„Gegen Spardiktate und Nationalismus“
Dritte Solidaritätsreise nach Griechenland Herbst 2014
Griechenland Herbst 2014
Reisetagebuch Teil IV
Donnerstag 02.10.2014
Die Reise nach Livadia, zur Aluminiumhütte in Agios Nikolaos und nach Distomo
Arbeiterzentrum Livadia
Am Donnerstag um 9Uhr stand unser Reisebus bereit uns nach Livadia zu bringen. Als erstes wollten wir zum Arbeiterzentrum fahren um dort Jannis Stathas, den Vorsitzenden des Arbeiterzentrums, zu treffen. Wie auch letztes Jahr war Jannis derjenige, der uns eine komfortable Reise ermöglichte indem er uns den Reisebus organisierte.
Jannis ist seit 2012 für Syriza als Abgeordneter im Parlament. Er ist auch stark an der gewerkschaftlichen Arbeit in Deutschland interessiert, denn Jannis war auch bei den Gegenbesuchen in Salzgitter und schaute sich das Stahlwerk und das VW-Werk dort an. Zwar ist Jannis jetzt Politiker, aber vor allem war er 15 Jahre lang Arbeiter in dem Aluminiumwerk in Agios Nikolaos und kämpfte für die Arbeiterrechte über zwölf Jahre lang.
Deswegen hat er es sich dieses Jahr nicht nehmen lassen, wieder mit uns zum Alu-Werk rauszufahren. Doch bevor es zum Aluminiumwerk geht, haben wir gefühlte fünf Minuten Zeit um uns etwas auszutauschen und auf den neuesten Stand zu bringen, noch bevor die lokalen Medien gerufen und ein kleines Interview aus dem Ärmel geschüttelt wird. Vorher will Jannis von uns wissen, wie es in Deutschland mit dem Streikrecht ist. David erzählte ihm von dem anstehenden DGB-Treffen am Wochenende, bei dem die Themen Tarifeinheit und Streikrecht genauer diskutiert werden sollen. Doch er erklärt ihm auch, dass es in Deutschland mit dem Streikrecht auch nicht so weit her ist. Jannis wirkt dabei etwas verdutzt. Ich kann ihn verstehen.
Uns interessierten dann noch die gesprühten Symbole der „Goldenen Morgenröte“ am Arbeiterzentrum und welche Bewandtnis es damit auf sich hat: Ist der Einfluss der Goldenen Morgenröte in Livadia gewachsen, gibt es zunehmenden Vandalismus und Gewalt gegenüber dem Arbeiterzentrum? Jannis winkt ab, es wäre bloß eine psychologische Zermürbungstaktik der Chrysi Avgi. Die Macht der Faschisten habe in Livadia nicht zugenommen. Zudem sei es hier ein spezieller Fall, weil das Arbeiterzentrum für die Entschädigung für Distomo durch die deutsche Regierung kämpft und die faschistische Partei in dieser Region die Notwendigkeit der Reparation nicht einsieht und negiert. Deswegen die Graffitis, aber eine wirkliche Bedrohung gebe es nicht, es sei nur das Kläffen einer Trethupe.
So klein wie gedacht sollte das Interview dann doch nicht werden. Nachdem Jannis telefoniert hatte, waren nach zehn Minuten die ersten beiden Reporter da und danach auch gleich die nächsten beiden mit einer riesigen professionellen Kamera, die auf der Schulter hockte wie ein dunkles seelenfressendes Techno-Ungetüm. Mir war der Aufwand höchst unangenehm. Zum Glück konnte der Rest der Reisegruppe hinaus, während die beiden Interviews von Manfred und Ulrike gehalten wurden.
Manfred gab ein kurzes Statement zu unserer Motivation nach Distomo zu fahren und äußerte sich zu unserer Solidarität mit den Menschen, die für die Entschädigung kämpfen, und Ulrike berichtete über uns als Reisegruppe und unsere Projektarbeit.
Da wir einen knappen Zeitplan hatten, war nach einer halben Stunde der Aufenthalt im Arbeiterzentrum vorbei und wir sputeten uns um zur Aluminiumhütte zur kommen.
Wir übergaben später eine Spende von 350,-€ für das Arbeiterzentrum von der Soligruppe aus Darmstadt.
