Kölner Griechenland-Solidaritätskomitee (GSSK) besuchte im Oktober 2013 Thessaloniki

Kölner Griechenland-Solidaritätskomitee (GSSK) besuchte im Oktober 2013 Thessaloniki

 von Hubert Schönthaler, Köln

Mitte Oktober 2013 besuchte eine dreiköpfige Delegation des Griechenland-Solidaritätskomitees Köln (GSKK) die Kölner Partnerstadt Thessaloniki in Nordgriechenland. Dies sollte ein Beitrag sein, die Städtepartnerschaft von unten ein Stück voranzubringen.

Das Kölner Komitee hat sich im Juni 2012 gegründet, um die wirkliche Situation der griechischen Gesellschaft in Zeiten des Troika-Diktats des internationalen Kapitals und der tiefen Krise des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, verstärkt in Griechenland und in ganz Südeuropa, sowie weiter zurückreichende historische Tatsachen wie beispielsweise die Verbrechen des deutschen Faschismus während der deutschen Besetzung Griechenlands (1941-1944) in Köln und auch darüber hinaus bekannt zu machen. Der praktische Schwerpunkt unserer Solidaritätsarbeit liegt in der Bemühung, das Beispiel des von den Arbeitern besetzten und selbstverwalteten und seit Frühjahr 2013 wieder produzierenden Betriebes „Viomichaniki Metalleftiki“ (Vio.Me) in Thessaloniki  dem deutschen Publikum vorzustellen und Geld für die etwa 40 Arbeiter dieses Betriebes, die auf Spenden aus der Bewegung für ihr Überleben angewiesen sind, zu sammeln.

Nachdem wir Kontakte zu Vio.Me seit Herbst 2012 per Email und Telefon aufgebaut hatten und auch zu anderen linken Initiativen und Organisationen geknüpft hatten, war nun im Oktober 2013 die Zeit gekommen, einen direkten praktischen Besuch in Thessaloniki zu organisieren. Wir fuhren also mit drei Genossen in die Metropole Nordgriechenlands, die „Mithauptstadt“.

Thessaloniki hat mit Umland etwa eine Mio. Einwohner und liegt am Thermaischen Golf im Norden der Ägäis, wobei das bekannte Tourismusgebiet der Halbinsel Chalkidike  sich in direkter Nachbarschaft befindet. Thessaloniki ist wie alle griechischen Städte stark von der Krise getroffen und weist sehr unterschiedliche Gebiete auf. Von westlichen Stadtteilen mit hohem Migranten- und Flüchtlingsanteil, wo fast Verhältnisse wie in der Dritten Welt herrschen, über das nach dem ersten Weltkrieg und dem großen Brand 1917 neu geplante und aufgebaute Stadtzentrum, wo bis auf politische Plakate wenige Krisenzeichen festzustellen sind, bis zu dem Luxusstadtteil Perama im Osten ist die gesamte Palette sozialer Verhältnisse vorhanden.

Bereits auf der Busfahrt vom Makedonien-Flughafen ins Stadtzentrum konnte man Krisensymptome erkennen. Auf dem Weg gab es eine Schule, wo Transparente der kämpfenden Gymnasiallehrergewerkschaft OLME am Straßenrand prangten mit großen Parolen. Im vorangehenden September hatte die OLME einen heftigen 10tägigen Streik geführt, der als unbefristeter Dauerstreik konzipiert war, doch aufgrund der relativen Isolierung des Streiks im Öffentlichen Dienst und unter Anderem auch aufgrund der Gewerkschaftspolitik der PAME, der Gewerkschaftsfront der Kommunistischen Partei KKE abgebrochen werden musste.

Das Fremdenverkehrsamt im Zentrum war wegen Entlassungen geschlossen, obwohl die Stadt als auch die Region zu einem erheblichen Teil vom Tourismus leben.

Wir hatten auch Kontakte zu der marxistischen Organisation „Xekinima“ („Aufbruch“) geknüpft, die uns die ganze Woche nach Kräften unterstützte, Vio.Me,:griechische linke Organisationen und Initiativen besuchen zu können. Andere Kontakte hatten wir aus Köln bereits schaffen können. Wir führten natürlich Interviews auch mit diesen Genossen.

