Kanonen statt Schwimmwesten

646 Menschen könnten vor Pylos gestorben sein. In einer Woche will der Konservative Mitsotakis die absolute Mehrheit erreichen.

Von Ferry Batzioglou, 18.6.2023 – TAZ

Men transfer body bags carrying migrants who died after their boat capsized in the open sea off Greece, onboard a Hellenic Coast Guard vessel at the port of Kalamata, Greece, June 14, 2023. REUTERS/Stelios Misinas

ATHEN taz | Das verheerende Bootsunglück vor der griechischen Küste, vor Pylos, kommt für die Griechen zur Unzeit. Laut der griechischen Küstenwache werden schätzungsweise 568 Menschen vermisst. Das Gros der Flüchtlinge und Migranten – vor allem Frauen, Kinder und Alte – dürfte eingepfercht im Zwischendeck und Rumpf des etwa 30 Meter langen Fischkutters am vergangenen Mittwoch schnell auf dem Meeresgrund in einer Tiefe von an dieser Stelle mehr als 5.000 Metern gelandet sein. So könnten 646 Menschen bei dem verheerenden Bootsunglück gestorben sein.

Am kommenden Sonntag finden in Griechenland, das derzeit von einer Interimsregierung geführt wird, Parlamentswahlen statt. Der bis zum 25. Mai regierende Premier Kyriakos Mitsotakis, der nach dem Urnengang mit seiner konservativen Partei Nea Dimokratia (ND) weiter alleine in Athen regieren will, bezeichnete bei einer Wahlkampfrede in einer ND-Hochburg auf dem Peloponnes die Schlepper des gekenterten Fischkutters als „Dreckskerle“.

Unerwähnt blieb, dass die Regierung Mitsotakis auf eine demonstrativ restriktive Flüchtlings- und Migrationspolitik mit all ihren Facetten, mutmaßliche Pushbacks inklusive, und ihrem Augenmerk auf die See- und Festlandsgrenze zur Türkei im Osten des Landes setzt.

Mitsotakis und Co. sind sogar stolz auf ihre „strenge, aber gerechte“ Migrationspolitik, wie sie immer wieder hervorheben. Die meisten Griechen stimmen Mitsotakis’ Politik unverhohlen zu. Die Athener Opposition, namentlich linke Parteien wie Syriza oder Mera25, die das dubiose Vorgehen der Behörden in scharfer Form kritisiert, riskiert Beobachtern zufolge beim bevorstehenden Urnengang sogar Stimmenverluste.

Die zuständige Staatsanwaltschaft ist regierungsnah (…)

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Das ist kein Unglück, es ist Unrecht!

Eine Reise in die „europäische Lebensart“.
(Realnews 18.6.23)

“Dieser Schiffbruch bringt meinen Schmerz zurück“

Offener Brief von über 180 Menschenrechtsorganisationen und Initiativen zusammen mit Tima Kurdi, Tante von Alan Kurdi, nach dem Tod von bis zu 600 Menschen vor Pylos, Griechenland.

Heute, am Weltgeflüchtetentag, fordern wir gemeinsam eine vollständige und unabhängige Untersuchung der Ereignisse, klare Konsequenzen für die Verantwortlichen, ein Ende der systematischen Pushback-Praktiken an den europäischen Grenzen und Gerechtigkeit für die Opfer.

10 Jahre nach den beiden Schiffbrüchen vor Lampedusa, Italien, bei denen rund 600 Menschen ums Leben kamen und die einen riesigen öffentlichen Aufschrei auslösten, sind vor Pylos, Griechenland, bis zu 600 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Am 14. Juni 2023 tötete das europäische Grenzregime erneut Menschen, die von ihrem Recht auf Schutz Gebrauch machten. Wir sind erschüttert! Und wir stehen in Solidarität mit allen Überlebenden und mit den Familien und Freund:innen der Verstorbenen. Wir drücken unser tiefes Beileid und unsere Trauer aus. (…)

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Bootsunglück: Die Pushbacks der Küstenwache

Von Bamdad Esmaili , 17.2.2023 – WDR

Video

Es gibt Vorwürfe, dass das Boot mit Geflüchteten vor Griechenland wegen Push-Backs der griechischen Küstenwache gesunken ist. WDR-Journalist Bamdad Esmaili berichtet im Interview, was Überlebende des Unglücks erzählen.

Nach dem Bootsunglück vor Griechenland mit hunderten Toten gibt es schwere Vorwürfe gegen die griechische Küstenwache, das Unglück verursacht zu haben. Die Rede ist von so genannten Push-Backs. Darunter versteht man Maßnahmen, mit denen flüchtende Menschen daran gehindert werden, die Grenze zu übertreten und einen Asylantrag zu stellen. In der EU-Grundrechte-Charta wird das Recht auf Asyl gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention allerdings garantiert. 

