Neue Arbeitsmigration aus Griechenland – Gute Arbeit durchsetzen – Arbeitsausbeutung verhindern

Vortrag gehalten auf der Tagung Faire Mobilität am 4. Dezember 2016 in Düseldorf (es gilt das gesprochene Wort)

von Annelie Buntenbach
Geschäftsführender Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Neue Arbeitsmigration aus Griechenland
Gute Arbeit durchsetzen – Arbeitsausbeutung verhindern

Der Einführungsvortrag, von Sigrid Skarpelis-Sperk machte uns noch einmal aus einer anderen Perspektive klar, wie wichtig das Thema ist, über das wir bei unserer heutigen Veranstaltung sprechen.
Ja, es gibt eine lange Einwanderungstradition von Griechinnen und Griechen nach Deutschland.
Als Gewerkschafterin möchte ich außerdem betonen, dass viele der Menschen, die in den vergangenen Jahrzehnten aus Griechenland zu uns gekommen sind, zum selbstver- ständlichen Teil der Gewerkschaftsbewegung geworden sind.

Das ist gut so und daran können wir heute anknüpfen.

  • Wir fordern als Gewerkschaften „Gute Arbeit“ für alle Beschäftigten.

Das gilt natürlich auch für die Beschäftigten, die aus dem Ausland zu uns kommen.

  • „Gute Arbeit“ das heißt Arbeit, die anständig bezahlt und sozial abgesichert ist.

Arbeit, die eine Perspektive hat, und die nicht krank macht. Arbeit, bei der Arbeitszeit, Leistung und Bezahlung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.
Von diesem Anspruch ist die Wirklichkeit am deutschen Arbeitsmarkt leider meilenweit entfernt.

Fast jeder vierte Beschäftigte in Deutschland arbeitet heute im Niedriglohnbereich, in dem die Bezahlung nicht zum Leben reicht, mit unsicherer Perspektive und ohne soziale Absicherung.

Trotz Mindestlohn ist die Spaltung am Arbeitsmarkt immer noch dramatisch.
Die Kehrseite der guten Arbeitsmarktzahlen ist die immense Zunahme von prekären, unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, in denen miserable Löhne bezahlt werden und in denen den Beschäftigten oft elementare Rechte vorenthalten werden, wie Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder auch die Bezahlung von Überstunden.
Dies ist die Wirklichkeit des Arbeitsmarktes, auf die diejenigen treffen, die heute zu uns kommen

  • seien es Menschen aus Griechenland, aus Bulgarien und Rumänien oder seien es Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen.

Ich bin froh, dass mit dem gesetzlichen Mindestlohn eine Haltelinie gegen den immensen Druck nach unten am Arbeitsmarkt eingezogen worden ist.
Das ist ein historischer Fortschritt, für den wir lange gekämpft haben.
Jetzt ist der Mindestlohn dabei, in der Arbeitswirklichkeit anzukommen – ohne dass übrigens all die prognostizierten Katastrophen eingetreten wären.
Damit das auch flächendeckend gelingt, braucht es bessere Kontrollen und mehr Personal bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, und zwar schnell.
Die Aufweichung der Dokumentationspflicht, mit der die Kontrollen wieder von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf die Gewerbeaufsicht der Länder verlagert wurden, geht hier in die falsche Richtung.
Denn die Gewerbeaufsicht ist ja in vielen Ländern wegen der schwarzen Null so heruntergefahren worden, dass klar ist, dass hierbei nichts herauskommen kann.
Und: wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Ausnahmen vom Mindestlohn, nur dann kann diese Haltelinie gegen Dumping ihre volle Wirkung entfalten.
Andere Bereiche, in denen es noch viel zu tun gibt, betreffen die Eindämmung des Missbrauchs bei den Werkverträgen und der Leiharbeit.
Endlich liegt nun nach zahlreichen Ankündigungen ein Entwurf des Ministeriums vor.
Wir Gewerkschaften sind keineswegs grundsätzlich gegen Werkverträge.
Diese gibt es schon lange, und zwar mit Erfolg für beide Seiten.
Was wir verhindern wollen ist, dass Werkverträge als Mittel eingesetzt werden, um Löhne massiv zu drücken, die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schwächen oder Mitbestimmungsrechte von Interessensvertretungen auszuhebeln.
Der Einsatz solcher Werkvertragskonstruktionen hat leider massiv zugenommen – in der Industrie, aber auch im Dienstleistungsbereich.

