Trotz Troika Erpressungen: Europas Süden bleibt rebellisch
Abschlusserklärung – Treffen der Griechenland Solidaritätsgruppen am 21./ 22. November in Kassel
Als am 25. Januar Syriza in Griechenland die Wahlen gewann, löste dies nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa eine Welle der Hoffnung aus. Hoffnung darauf, dass nun die Zeit der gnadenlosen Kürzungspolitik vorbei sei und die Zeit reif ist für eine Politik, die die Verbesserung der Lage der sozial Schwachen im Fokus hat. Den europäischen Machthabern in Berlin und Brüssel war dies ein Horror.
Von Anfang an ging es ihnen darum, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln den Erfolg des „Experiments Syriza“ zu verhindern. Nicht von ungefähr erklärten sie immer wieder, dass man die Syriza-AnEl Regierung in Schranken weisen müsse, weil ja sonst das griechische Beispiel in Europa Schule machen könnte. Mit ihren ökonomischen Gewaltmitteln würgten sie den Athener Frühling 2015 ab. Ihr ökonomisches Diktat, das „Dritte Memorandum“, sollte bei allen Gegnern der neoliberalen Gewaltpolitik Angst und Schrecken und vor allem ein nachhaltiges, lähmendes Gefühl der Ohnmacht bewirken. Mit jeglichen Träumen von einer demokratischen und sozial gerechten Welt nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa, sollte Schluss gemacht werden.
Wir müssen einräumen: Leider ist es uns in Europa und insbesondere in Deutschland im ersten Halbjahr 2015 nicht gelungen, eine breite Solidaritätsbewegung mit den Menschen in Griechenland zu entwickeln und jene massenhaften Proteste gegen die Regierung von Merkel, Schäuble und Gabriel zu organisieren, die erforderlich gewesen wären, um der Syriza geführten Regierung und der griechischen Bevölkerung in ihrem Kampf gegen die Troika spürbar den Rücken zu stärken und zusätzliche politische Spielräume zu eröffnen.
Tatsächlich löste die Unterwerfung von Syriza unter das Diktat der europäischen Machthaber in Griechenland unmittelbar einen Schock und tiefe Niedergeschlagenheit aus. Auch im Rest von Europa hatte dies ein Platzen der Hoffnungen und ein Anwachsen von Resignation zur Folge. Hier in der BRD haben seither die Regierenden den Eindruck zu erwecken versucht, als sei jetzt nach dem Sieg der Troika alles in trockenen Tüchern und die Voraussetzungen für eine Besserung der Lage geschaffen. Obwohl sich durch die im Dritten Memorandum vorgesehenen Kürzungsmaßnahmen die humanitäre Krise in Griechenland noch weiter verschärft, finden sich seit Juli 2015 in den „Qualitätsmedien“ der BRD kaum mehr Berichte über die soziale Not in Griechenland.
Jetzt, fünf Monate nach dem Sieg der Troika über Syriza, zeichnet sich ab, dass es den europäischen Eliten mit ihrer Angst und Schrecken verbreitenden Politik des ökonomischen Terrors nicht gelungen ist, eine nachhaltige Friedhofsruhe herzustellen – weder in Griechenland, noch im restlichen Europa. Der Generalstreik in Griechenland am 12. November, der erste Generalstreik nach Erzwingung des Dritten Memorandums und der erste unter einer Syriza geführten Regierung, zeigt, dass beträchtliche Teile der griechischen Bevölkerung das Kämpfen nicht verlernt haben und die von der Troika angestrebte Friedhofsruhe in Griechenland wohl ein frommer Wunsch von Schäuble, Juncker, Draghi und Lagarde bleiben wird.
Gleichzeitig tut sich ausgerechnet in dem Land, das den Griechen von den Euromachthabern immer als Musterbeispiel für Troika-konformes Verhalten präsentiert wurde, Erstaunliches. In Portugal wurde am 4. Oktober faktisch die Troika-gefällige Regierung Passos Coelho abgewählt.
