Ein anderes Europa war nicht möglich

Zehn Jahre nach dem OXI-Referendum gegen Austeritätspolitik liegt Griechenlands Linke in Scherben.

Von Boris Kanzleiter – RLS (von 2016 bis 2023 Leiter des Auslandsbereichs der Rosa-Luxemburg-Stiftung und leitet seit 2024 das RLS-Büro in Athen).

SYRIZA-Anhänger*innen feiern ihren Sieg beim «Oxi» -Referendum in Athen, 5.7.2015. Foto: IMAGO / ZUMA Press Wire

Als im Laufe des Abends des 5. Juli 2015 die ersten Ergebnisse des Referendums bekannt wurden, jubelten die vielen tausend Bürger*innen, die sich auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament in Athen zu einer spontanen Kundgebung zusammengefunden hatten. Sie einte das Gefühl, Geschichte zu schreiben. Als um Mitternacht das Endergebnis über die Bildschirme flimmerte, trauten viele ihren Augen nicht: 61,31 Prozent hatten mit «Oxi» (Nein) gestimmt. Damit war klar: Die große Mehrheit der Griech*innen trotzte den Drohungen aus Brüssel und der Angstkampagne der Massenmedien. Die Wähler*innen folgten stattdessen der erst im Januar des Jahres gewählten Linksregierung unter Führung des charismatischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Das «Oxi» machte deutlich: Die große Mehrheit der Menschen, weit über das linke Lager hinaus, wollte ein Ende der Kürzungs- und Privatisierungspolitik. Und die Linkspartei SYRIZA repräsentierte mehr als ihre Wähler*innen – sie repräsentierte die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft. 

Tatsächlich markierte das Referendum einen historischen Einschnitt, auch wenn dieser ganz anders endete, als es sich die Jubelnden auf dem Syntagma-Platz erträumten. Denn das «Nein» war zwar ein Signal des kraftvollen Widerstands gegen die mächtige sogenannte Troika aus Europäischer Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB), die Griechenland seit Jahren immer neue Sozialkürzungen und Privatisierungen aufgezwungen hatte. Doch die Freude währte nur kurz. Denn trotz des Votums setzte nur wenige Tage später die Troika ihr Diktat durch. Das «Nein» markierte damit den Höhepunkt, aber auch den Endpunkt einer jahrelangen Protestwelle, die in ihrer Bedeutung weit über Griechenland hinausging. Waren die Proteste ein wichtiger Impuls für die internationale Linke gewesen, bereitete die Troika nun den Weg für die Durchsetzung einer neoliberalen Umstrukturierung, die der heutigen Rechtsentwicklung in Europa Vorschub leistete. (…)

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