Wir konnten nicht nur Vio.Me besuchen, sondern auch das alternative soziale Zentrum „Mikropolis“ in der Innenstadt, die Philosophisch Fakultät der Aristoteles-Universität, ein antifaschistisches Fest in dem Stadtteil in der Nähe des zumindest bis Oktober besetzten Radio- und Fernsehsenders ET3. Ebenso konnten wir mit einer Vertreterin der Initiative „Solidaritätskasse“ sprechen, die für linke politische Gefangene in Griechenland arbeitet, deren Ziele und Ideen bekannt macht, ohne sich mit allen Kampfformen zu solidarisieren und am Ende der Reise das großartige Gesundheitszentrum „Soziale Arztpraxis der Solidarität“ in der Nähe des Vardaris-Platzes besuchen. Ein Mitglied der Gruppe hielt ein Referat über die im September stattgefundenen Bundestagswahlen vor einer Ortsgruppe von „Xekinima“. Wir besuchten auch noch eine Straßenaktion dieser Organisation mit dem Thema des Kampfes der Bevölkerung der Chalkidike gegen den (versuchten) Goldabbau auf der Halbinsel. Ein Mitglied der Gruppe sprach mit Vertretern des linken SYRIZA-Flügels, d.h. von der „Linken Strömung“/“Linken Plattform“ dieser griechischen Linkspartei, die mit der deutschen Partei DIE LINKE verbunden ist.

In dem im Stadtzentrum liegenden Gebiet um Rotonda und Galeriusbogen in der Nähe der Universität dominierten Plakate und Parolen der Anarchoszene. In der Philosophischen Fakultät der Uni fanden wir einen großen Vorraum vor voller Studenten, wo überall linke Wandzeitungen, Plaskate und ein Dutzend Infostände linker Parteien und Studentenvereinigungen aufgestellt waren.

Während eines Spazierganges auf den Burgberg „Eptapyrgio“, während der Türkenzeit „Jedi Kule“ genannt, wo Anfang der 80er Jahre noch ein Gefängnis untergebracht war, sahen wir zahlreiche geschlossene Geschäfte mit Schildern „poulietai“ („zu vermieten“). Das Gebiet zwischen Innenstadt und „Eptapyrgio“ war von engen Gässchen durchzogen und man musste schon einige Anstrengung aufbringen, um diesen Berg hochzusteigen.

Eines Samstags, als wir auf Sightseeingtour das Wahrzeichen der Stadt, den „Weißen Turm“ („Lefkos Pyrgos“) mit einer großen Ausstellung zur Geschichte der Stadt von der antiken hellenistischen Zeit bis heute besichtigt hatten, trafen wir ganz in der Nähe während eines Rundganges auf eine Gruppe von etwa 50 Demonstranten auf dem Gehsteig vor dem Café „Myrsini“, die mit Transparent, Flugblätter und lautstarken Parolen gegen die Entlassung mehrerer Mitarbeiter des Cafés protestierten. Der Eigentümer war monatelang mit den Lohnzahlungen an die Belegschaft im Rückstand, benannte sein Café einfach um, um die ausstehenden Löhne nicht bezahlen zu müssen. Dagegen gingen die dann entlassenen Kollegen vor Gericht, natürlich auch, um ihre Wiedereinstellung durchzusetzen.

Nachdem wir weiter in dem Gebiet an der Rotonda die Hähnchenbraterei „Zoi kai Kota“ („Leben und Huhn“) besucht  hatten, lasen wir mehrere Straßen weiter ein Plakat einer „Gewerkschaft der Köche und Kellner von Thessaloniki“, das einen im Frühjahr und Sommer genau in dieser Braterei stattgefundenen Arbeitskampf beschrieb. Drei Ausfahrer des Imbisses hatten gestreikt, um höhere Löhne durchzusetzen. Nachdem die kleine Gewerkschaft damals die Braterei mit Unterstützern belagert hatte und der Eigentümer auch Schläger der faschistischen griechischen Partei „Chrysi Avgi“ („Goldene Morgenröte“) gegen die kämpfenden Kollegen eingesetzt hatte, konnten am Ende die drei gewerkschaftlich organisierten Kämpfer mit gewerkschaftlicher Unterstützung eine Lohnerhöhung und ihre Weiterbeschäftigung durchsetzen.

