VIO.ME: Mit Arbeiterkontrolle überleben

Seit Mai 2011 halten die Beschäftigten von VIO.ME in Thessaloniki (Griechenland) ihren Betrieb besetzt, nachdem die  Eigentümer Konkurs angemeldet und die Fabrik aufgegeben hatten. Seither wird der Betrieb unter Arbeiterkontrolle selbstverwaltet und weitergeführt.

Von Geremia Carrara

VIO.ME gehörte über viele Jahre zu einem größeren Firmenkonsortium, der Johnson-Gruppe. Als die Fabrik noch in den Händen der „EigentümerInnen“ lag, wurden dort Baustoffe und chemische Reinigungsmittel hergestellt. Wer einen Fehler gemacht hatte, bekam eine Abmahnung, beim zweiten Fehler erfolgte die Kündigung. Wer eine Toilettenpause brauchte, musste sich darum kümmern, dass die Arbeit von jemand anderem weiter gemacht wurde, die Produktion musste ja laufen. 14-Stunden-Tage waren keine Ausnahme.

Jetzt produziert VIO.ME ohne die Bevormundung durch kapitalistische Manager unter der Kontrolle und Verwaltung der Belegschaft „solidarische“ Produkte, wie z.B. natürliche Reinigungsmittel. Die Beschäftigten haben einen Plan erarbeitetet und festgelegt, dass zukünftig nur noch nützliche und ökologische Produkte hergestellt werden sollen, also biologisch abbaubare Reinigungsmittel wie Handseife oder Waschpulver. Alle sollen das gleiche Geld bekommen, von der Reinigungskraft bis zum Elektriker. Jede Entscheidung soll eine Entscheidung im Konsens sein, so dass niemand ungehört bleibt. Diese Entscheidungen werden in der für alle verbindlichen Generalversammlung getro‚ffen.

Die Produktion hält nicht nur die Fabrik am Laufen, sondern sie ermöglicht es, wie die Arbeiter selbst sagen, „uns und unseren Familien, physisch und psychisch durchzuhalten. Sie hilft uns, lebendig zu bleiben, unsere Würde zu behalten und negative Auswirkungen der Langzeitarbeitslosigkeit wie Angst, das Gefühl der  Nutzlosigkeit und Depression zu vermeiden“.

Solidaritätswelle

Der Kampf der VIO.ME-Belegschaft wird von einer großen Welle der Solidarität in Griechenland, Europa und
darüber hinaus unterstützt. Seither hat sich VIO.ME zu einem Symbol für Selbstorganisation und Arbeiterselbstverwaltung im Kampf gegen die Austeritätspolitik der Troika und der griechischen
Regierung entwickelt.

VIO.ME vertreibt die erzeugten Produkte kostengünstig an Einzelpersonen und Kollektive, die sich ihrem
Selbstverwaltungsprojekt verbunden fühlen. So kann der Betrieb überleben und den Kampf um die Wiedererö‚ffnung der Fabrik auf stabilen rechtlichen Grundlagen weiterführen.

Zu diesem Zweck hat VIO.ME eine Sozialkooperative (S.E. VIO.ME) gegründet. Jedes Mitglied ist zugleich
Mitarbeiter und jeder Mitarbeiter ist auch Mitglied der Kooperative. Die Entscheidungen werden in den täglichen Arbeiterversammlungen getroffen. Das einzige individuelle Recht der Mitglieder der Kooperative ist die  Teilnahme an und die Abstimmung in den Versammlungen. Bisher jedenfalls hat es die VIO.ME-Belegschaft auf der Basis von Arbeiterkontrolle und Selbstverwaltung gescha‚ t, zu überleben und den Betrieb weiterzuführen.

Was nun?

VIO.ME belegt, dass es im betrieblichen Alltag auch ohne KapitalistInnen geht. Der Betrieb ist ein wichtiges
Symbol für Selbstorganisation und Arbeiterselbstverwaltung – eine Errungenschaft, die alle MarxistInnen unterstützen und verteidigen müssen. Aber um VIO.ME zu verteidigen, müssen wir auch o‚ffen über die Begrenztheit solcher isolierter Modelle und über die Gefahren reden, die der Arbeiterkontrolle in einer kapitalistischen Gesellschaft drohen. Eine Genossenschaft als Insel in einem kapitalistischen Meer ist auf Dauer keine Lösung, wie andere vergleichbare Situationen gezeigt haben. Solidarität durch Spenden und Kauf der VIO.ME-Produkte kann vorerst das weitere Überleben sichern, aber noch nicht wirklich einen Sprung nach vorne garantieren.

Um die politische Vision einer Gesellschaft unter der Kontrolle und Verwaltung der abhängig Beschäftigten voranzubringen, muss das kapitalistische Privateigentum an Großkonzernen und Industriebetrieben in ö‚ffentliche Hände überführt werden. Die Regierung muss unter Druck gesetzt werden, besetzte Betriebe  vollständig zu enteignen, die Arbeiterkontrolle zu legalisieren und Gelder für neue Maschinen und Nutzfahrzeuge und andere Investitionen zur Entwicklung und Verbesserung der Produktion und der
Arbeitsbedingungen zu entwickeln.

Auf der Kippe?
Bei Redaktionsschluss erfahren wir, dass Selbstverwaltung von VIO.ME gefährdet ist. Es droht im Zusammenhang mit der Insolvenz des alten Eigentümers eine gerichtlich angeordnete Zwangsversteigerung
des Grundstücks und damit möglicherweise eine gewaltsame Beendigung der Besetzung. Die Belegschaft
will aber nicht aufgeben. Die Solidaritätsbewegung fordert die Regierung zur Aussonderung der VIO.ME-Immobilien aus der Insolvenzmasse auf, damit der Betrieb unter Arbeiterkontrolle bleiben kann.

Zuerst veröffentlicht in: derfunke – marxistische linke

 

 

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