Nicht zuletzt auch in so sensiblen Bereichen wie in Krankenhäusern.

  • Hier kannten wir Werkverträge bereits für Reparatur oder Baudienstleistungen.
    Soweit sind Werkverträge ja auch ok.
  • Jetzt gibt es sie auch in der Pflege, der Küche und Patientinnenversorgung.
  • Immer mehr Beschäftigte, auch aus höher qualifizierten Berufsgruppen, werden in tariflose Tochterfirmen ausgegliedert – sogenannte Servicegesellschaften.
  • Das ganze Krankenhaus besteht in der Folge aus zahlreichen Einzelgesellschaften, die alle zum gleichen Konzern gehören.
  • Den dort Beschäftigten kann es passieren, dass sie danach in ein weiteres Werk- vertragsunternehmen wechseln müssen.
  • Damit entstehen Kettenbefristungen, der Kündigungsschutz wird ausgehebelt.
    So zum Beispiel beim Marktführer Helios.
  • Sobald die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di als zuständige Gewerkschaft Werkvertragsunternehmen zu Tarifverhandlungen auffordert, werden diese Firmen binnen kürzester Zeit aufgelöst.
  • Die Beschäftigten werden in neue Firmen des gleichen Konzerns überführt.
    Hier leiden nicht nur sie an der Umgehung von Arbeitnehmerrechten, sondern auch die Qualität und die Versorgung der Patientinnen und Patienten.
  • Auch eine Betriebsrätebefragung der IGM hat gezeigt, dass inzwischen in zwei von drei Betrieben (69 %) Arbeiten über Werkverträge fremdvergeben werden.

In den letzten drei Jahren hat in 22% der Betriebe die Anzahl der Werkverträge zugenommen.

  • Dabei werden Werkverträge in allen betrieblichen Bereichen eingesetzt und betreffen Beschäftigte aller Qualifikationsniveaus.
  • Ein ebenso großes Problem ist der massenhafte Einsatz von Leiharbeit.
  • Wir wollen keine Beschäftigungsverhältnisse zweiter Klasse, sondern wir fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort!
  • Ich weiß auch, dass diese Forderung – so nötig wie es wäre – im Koalitionsvertrag nicht vereinbart werden konnte.

Und angesichts der Kampagne der Arbeitgeber und des Wirtschaftsflügels der Union gegen weitere Regulierungen wird es schwer werden, hier noch einen Schritt wei- terzukommen.

Jetzt liegt ein erster Entwurf auf dem Tisch.
Und es zeigt sich, dass wir massiv werden drängen müssen, um wenigstens das, was im Koalitionsvertrag steht, ins Gesetzesblatt zu bekommen.

Ich finde es schon mal enorm wichtig, dass Streikbrecherarbeit für Leiharbeiter nicht mehr zulässig sein soll. Damit wären wir einen großen Schritt weiter.

Die Kontrolle der Werkverträge wird durch die Verankerung von Abgrenzungskriterien direkt im Gesetzbuch erleichtert.

Allerdings fehlt im Entwurf eine Beweislastumkehr, so dass sich durch die gesetzliche Regelung die Handlungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer und deren Interessenver- tretungen in Fällen von Missbrauch nicht hinreichend verbessern.

Bei der Mitbestimmung ist nun immerhin vorgesehen, dass die Betriebsräte über Leiharbeit und Werkverträge im Betrieb informiert werden.

Das kann aus unserer Sicht nur ein erster Schritt sein.

Die Betriebsräte müssen das Recht erhalten, den Werkvertrag zu unterbinden, wenn die Interessen der eigenen Belegschaft berührt sind, vor allem dann, wenn durch den Werkvertrag im eigenen Unternehmen Arbeitsplätze abgebaut werden.

Es ist völlig klar, lieber Thorben, dass das BMAS hier keinen leichten Job hat und angesichts der politischen Gemengelage sicherlich schon einiges rausgeholt hat.

Doch klar ist auch: Wir müssen bei den Subunternehmerketten nochmal ran.
Es kann doch nicht sein, dass Unternehmen selbst keine Leistung erbringen, außer den Auftrag weiterzuschieben.

Und wenn es dann schief läuft und diejenigen am Ende der Kette leer ausgehen, dann ducken sich alle weg und niemand übernimmt die Verantwortung.