An diesen Beispielen zeigt sich, dass die griechische Arbeiterklasse, auch wenn die Beteiligung an Generalstreiks aufgrund der gewissen Abnutzung dieser Kampfform im Verlauf der mehrere Dutzend zählenden Generalstreiks zurückgeht, im Kleinen harte Kämpfe führt und keineswegs schon erschöpft ist.

Das erwähnte antifaschistische Fest war auch sehr eindrucksvoll. Es gab dort politische Plakate und natürlich einen Infostand über Aktivitäten mit Flugblättern der Veranstalter, der Antifaschistischen Stadtteilinitiative, einen Infostand von Vio.Me mit den neu produzierten Reinigungsprodukten und Informationen über ihren Kampf. Auch ein Infostand der „Sozialen Arztpraxis der Solidarität“ war da, wo Solidaritäts-T-Shirts für 10,- Euro das Teil verkauf und gebrauchte Medikamente aus der Bevölkerung gesammelt wurden. Ebenfalls ein Infostand der Bevölkerung der Chalkidike gegen den Goldabbau sowie einer von „Xekinima“, die in der antifaschistischen Arbeit einen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten verfolgt.

Auf dem Fest wurde selbstgekochtes Essen ausgegeben, im Prinzip umsonst oder gegen eine Spende. Der Andrang von Jugendlichen bei diesem Essen zeigt die schwierige finanzielle Lage der Bevölkerung dieses Stadtteils, die sich offensichtlich auch auf die Ernährung auswirkt.

Für den kulturellen und Unterhaltungsteil des Festes sorgten zwei zweiköpfige Musikbands, die Volkslieder, darunter Rembetika-Musik, Volksmusik („Laiki Mousiki“), was man als Schlager bezeichnen könnte, spielten und auch Musikwünsche erfüllten. Darunter war auch das Lied „Die Maschine steht nicht still…Du sollst nicht mit deinem Nebenmann sprechen“ („I michani den stamata… Me ton diplano sou mi milas“).

Auf dem Rückweg von dem Fest in die Innenstadt in der Nacht kamen wir an einem mit Transparenten versehenen Betrieb vorbei, wo die Arbeitnehmer seit Monaten ausstehende Löhne einforderten.

Die beiden Highlights der Reise waren sicherlich die Besuche bei Vio.Me. und in der „Sozialen Arztpraxis der Solidarität“. Bei Vio.Me. sahen wir im Büro, in dem die einzige Frau arbeitete, Plakate des Kampfes und auch Soliplakate aus Deutschland. Wir konnten ein einstündiges Interview führen mit dem Sprecher der Betriebsgewerkschaft von Vio.Me. Makis Anagnostou, besichtigten die Maschinenanlage und das große Materiallager der ehemaligen Baumaterialienfabrik, ebenso die heute eher handwerklich arbeitende biologische Reinigungsmittelproduktion und bekamen am Ende  ein schwarzes Solidaritäts-T-Shirt geschenkt mit dem Aufdruck des roten Logos der besetzten Fabrik, ein Zahnrad mit der Aufschrift „Der Kampf dreht das Zahnrad“ („O agonas gyrizei to granazi“).. Während unseres Besuches fand die täglich stattfindende Vollversammlung der Beschäftigten statt, auf der die Arbeit und die Arbeitsteilung besprochen wurde. Wir konnten einen Solidaritätsbeitrag von 700,- Euro überreichen, nachdem wir mit unserer Broschüre über Vio.Me. vom Dezember 2012 bereits 300,- Euro über ein Konto in Hamburg  zukommen lassen konnten.

