das dubiose Vorgehen der Behörden in scharfer Form kritisiert, riskiert Beobachtern zufolge beim bevorstehenden Urnengang sogar Stimmenverluste.

Die zuständige Staatsanwaltschaft ist regierungsnah (…)

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Das ist kein Unglück, es ist Unrecht!

Eine Reise in die „europäische Lebensart“.
(Realnews 18.6.23)

“Dieser Schiffbruch bringt meinen Schmerz zurück“

Offener Brief von über 180 Menschenrechtsorganisationen und Initiativen zusammen mit Tima Kurdi, Tante von Alan Kurdi, nach dem Tod von bis zu 600 Menschen vor Pylos, Griechenland.

Heute, am Weltgeflüchtetentag, fordern wir gemeinsam eine vollständige und unabhängige Untersuchung der Ereignisse, klare Konsequenzen für die Verantwortlichen, ein Ende der systematischen Pushback-Praktiken an den europäischen Grenzen und Gerechtigkeit für die Opfer.

10 Jahre nach den beiden Schiffbrüchen vor Lampedusa, Italien, bei denen rund 600 Menschen ums Leben kamen und die einen riesigen öffentlichen Aufschrei auslösten, sind vor Pylos, Griechenland, bis zu 600 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Am 14. Juni 2023 tötete das europäische Grenzregime erneut Menschen, die von ihrem Recht auf Schutz Gebrauch machten. Wir sind erschüttert! Und wir stehen in Solidarität mit allen Überlebenden und mit den Familien und Freund:innen der Verstorbenen. Wir drücken unser tiefes Beileid und unsere Trauer aus. (…)

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Bootsunglück: Die Pushbacks der Küstenwache

Von Bamdad Esmaili , 17.2.2023 – WDR

Video

Es gibt Vorwürfe, dass das Boot mit Geflüchteten vor Griechenland wegen Push-Backs der griechischen Küstenwache gesunken ist. WDR-Journalist Bamdad Esmaili berichtet im Interview, was Überlebende des Unglücks erzählen.

Nach dem Bootsunglück vor Griechenland mit hunderten Toten gibt es schwere Vorwürfe gegen die griechische Küstenwache, das Unglück verursacht zu haben. Die Rede ist von so genannten Push-Backs. Darunter versteht man Maßnahmen, mit denen flüchtende Menschen daran gehindert werden, die Grenze zu übertreten und einen Asylantrag zu stellen. In der EU-Grundrechte-Charta wird das Recht auf Asyl gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention allerdings garantiert. 

Die Küstenwache weist den Vorwurf von Push-Backs zurück – jetzt soll die europäische Polizeibehörde Europol ermitteln. WDR-Journalist Bamdad Esmaili ist in Griechenland und hat mit seinem Team mit Überlebenden sprechen können. (…)

WDR: Es gibt Vorwürfe gegen die griechische Küstenwache. Worum geht es da?

Bamdad Esmaili: Es geht darum, dass es Vorwürfe gibt, dass die griechische Küstenwache dieses Boot in die Richtung von italienischem Gewässer gezogen hat – dass sie es sozusagen gepushbackt hat. Diesen Vorwurf hatten wir bislang nur gehört, gestern Abend gelang es meinem Kollegen, der arabisch spricht, dann mit ungefähr zehn überlebenden Geflüchteten zu sprechen. Sie haben unabhängig voneinander berichtet, dass dieses Boot tatsächlich gezogen wurde – nicht nur einmal, nicht nur zweimal, sondern insgesamt dreimal. Und dabei ist das Schiff dann ins Wanken gekommen und ist gesunken. (…)

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