Besonders missbrauchsanfällig und schwer zu überwachen ist der Einsatz von Werk- vertrags- Beschäftigten, die aus dem Ausland von einem Betrieb entsandt werden.
Hier besteht das Arbeitsverhältnis dann mit dem Entsendeunternehmen im Ausland.
Wir brauchen hier – und das ist eine Forderung an die Europäische Kommission – fälsch- ungssichere Bescheinigungen.

Es muss sichergestellt werden, dass die Sozialversicherungsbeiträge im Heimatland auch tatsächlich bezahlt werden und dass ein vollumfänglicher Krankenversicherungsschutz existiert.

In diesem Zusammenhang fordern wir außerdem schriftliche Lohnabrechnungen über die im In- und Ausland gezahlten Löhne.

Und wir fordern, dass die Beträge ausnahmslos bargeldlos ausbezahlt werden.
Bei der vernünftigen Gestaltung des deutschen Arbeitsmarktes ist noch reichlich Luft nach oben.

Wir haben seit 2011 mit Unterstützung des BMAS im Rahmen des Projektes „Faire Mobilität“ eine Reihe von Beratungsstellen zur Unterstützung von Beschäftigten eingerichtet, die aus mittel- und osteuropäischen Ländern zu uns kommen.

Parallel dazu wurden vergleichbare Beratungsstellen in einigen Bundeländern – so auch hier in Nordrhein-Westfalen – aufgebaut.

Nicht zuletzt durch dieses Netzwerk gewerkschaftsnaher Beratungsstellen, ist uns eins klar geworden:

Mobile Beschäftigte, die hier neu auf den Arbeitsmarkt kommen, sind hochgradig gefährdet, Opfer von Ausbeutung zu werden.

Es gibt einige Branchen, wo dieses Ergebnis für uns keine Überraschung war:
Das gilt für das Bau- und Reinigungswerbe ebenso wie für den Bereich der Pflege, beispielsweise der 24-Stunden-Pflege Privathaushalten oder in der Fleischindustrie.

Wie sehr jedoch auch Automobilzulieferer und Industrienahe Dienstleistungen, die Werften und die Transportindustrie von extremen Formen von Arbeitsausbeutung betroffen sind – das hat uns schon überrascht.

Für uns ist klar:

Die aus dem Ausland zu uns kommenden Beschäftigten brauchen – neben klaren gesetzlichen Regelungen und verbesserten staatlichen Kontrollen – ein flächendeckendes System an Anlauf- und Beratungsstellen, zum Schutz vor Ausbeutung.

  • Das müssen Beratungsstellen sein, die ihren Schwerpunkt auf arbeitsrechtliche Fragestellungen legen, die aber auch in der Lage sind – jenseits juristischer Schritte – wirkungsvolle Unterstützung zu leisten.
  • Und sie müssen in den Herkunftssprachen der Menschen beraten können – so gelingt es am besten.

Wie wichtig das ist, wie wertvoll die Unterstützung des BMAS für das Projekt, aber auch wie groß das Engagement der Beraterinnen und Berater ist, zeigt sich darin, das allein in 2014 Beratung und Unterstützung in mehr als 5000 Fällen geleistet werden konnte.
Im Rahmen von Faire Mobilität ist die Broschüre

„Wissen-ist-Schutz“ entstanden.

Dabei handelt es sich um einen Leitfaden für mobile Beschäftigte aus anderen europäischen Ländern, die in Deutschland arbeiten.

Er gibt wichtige Hinweise, wie man eine Arbeit unter fairen Bedingungen finden kann.
Wir haben diese Broschüre inzwischen auf Bulgarisch, Rumänisch, Polnisch und Spanisch aufgelegt.

Und ich denke, es ist heute der richtige Anlass bekannt zu geben, dass wir nun auch eine griechische Fassung entwickelt und in einer Auflage von 15.000 Stück gedruckt haben.
Ich gehe davon aus, dass wir heute noch diskutieren, welche weiteren Maßnahmen getroffen werden können, um Griechinnen und Griechen, um alle, die zu uns kommen, besser vor schlechten Arbeitsbedingungen und Ausbeutung zu schützen.

Ich freue mich sehr auf diese spannende Diskussion und neue Anregungen.

Es gilt das gesprochene Wort!
Berlin, 04.12.2015

zum download als PDF: Broschüre des DGB „Wissen ist Schutz!“ (griechische Fassung)
zum download als PDF: Broschüre des DGB „Wissen ist Schutz!“ (deutsche Fassung)

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