Bei unserem Besuch in der „Sozialen Arztpraxis der Solidarität“ konnten wir ein halbstündiges Interview auf Deutsch mit dem Arzt Vassilis  führen, der auch bereits bei einem Besuch in Deutschland über das Projekt berichtet hatte. Er erklärte uns die hauptsächlich politische Zielrichtung des Projektes und machte klar, dass die praktische Arbeit der Behandlung von Kranken, egal ob Grieche oder Ausländer, egal ob krankenversichert oder nicht, erst an zweiter Stelle steht. Das Wartezimmer war voll und die Praxis hatte ein gefülltes Medikamentenlager. Es arbeiten in der Praxis  etwa  80 Ärzte, 120 Krankenpflegekräfte und Verwaltungsangestellte ehrenamtlich stundenweise oder auch länger  Die Leute der Praxis führen auch Aktionen an staatlichen Krankenhäusern durch, wo sie die Aufnahme von Kranken, die die Praxis nicht selbst behandeln kann, z.B. Krebspatienten, fordern. Es gibt ein halbes Dutzend Fachrichtungen in der Praxis, darunter auch Zahnärzte und sogar psychiatrische Behandlungen. Es sind derzeit etwa 30 % der griechischen Bevölkerung aufgrund der Arbeitslosigkeit, da das Arbeitslosengeld nach einem Jahr ausläuft, nicht krankenversichert und können daher legal in staatlichen Krankenhäusern gar nicht behandelt werden. Es kommt sogar vor, dass die staatlichen Krankenhäuser Patienten zur sozialen Arztpraxis schicken. Die Praxis liegt in einem Viertel westlich vom Stadtzentrum mit einer großen Anzahl von asiatischen Geschäften und Restaurants.

Am ersten Abend  konnte ein Mitglied der Gruppe auf Einladung eines Aktivisten des Kölner Antifa-AK, der seit mehreren Jahren Reisen in die Partnerstadt organisiert, das von der „Antiautoritäten Bewegung“ in Thessaloniki initiierte soziale Zentrum „Mikropolis“ besuchen. Es gibt dort eine Kneipe mit mittäglicher Essensausgabe zu günstigen Preisen und abends Bier, Wein und andere Getränke, eine Bibliothek mit Buchhandlung, eine Kinderbetreuung, Kleiderkammer und vieles Andere mehr.

Wir haben von unserer Reise starke Eindrücke mitgenommen, die reale Lage der griechischen Gesellschaft und den Widerstand der Bevölkerung dagegen kennengelernt und praktische persönliche Kontakte aufgebaut. Das gibt uns Kraft für die weitere Solidaritätsarbeit und zeigt uns, dass auch ein kleiner Beitrag der Solidarität in einer einzelnen Stadt wie Köln mit Griechenland und anderen Krisenländern, insbesondere im Süden Europas Früchte trägt.

Inzwischen konnten wir in Köln die Zusammenarbeit mit dem Antifa-AK und Anderen und auch die bundesweite Solidarität mit Vio.Me. ein Stück voranbringen. Aktivisten von Vio.Me. und von der „Antifaschistischen Bewegung Thessaloniki“ waren im November auf Einladung des Antifa-AK in Köln, wo Makis Anagnostou von Vio.Me. auch auf einer Veranstaltung des Komitees sprach.

Auch werden wir im März 2014 eine Veranstaltung zur Lage des Gesundheitswesens in Griechenland und am 1. Mai wie im Vorjahr einen Informationsstand auf der Veranstaltung des DGB durchführen. Wir streben an, dort Reinigungsprodukte und auch T-Shirts von Vio.Me. zu verkaufen, um wieder Gelder zur Finanzierung des Lebensunterhalts für Beschäftigten von Vio.Me. zu sammeln.

Aus Thessaloniki haben wir inzwischen erfahren, dass dort der Kampf gegen den Goldabbau auf der Chalkidike mit einer gro0en Demo weitergegangen ist und auch der Antifaschistische Widerstand gegen die Nazi-Partei „Chrysi Avgi“ („Goldene Morgenröte“) weitergeführt wird. So konnte eine Demonstration der Faschisten am „Weißen Turm“ durch Gegenaktionen der Antifaschisten verhindert werden. Teilnehmer der Gruppe überlegen sich, nächsten Herbst wieder in diese krisengeschüttelte schöne Stadt an der Ägäis zu fahren.

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