Verlorene Chance und Niederlage ab 2015

Damals stimmte eine Mehrheit in Griechenland mit NEIN/OXI gegen das EU-Kürzungs-diktat. Doch die Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras gab kurz darauf nach – eine Zäsur, die die europäische Linke bis heute nicht wirklich aufgearbeitet hat.
Liebe Griechenland-Freunde und Genossen, ich habe einen Text erstellt, der hoffentlich aufschlussreich ist. Es steht alles in der von mir verfassten Einleitung. Viel Erkenntnis beim Lesen, wünscht Hubert.
„In diesem Jahr 2025 jährt sich zum 10ten Mal die Volksabstimmung über das Ja oder
das Nein („OXI“) zu dem Diktat der Troika (diese bestand aus dem Internationalem
Währungsfond IWF, der Europäischen Union und der EZB, der Europäischen
Zentralbank) und dem Akzeptieren des Diktats durch die Partei SYRIZA und ihren
großen Vorsitzenden Alexis Tsipras. Diese Volksabstimmung endete mit einem überwältigenden Sieg des „OXI“ (über 60 Prozent). Leider akzeptierte Alexis Tsipras wenige Tage nach dieser Volksabstimmung das Diktat der Troika.
In diesem Jahr läuft in Griechenland eine Diskussion über die Niederlage von 2015.
SYRiZA und andere Bestandteile der inzwischen zerfallenen Partei bestehen notorisch
auf der Richtigkeit der damaligen Entscheidung gegen das Volk. Andere Linke sagen,
diese Entscheidung war falsch. Im Rahmen dieser Debatte fand bereits am 27sten Februar eine
Diskussionsveranstaltung an der Pandion-Universität statt, zu der 6 Organisationen
der antikapitalistischen radikalen Linken eingeladen haben. Diese Organisationen waren:
- APO („Antikapitalistische Politische Organisation“)
- DEA („Internationalistische Arbeiterlinke“)
- DIKTIO („Netzwerk für die gesellschaftlichen und politischen Rechte“)
- KEMA („Einheitsbewegung der kämpfenden Linken“)
- METAVASI („Organisation für die kommunistische Perspektive“)
- XEKINIMA („Internationalistische Sozialistische Organisation“)
Für XEKINIMA bezog in ihrem Redebeitrag die Genossin Eleni Mitsou Position. Ihre Rede ursprünglich in griechischer Sprache in der Zeitschrift Xekinima soll hier übersetzt in einer gekürzten Paraphrase wiedergegeben werden: In der Zeit der Eurokrise und der erpresserischen „Memoranden“ von EU, EZB und IWF hat die Bewegung einige der bedeutendsten Seiten ihrer Geschichte geschrieben. Es war ein gewaltiger Kampf zum Sturz der „Memoranden“. Die Bewegung gegen die „Memoranden“ hat gezeigt, dass dies möglich war, sie hat alles gegeben.
Es gab unzählige Initiativen und eine einmalige Schöpferkraft von der Basis der Gesellschaft, ohne dass dem Kampf irgendeine Richtung durch die politischen und gewerkschaftlichen Führungen vorgeschlagen wurde. Als Beispiele seien die Platzbesetzungsbewegung der „Wütenden“ und die Kampagne „Ich bezahle nicht“ genannt. Andererseits hat die Bewegung gezeigt, dass die Theorien über das Spontane als Antwort auf die Bedürfnisse der Bewegung in Niederlagen führen. Der Gewerkschaftsdachverband GSEE („Allgemeine Konföderation der Arbeiter Griechenlands“) verriet die Bewegung „kämpferisch“, indem er eine Vielzahl von Generalstreiks organisierte, doch diese waren zersplittert und ohne eine Eskalation oder Steigerung, ohne die Richtung auf einen Dauerstreik. Die Folge des Verrats der GSEE-Führung war, dass die Bewegung sich alternativen Politiken zuwandte, insbesondere an SYRIZA. Die Bewegung erwartete von SYRIZA, die „Memoranden“ zu stoppen und sie verschaffte dieser Partei ein Wahlergebnis von 36,5 Prozent.
Doch SYRIZA hat kapituliert. Dies war nicht einfach ein „Verrat“, denn der Kompromiss war in ihrem Programm enthalten. Alle Programme von SYRIZA unternahmen es, die„Memoranden“ zu stürzen, doch dies im Rahmen des Euro, der EU und im Rahmen des Systems, was unmöglich war. SYRIZA fehlte das Verständnis dafür, dass ein Stoppen der „Memoranden“ den Zusammenstoß mit dem europäischen und griechischen Kapital bedeutete. Es existierte und existiert weiterhin nicht die Möglichkeit eines „mittleren Weges“ zwischen den Zielen des Kapitals und den Bedürfnissen der Bewegung.