Die Küstenwache weist den Vorwurf von Push-Backs zurück – jetzt soll die europäische Polizeibehörde Europol ermitteln. WDR-Journalist Bamdad Esmaili ist in Griechenland und hat mit seinem Team mit Überlebenden sprechen können. (…)

WDR: Es gibt Vorwürfe gegen die griechische Küstenwache. Worum geht es da?

Bamdad Esmaili: Es geht darum, dass es Vorwürfe gibt, dass die griechische Küstenwache dieses Boot in die Richtung von italienischem Gewässer gezogen hat – dass sie es sozusagen gepushbackt hat. Diesen Vorwurf hatten wir bislang nur gehört, gestern Abend gelang es meinem Kollegen, der arabisch spricht, dann mit ungefähr zehn überlebenden Geflüchteten zu sprechen. Sie haben unabhängig voneinander berichtet, dass dieses Boot tatsächlich gezogen wurde – nicht nur einmal, nicht nur zweimal, sondern insgesamt dreimal. Und dabei ist das Schiff dann ins Wanken gekommen und ist gesunken. (…)

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Auswärtiges Amt blockiert Millionenhilfe für zivile Seenotretter

14.6.2023 – Made in Bocholt

Berlin (dts Nachrichtenagentur) Das Auswärtige Amt hält die Auszahlung von Hilfen in Millionenhöhe für die zivile Seenotrettung zurück. Das berichtet der „Spiegel“. Laut einem Beschluss des Haushaltsausschusses vom November 2022 sollte der kirchennahe Verein „United 4 Rescue“ von 2023 bis 2026 jedes Jahr zwei Millionen Euro erhalten.

Er finanziert vor allem Schiffe, die im Mittelmeer Flüchtlinge retten, darunter die der deutschen NGOs „Sea Watch“, „SOS Humanity“ und „Sea Eye“. Doch die Bundesregierung hat das versprochene Geld bis heute nicht ausgezahlt. Das Auswärtige Amt habe gleich zu Beginn signalisiert, dass nur Projekte an Land unterstützt werden könnten, sagte Liza Pflaum, Vorstandsmitglied bei „United 4 Rescue“, dem „Spiegel“.

Die Anschaffung oder Wartung von Rettungsschiffen oder selbst Treibstoffkosten für Diesel habe die Regierung nicht fördern wollen. „Wir haben die politische Vorgabe, keine Schiffe zu finanzieren“, soll die Botschaft nach Pflaums Aussage gewesen sein. Ein internes Protokoll des Vereins stützt laut „Spiegel“ diese Angabe.

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»Die Überlebenden fragen ständig nach den Vermissten«

Ein völlig überfülltes Fischerboot ist vor der griechischen Küste gesunken, Hunderte Geflüchtete sind wohl umgekommen. Die Angaben zu Ursache und Hergang des Unglücks widersprechen sich. Der Überblick.

15.6.2023 – SPIEGEL

Was ist passiert?

Bei einem schweren Bootsunglück im Mittelmeer sind vermutlich Hunderte Menschen ums Leben gekommen, als ein heillos überfülltes Fischerboot am Mittwochmorgen vor der südwestlichen Küste Griechenlands kenterte und unterging. Bis zum Morgen wurden nur 104 Menschen gerettet. »Wir sind Zeugen einer der größten Tragödien im Mittelmeer«, sagte Gianluca Rocco, Leiter der griechischen Abteilung der Internationalen Organisation für Migration (IOM).

14.06.2023, Griechenland, Kalamata: Flüchtlinge erhalten erste Hilfe bei ihrer Ankunft im Hafen nach einer Rettungsaktion. Es ist eines der schwersten Bootsunglücke in Griechenland seit Jahren. Einsatzkräfte bargen Dutzende tote Migranten aus dem Wasser. Foto: argolikeseidhseis / dpa

Wie viele Menschen waren an Bord?

