Mögen sie auf uns einprügeln! Mögen sie uns schikanieren!

Pressemitteilung der Arbeiter*innen von Vio.Me
vom 29.07.2020 zum Vorgehen nach der Stromabschaltung am 30.3.2020

dt. Übersetzung: Griechenland Solidaritätskomitee Köln (GSKK)

Gleichgültig was sie tun, wir Arbeiter*innen der Sozialkooperative VIOME haben beschlossen, dass wir sie nicht brauchen, um zu überleben, und sie können auch ohne unser Zutun kaputtgehen!
Seit 2012 kämpfen wir darum, unsere Arbeitsplätze zu behalten, unsere Familien zu ernähren und unsere Würde zu bewahren. Aber die politische Macht und ihre Vollstrecker, die einen ruinösen Kurs im Wiederaufbau der dringend benötigten Produktionskapazitäten fahren, tun alles Mögliche, um uns loszuwerden. Doch „sie machen die Rechnung ohne den Wirt“! Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, denn wir haben noch einen langen Weg vor uns …
Am 30. März, inmitten der Pandemie und der Ausgangssperren: „Kollegen“ des staatlichen Stromversorgers (DEI) in Begleitung von Spezialeinsatzkräften der Polizei haben die Stromversorgung der Fabrik abgeschaltet, während wir intensive Verhandlungen mit dem Arbeitsministerium führten, um eine Lösung für den Weiterbetrieb der Fabrik zu finden. Seit vier Monaten ist unsere Stromversorgung abgeschaltet und wir produzieren weiter mit Hilfe von Stromgeneratoren.

Egal aus welchem Blickwinkel man es betrachtet, das Recht ist stets auf unserer Seite:

1) Unser Boss hat die Fabrik klammheimlich aufgegeben und die ausstehenden Löhne für mehrere Monate nicht ausgezahlt. Und freilich ist kein Wort über das Kündigungsrecht und die vorgesehene Abfindung verloren worden! Wir, die Arbeiter*innen der VIOME, haben die Weiterführung der Fabrik gefordert und hatten uns bereit erklärt, die Produktion in eigener Verantwortung zu übernehmen. Vom ersten Moment an haben wir vorgeschlagen, die Rechnung für den Strom, den wir verbrauchen, zu bezahlen. Wir haben einen eigenen Stromzähler des staatlichen Stromversorgers (DEI) beantragt, doch unsere Forderung wurde abgelehnt. Sie verlangen von uns die Begleichung der Schulden der früheren Eigentümer – der Eigentümer, die uns die ausstehenden Löhne, Abfindungen, Rentenversicherungsbeiträge u.v.a.m. schulden. Doch eine Lösung ist nicht in Sicht.

2) Wir haben die Produktion auf andere Produkte umgestellt, und haben Wege gefunden, ihren Vertrieb zu organisieren; wieder haben wir nach eigener Strom-, Wasser- und Gasversorgung gefragt, um in einem extrem wettbewerbsfähigen Umfeld und inmitten einer Krise weitermachen zu können. Doch eine Lösung ist nicht in Sicht.

3) Seit 7 Jahren arbeiten wir bei einem sehr niedrigen Lohn, um die Fabrik am Leben zu halten und die Existenz der Kolleg*innen zu sichern. Doch eine Lösung ist nicht in Sicht.

4) Wir exportieren unsere Produkte und zahlen sämtliche Steuern, ohne die finanzielle Unterstützung durch das Partnerschaftsabkommen für den Entwicklungsrahmen 2014-2020 (ESPA)(1) oder sonstige Finanzspritzen aus staatlicher Hand in Anspruch zu nehmen, also Subventionen, die sonst den Unternehmern großzügig gewährt werden. Und wieder ist keine Lösung in Sicht.

5) Wir haben viel dazu beigetragen, eine Lösung für Betriebe in Form von Sozialkooperativen zu finden, damit das Funktionieren ihrer Projekte gewährleistet wird. Schließlich besagt das Gesetz über die soziale Solidarökonomie, dass der Staat und die entsprechenden staatlichen Träger den Kooperativen, die unter den institutionellen Rahmen der Sozialen und Solidarischen Ökonomie (K.AL.O) (2) fallen, jede mögliche Unterstützung gegeben werden sollte. Bezüglich unseres Rechtsstreits haben wir eine rechtliche Lösung vorgeschlagen, die eigentlich sie hätten geben sollen. Unsere Rechtsanwälte haben unendlich viele Arbeitsstunden damit verbracht, eine Lösung zu finden, und haben einen Vorschlag unterbreitet, der funktionieren kann. Aber immer noch ist keine Lösung in Sicht!