Den Konflikt mit dem Kapital zu wagen hätte bedeutet, sich zu weigern, die Schulden zu bezahlen. Dies hätte erfordert:
- Nationalisierung der Banken und der grundlegenden Sektoren der Wirtschaft
- Arbeiter- und gesellschaftliche Kontrolle und Verwaltung der Wirtschaft
- Staatliche Kontrolle des Außenhandels
- Vorbereitung einer nationalen Währung
Diese Schritte wären notwendig gewesen beim Zusammenstoß mit dem Kapital, um dadurch Politiken zugunsten der Volksschichten zu verwirklichen und um die Volksschichten gegenüber der Sabotage des Kapitals zu verteidigen. Diese Schritte sind gleichzeitig Schritte, um den Kapitalismus zu stürzen und die Grundlagen zu legen für einen sozialistischen Weg des Landes. Eine solche Politik hätte auch einen bedeutenden Widerhall im Ausland gefunden.
Die Kraft von SYRIZA mit einer internationalistischen Perspektive hätte in ganz Europa, insbesondere in den südeuropäischen Ländern und international einen Widerhall finden können. In der Woche der Volksabstimmung für das Nein („Ochi“) zu den „Memoranden“ im Sommer 2015 gab es Hunderte von massenhaften Versammlungen zur Unterstützung Griechenlands in europäischen Städten. Doch SYRIZA fehlte eine internationalistische Perspektive, es fehlte der Wille zu und die Vorbereitung auf einem antikapitalistischen Umsturz.
SYRIZA fehlte ein alternativer Vorschlag und eine alternative Vision. SYRIZA unterstützte die Kämpfe der Volksschichten, doch sie machte nie Vorschläge für diese Kämpfe. Es gab nie einen Führungsstab, der geplant hätte, der über demokratische Prozesse den Zusammenstoß mit dem Establishment vorbereitet und geplant hätte. Stattdessen sagte SYRIZA, insbesondere nach dem „Purzelbaum“, dem Umfallen im Sommer 2015, die Menschen seien nicht bereit gewesen zum Zusammenstoß mit dem Establishment.
Im gegnerischen Lager gab es einen Führungsstab durch die Troika und die griechische herrschende Klasse, voller Planung und voller Entschlossenheit. SYRIZA weigerte sich, die Rolle eines Führungsstabes zu spielen. Doch ohne einen Führungsstab konnte und kann man den Angriffen der Gegenseite nicht entgegentreten. Das Scheitern von SYRIZA betrifft jedoch nicht nur die Führung dieser Partei. In dieser Periode sind genauso die Kommunistische Partei Griechenlands KKE und ANTARSIA (ein Bündnis aus antikapitalistischen radikalen Linken) für das Scheitern verantwortlich.
Der Weg von SYRIZA wurde klar nach den Wahlen von 2012, als sich diese Partei entschloss, sich nach rechts zu bewegen. Dieser rechte Weg wurde vollendet durch die Schaffung eines „Präsidialsystems“ innerhalb der Partei. Auf dieser Grundlage wurde Alexis Tsipras, der Vorsitzende und die Gruppe um ihn herum völlig unabhängig von der Parteibasis und völlig unabhängig von den Organen der Partei.
Der Weg der Sozialdemokratisierung von SYRIZA wurde offensichtlich auf allen
Ebenen, vom Programm bis zur Führungsstruktur im Namen der Demokratie:
Wahl des Vorsitzenden durch die Mitglieder und zwar so, dass die Organe der Partei
(also die Mitglieder der Partei, der gewählte Parteitag und der Parteivorstand) ihren
„Führer“ Alexis Tsipras nicht mehr kontrollieren und abberufen konnten. Dies wurde
als Höhepunkt der Demokratie verkauft. (Der sozialistische Populist Andreas
Papandreou, der „charismatische“ PASOK-Führer aus den 70er, 80er und 90er Jahren
lässt grüßen (Kommentar des Verfassers und Übersetzers.)).
Die „linke Opposition“ innerhalb von SYRIZA hatte die Illusion, dass sie den Weg von
SYRIZA bestimmen könnte. Es gab keine ausreichende Vorbereitung auf die
Perspektive der Spaltung der Partei und den Tag danach.