In Portugal ist die Regierungsübernahme einer sozialdemokratischen Minderheits- regierung in den Bereich des Möglichen gerückt, die – abhängig von der Tolerierung durch die portugiesische KP und den „Linksblock“ – erklärt hat, die Politik der Austerität nicht fortführen zu wollen. Auch wenn wir in unserer Einschätzung der politischen Lage in Portugal gewiss unterschiedlicher Meinung sind, so zeigt das aktuelle Beispiel Portugal doch eines: Trotz ihrer gewaltigen Machtfülle haben die Eliten in Berlin und Brüssel Europa nicht so im Griff, wie sie sich das gerne wünschen.
In dieser Situation ist die Fortsetzung, ja Intensivierung unserer Solidaritätsarbeit mit den Menschen in Griechenland wichtiger denn je. Zum einen, weil das Dritte Memorandum die humanitäre Lage in Griechenland noch weiter verschärfen wird und für die Menschen unsere Unterstützung wichtiger ist denn je. Zum anderen, weil das Andauern des Widerstands in Griechenland und der mögliche Bruch mit dem Regime der Austerität in Portugal zeigen, dass Widerstand gegen den neoliberalen Irrsinn nicht nur nötig, sondern auch möglich ist. Wir werden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, den Mantel des Schweigens zu durchbrechen, den die tonangebenden deutschen Medien über die von der Troika angerichteten Verwüstungen zu hüllen versuchen.
Wir werden die politische und praktische Solidarität mit den Menschen in Griechenland fortsetzen, die unter den Folgen der Kürzungspolitik schwer zu leiden haben. Das betrifft – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Gesundheitspolitik, die Bildungspolitik in all ihren Ausprägungen (von den Kindergärten bis zu den Universitäten), die Frage der Massenarbeitslosigkeit, des Mindestlohns, des Arbeits- und Tarifrechts, Situation der Frauen, der alten Menschen und der Flüchtlinge. Wir wenden uns gegen die Privati- sierungen von öffentlichen Einrichtungen und öffentlichem Eigentum.
Wir wenden uns in aller Schärfe gegen die Versuche der führenden Mächte in der Europäischen Union, in Griechenland riesige Internierungslager für Flüchtlinge einzurichten, um die Weiterreise der Flüchtlinge in Richtung Kerneuropa zu verhindern.
Wir werden auch in Zukunft die Themen Reparationen, individuelle Entschädigungen und Zwangskredit im Zusammenhang mit den während der Nazibesatzungszeit in Griechenland begangenen Massaker und Verwüstungen auf die Tagesordnung setzen.
Nach wie vor steht für Griechenland das Thema der Schuldenstreichung ganz oben auf der Tagesordnung. Wir verstehen uns als Teil einer europaweiten Bewegung für Schuldenaudits und Schuldenstreichungen.
Nach der Niederlage der Syriza geführten Regierung drängt sich natürlich die Diskussion über europäische Perspektiven des Widerstands auf. Die Organisierung einer europaweiten Anti-Austeritätsbewegung und die solidarische gemeinsame Weiterentwicklung unserer Vorstellungen darüber, wie ein anderes Europa aussehen kann, sind weitere wichtige Schlussfolgerungen, die wir aus dem Kampf und der Nieder- lage in Griechenland ziehen.
Wir erklären: Trotz des Dritten Memorandums und erfolgreicher Erpressung der Syriza-AnEl Regierung durch die Troika: Der Widerstand gegen die antisoziale, menschenfeindliche Politik der Troika geht weiter. Ein Bruch mit der Politik der Austerität ist unverzichtbar – in Griechenland und allen anderen Ländern in Europa.
Verabschiedet am 22.11.2015 von den anwesenden Mitgliedern des bundesweiten Treffens der Griechenland Solidaritätsbewegung