Nun gut, wenn ihr nicht wollt, wir können eine Lösung finden!
Wir haben versucht, über unsere parlamentarischen Kontakte einen Ausweg zu finden, um einen tragfähigen Kompromiss zu erreichen, der den Weiterbetrieb der Fabrik sichert. Über den Sekretär der Partei MeRA25 (3), Yanis Varoufakis, haben wir den Energieminister, Herrn Hatzidakis, mit der Bitte kontaktiert, die Stromversorgung wiederherzustellen, um die Produktion inmitten der Pandemie fortzusetzen, denn besonders zum jetzigen Zeitpunkt gibt es einen großen Bedarf an Artikeln der persönlichen und häuslichen Reinigung und Hygiene. Er (der Minister) verwies uns an einen gewissen Herrn Pefkiadakis, der angeblich eine Lösung erarbeitet hatte. Und dieser wiederum hat uns an einen Herrn Oikonomou verwiesen, der auch Rechtsberater des staatlichen Stromversorgers (DEI) ist. Nachdem auch er unsere wertvolle Zeit mit der angeblichen Lösung vergeudet hat, verwies er uns an zwei weitere Mitarbeiter, eine Frau Manioti und einen Herrn Karakousis, die sich noch nicht einmal die Mühe gemacht haben, unseren Antrag auf Wiederanschluss ans Stromnetz zu beantworten – auf ihren Gegenvorschlag warten wir immer noch

So behandeln die „Eliten“ des Establishments die Arbeiter*innen, die für das Recht auf Arbeit kämpfen. Vielen Dank „liebe Leute“ für die Gleichgültigkeit und auch dafür, dass ihr euch nicht Mühe gemacht habt, unser Anliegen zu bearbeiten. Ihr solltet wissen, „Kollegen im Öffentlichen Dienst“, dass wir niemals unsere Forderung nach dem Wiederanschluss ans Stromnetz des Stromvesorgers (DEI) aufgeben werden. Denn der staatliche Stromversorger (DEI) ist kein Privatbesitz der „Eliten“! Im Gegenteil, das Volk hat für die Schaffung der öffentlichen Versorgung bezahlt, daher hat kein Mensch das Recht, Entscheidungen in Abwesenheit des Volkes zu treffen und schon gar nicht seine Forderungen und Anliegen zu ignorieren. Aber wenn es um Entscheidungen geht, die große Fußballvereine, Regierungsparteien, „prominente Unternehmer“ und mächtige Unternehmen, die von staatlichen und gemeinschaftlichen Fonds subventioniert werden, betreffen, dann erfolgen die Antworten kurzerhand und fallen positiv aus! Und all das, obwohl wir keine Schulden haben und sofort unsere Verbindlichkeiten begleichen, und zwar nicht nur die Verpflichtungen gegenüber dem Fiskus, sondern auch die gegenüber den Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten, denn wir haben volles Verständnis für die Situation der Kolleg*innen, die in diesen Betrieben beschäftigt sind, und respektieren die Menschen unserer gesellschaftlichen Klassen.

Wir werden es so machen, wie wir es immer getan haben. Unser Grundsatz: kämpferischer Kooperativismus.
Nach langem Warten haben wir unsere Entscheidungen getroffen, denn das haben wir genauso seit Anbeginn unseres Kampfes getan.

Wir haben folgendes beschlossen:

a) die Anschaffung eines 70 KVA-Generators für den Produktionsbedarf,

b) die Anschaffung eines 32 KVA-Generators für Notfälle und Engpasssituationen,

c) die Anschaffung eines Ölkondensationskessels für das Erhitzen von entionisiertem Wasser auf 105 °C, das wir für die Produktion benötigen,

d) den Bau eines Photovoltaik-Moduls (Photovoltaik-Anlage) für die Bewachung der Fabrik in den Abend- und Nachtstunden,

e) die Anschaffung noch eines 8 KVA-Generators für den Fall, dass die Leistung des PV Moduls nicht ausreicht,

f) die Anschaffung einer neuen Dampfkesselanlage, die höhere technische Anforderungen erfüllt,

g) die Abkoppelung der Beleuchtung der Fabrik mit Scheinwerfern während der Nachtbewachung mit Hilfe des PV Moduls.

All dies wäre natürlich nicht möglich ohne die ununterbrochene praktische Solidarität, die VIOME direkt nach der Stromabschaltung erhalten hat. Nämlich die Solidarität, die immer wieder nach jeder Bekanntgabe von konkreten Problemen an unserer Seite steht und unsere Existenz und den Weiterbetrieb der Fabrik unterstützt.
Vielen Dank an alle, die uns die ganze Zeit zur Seite gestanden haben und es auch weiterhin tun. Wir versprechen, alles zu tun, um die hohe Qualität unserer Produkte zu halten und sie auch weiter zu erschwinglichen Preisen anzubieten – erschwinglich für alle und nicht nur für die wohlbetuchten Schichten.
Mit kämpferischen und solidarischen Grüßen
Die Arbeiter*innen der Sozialkooperative VIOME

http://biom-metal.blogspot.com/
Infos auf: www.gskk.org

Fußnoten:
(1) ESPA = Partnerschaftsabkommen für den Entwicklungsrahmen 2014-2020 (Partnership Agreement for the Development Framework 2014-2020) – Förderprogramme der EU
(2) K.AL.O ist die griechische Abkürzung für Social Solidarity Economies (SSE) bzw. Soziale Solidarische Ökonomie(n). Den institutionellen Rahmen regelt das Gesetz 4430/2016. Sein sachlicher Geltungsbereich umfasst zurzeit ca. 1400 Projekte. Auch VIOME ist als Sozialkooperative entsprechend registriert. Nähere Hintergrundinformationen zum Gesetz 4430/2016 sind zu finden unter:
https://www.labournet.de/internationales/griechenland/wirtschaft-griechenland/kurzbericht-soziale- solidaroekonomie-griechenland/
(3) Die Partei MeRA25 von Yanis Varoufakis ist der griechische Ableger der paneuropäischen DIEM25- Bewegung.

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