Die tatsächliche Zahl der Todesopfer geben die griechischen Behörden inzwischen mit mehr als 500 an, verweisen aber auch darauf, dass es wohl nie Gewissheit geben wird. Nach Aussagen von Geretteten könnten mehr als 700 Menschen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und Ägypten an Bord des Kutters gewesen sein. Bilder der Küstenwache zeigen das völlig überfüllte Boot Stunden, bevor es sank. Darauf ist zu sehen, dass sich allein an Deck des Bootes bis zu 200 Menschen drängten. Die meisten trugen keine Rettungswesten. Auszumachen sind zudem ein Zwischendeck und der Rumpf. Dort sollen sich die übrigen Passagiere, darunter nach Angaben der Überlebenden schwangere Frauen und viele Kinder, aufgehalten und beim schnellen Sinken des Bootes keine Chance gehabt haben, sich nach draußen zu retten. (…)

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Die Küstenwache griff nicht ein

Mehrere Hundert Tote befürchtet. Die griechischen Behörden hatten das überfüllte Fischerboot mehr als 10 Stunden lang begleitet, statt einzugreifen.

Von Ferry Batzioglou, 15.6.2023 – TAZ

A migrant who was rescued at open sea off Greece along with other migrants, after their boat capsized, reacts outside a warehouse used as a shelter, at the port of Kalamata, Greece, June 15, 2023. REUTERS/Stelios Misinas

ATHEN taz | Mitunter trifft unbeschreibliches Flüchtlingselend auf ungeheuren Reichtum. Am Mittwoch, kurz vor 12 Uhr, war so ein Moment. Die mondäne, 2008 von der Hamburger Großwerft Blohm+Voss gebaute, 93 Meter lange und geschätzte 175 Millionen US-Dollar teure Luxusyacht „Mayan Queen IV“ der milliardenschweren mexikanischen Familie Baillères fährt mit einhundert Geretteten des verheerenden Bootsunglücks vor der Südwestküste der griechischen Halbinsel Peloponnes in den Hafen der Großstadt Kalamata ein.

Noch tief in der Nacht zu Mittwoch, um genau 2:04 Uhr Ortszeit, hatte der Kapitän eines mehrere Stunden zuvor herbeigeeilten Schiffes der griechischen Küstenwache seiner Einsatzzentrale mitgeteilt, dass das vom ostlibyschen Tobruk in See gestochene Fischerboot mit Kurs auf Italien mit mehreren hundert Flüchtlingen und Migranten an Bord zunächst eine Steuerbord-, dann eine steile Backbord- und schließlich eine weitere Steuerbordwende vollzog.

Sie war so stark, dass das Fischerboot kenterte. Die nautische Terminologie dafür lautet: „Flopping“. Zehn bis fünfzehn Minuten später sank das völlig überfüllte Schiff vollständig. Manche Flüchtlinge und Migranten auf den Außendecks sprangen oder fielen über Bord. Die Griechen starteten eine groß angelegte Such- und Rettungsaktion.

Für das Gros der Bootsinsassen kam jede Hilfe zu spät. Informationen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt des Bootsunglücks bis zu 750 Menschen an Bord des Fischerboots. Die insgesamt 104 Geretteten, darunter vier Personen, die direkt von der Unglücksstelle per Hubschrauber nach Kalamata geflogen wurden, waren ausschließlich Männer im Alter von 16 bis 40 Jahren. Laut Medienberichten stammen sie aus Syrien, Pakistan sowie Ägypten. Sie kommen in das Flüchtlingslager in Malakassa nördlich von Athen.

Es bleibt unklar, wie viele Schutzsuchende ums Leben kamen (…)

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ΠΥΛΟΣ – Es ist ein Verbrechen

Von Chris Avramidis, @chris_avramidis – Twitter

Der tödliche Schiffbruch vor Pylos ist nicht nur eine für den menschlichen Verstand unfassbare Tragödie. Das Massaker an Flüchtlingen und Einwanderern ist das unvermeidliche Ergebnis der kriminellen Politik der Europäischen Union und der griechischen Regierung. Es ist das unvermeidliche Ergebnis der brutalen Unterdrückung und Militarisierung der Grenzen; der Zäune und Zurückweisungen; der Verweigerung der Hilfe für Boote in Seenot und der Aussetzung von Flüchtlingen auf hoher See; der Lager und der Abschaffung von Asyl; der ständigen Gewalt, Nulltoleranz und moralische Panik. Der 100. Jahrestag von Pylos ist das unvermeidliche Ergebnis einer Politik, die die Migration immer schwieriger, die Bewegung immer gefährlicher macht – ohne sie natürlich zu stoppen. In Pylos wurde ein Massenverbrechen begangen. In diesen dunklen Stunden ist es unerlässlich, dass wir uns nicht an den Tod gewöhnen, dass wir nicht vor der Brutalität kapitulieren. Mensch bleiben.

Pylos ist ein Verbrechen ! Lassen wir die Solidarität keinen Schiffbruch erleiden!
Protestmarsch Donnerstag 15/6 19:00Propyläen, Athen

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