Die antikapitalistische Linke innerhalb von SYRIZA hätte sich von Anfang an zu einem
oppositionellen Pol mit föderativer Struktur zusammenschließen müssen, mit
Koordination und einem gemeinsamen Plan. Dies auch gemeinsam mit der
antikapitalistischen Linken außerhalb von SYRIZA, trotz der Unterschiede in der Taktik
gegenüber SYRIZA. Dies durch Koordinierung und Vorbereitung auf den Moment, wo
SYRIZA vor der Troika kapitulieren würde.
Doch ANTARSIA nahm gegenüber der Linken in und um SYRIZA eine feindselige
Haltung ein. Sie glaubte, wenn SYRIZA verraten würde, dann würde sie gerechtfertigt
sein und die Volksschichten würden sich massenhaft ihr zuwenden. Doch diese
Perspektive bestätigte sich nicht. Aus dieser Tatsache hat ANTARSIA keinerlei
Schlussfolgerungen gezogen. Sie hat auch keine Schritte im Verständnis der
Einheitsfronttaktik unternommen, eine Taktik, die von den Bolschewiki in klassischen
Texten (von Lenin in „Der linke Radikalismus, Kinderkrankheit im Kommunismus“ oder
von Trotzki) beschrieben worden ist.
Ebenso nahm die KKE eine feindselige Haltung gegenüber der SYRIZA-Linken ein. Die
KKE hatte nicht nur keine Einheitsfronttaktik, sie wurde zum Hindernis für die Kämpfe
der Bewegung. So z.B. für die Kämpfe der „Wütenden“ und der Platzbesetzungsbewegung. Und auch gegenüber der Volksabstimmung für das „Ochi“. (Die KKE rief bei der Volksabstimmung nicht für das „Ochi“ auf, sondern für Enthaltung.) Wenn die KKE und grundlegend ANTARSIA eine Beziehung der Zusammenarbeit mit der SYRIZA-Linken, mit den Menschen von SYRIZA gehabt hätten, wenn sie die SYRIZA-Führung kritisiert hätten und davor gewarnt hätten, wohin das SYRIZA-Programm führen würde und schließlich auch real geführt hat, alles auf der Basis gemeinsamer Kämpfe, der gemeinsamen Planung der Kämpfe usw., dann hätte 2015 in der Stunde der Kapitulation von Tsipras, in einer Zeit, in der sich das Bewusstsein breiter
Schichten in großer Geschwindigkeit radikalisierte, die antikapitalistische Linke einen
massenhaften Charakter annehmen können. Dann hätte der Weg der Geschichte
vielleicht geändert werden können.
Was die Bewegung 2010-2015 gebraucht hätte, war ein Pol mit klar
antikapitalistischem Programm:
- mit Aktionsvorschlägen, mit Vorschlägen für den Zusammenschluss und den
Kampf der Bewegung - mit Gleichwertigkeit zwischen den Parteien und Organisationen der
antikapitalistischen Linken - sowohl innerhalb als auch außerhalb von SYRIZA mit der Einheitsfronttaktik
- ohne dass die Frage der unterschiedlichen Taktik ein Thema des Kampfes und
des Konfliktes untereinander wird.
Das ist es, was die Bewegung gebraucht hätte und was sie heute braucht, einen
alternativen Pol mit einem klar antikapitalistischen Programm, einem auf der
Einheitsfronttaktik beruhenden Programm, demokratisch und in Gleichberechtigung
der verschiedenen Komponenten im Innern. Heute wären das ANTARSIA, die KKE und
Mera25, die Partei von Jannis Varoufakis (Er war Finanzminister unter Tsipras und hat
bei Kapitulation von Tsipras aus Protest SYRIZA verlassen und die in mehreren
europäischen Ländern aktive Partei Mera25 gegründet, Anm. des Verfassers).
Bisherige Versuche in dieser Richtung, an denen sich „Xekinima“ beteiligt hat, haben
mit günstigen Gegebenheiten angefangen und sind doch gescheitert aufgrund des
Fehlens politischer Klarheit und aufgrund des Fehlens eines klaren Weges zum Aufbau
eines alternativen Pols.
Heute unternehmen wir erneut einen Versuch in dieser Richtung. Dies ist der einzige
Weg. Wenn er gelingt, wird das auch Widerhall finden.“
Diese Paraphrase ist erstellt worden von Hubert Schönthaler, Köln
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