Aluminiumhütte
Der Weg dorthin war einfach malerisch. In Richtung des Golfes von Korinth fuhren wir steile Serpentinen entlang, gesäumt von Hügeln voller Olivenbäume und Sträucher, und ab und an konnten wir Höhlen in den Felshängen erkennen, die wahrscheinlich von früheren Arbeitern als Behausungen genutzt wurden.
Schon vom weiten konnten wir den Stahlkoloss mit seinen Schornsteinen, Bohrern und Transportbändern erkennen. An der Schranke angekommen, kam uns ein Wächter hektisch aus dem Wachhäuschen entgegen geeilt und wies uns zur Seite. Es dauerte eine kurze Weile, bis wir endlich passieren konnten, von Weitem konnten wir das Signalhorn eines Krankenwagens hören. Im Büro der Betriebsgewerkschaft wurden wir dann darüber aufgeklärt, dass kurz vor unserem Eintreffen ein Unfall stattgefunden hatte, ein kaputtes Druckventil hatte zu einer Explosion geführt, doch zum Glück war keiner dabei verletzt worden.
Im Büro der Betriebsgewerkschaft trafen wir den Vorsitzenden der Betriebsgewerkschaft, seinen Stellvertreter, weitere Mitglieder und natürlich Jannis, der gesprächsbereit am vorderen Tischende saß. Im Gespräch mit den Vorsitzenden der Betriebsgewerkschaft und Jannis erfuhren wir, dass die Firma „Aluminium of Greece“ einzelne Bereiche outgesourct hatte. Zu den Arbeitern, die jetzt von anderen privaten Firmen angeheuert wurden, gehören das Putzpersonal, die Hausmeister und das Sicherheitspersonal. Ungefähr 600 Arbeitsplätze wurden fremdvergeben. Die Zahl der Festangestellten beträgt rund 1200 Arbeiter.
Arbeiter im Werk sind in zwei Gewerkschaften organisiert, die Leiharbeiter können sich nur innerhalb einer eigenen Subunternehmergewerkschaft organisieren. Dadurch haben sie kaum Möglichkeiten zu streiken oder sich mit den festangestellten Arbeitern zu solidarisieren.
Letztes Jahr wurde erwähnt, dass das Alu-Werk die wenigsten Lohneinbußen in der Industrie hatte. Dieses Jahr hatte ich das Gefühl, dass über konkrete Zahlen nicht gesprochen wurde, ja, es habe auch Kürzungen bei den alten Verträgen gegeben, aber nicht so gravierende. Die Neuangestellten bekämen allerdings teilweise sogar 50% weniger als noch vor einigen Jahren. Doch ich kann mich nicht erinnern genaue Zahlen gehört zu haben.
Während der Diskussion zeigte mir ein Arbeiter mit einer ziemlich sympathischen Langhaar-Irokesen-Frisur gehärtete Aluminiumreste, die als Symbole des großen Streiks im Büro auslagen. Damals hatten die Arbeiter flüssiges Aluminium auf die Fahrbahn gegossen um die Produktion zum Erliegen zu bringen.
Der Vorsitzende der Betriebsgewerkschaft befand sich damals noch als einfacher Arbeiter auch in einem zehntägigen Hungerstreik und musste danach ins Krankenhaus gebracht werden. Doch alles in allem scheinen die großen Themen wie Zuschläge wegen gesundheitsschädigender Arbeit und Gefahrenzuschläge vom Tisch zu sein.
Jedes Mal, wenn der Vorsitzende sich zu einem Punkt äußert, fährt Jannis ihm galant über den Mund und beendet meist das Argument für ihn. Ein bisschen finde ich es schade, denn ich möchte zwar Jannis die Kompetenz als ehemaliger Arbeiter im Alu-Werk nicht absprechen, aber über die momentane Situation hätte ich gerne schon mehr von den jetzigen Arbeitern gehört.
Ansonsten haben wir erfahren, dass die einst umsonst zur Verfügung gestellten Arbeiterhäuser jetzt für die Festangestellten mit einer symbolischen Jahresmiete von ca.20 Euro belegt wurden und eine Haus- und Grundstückssteuer vom Einkommen abgebucht werden würde. Arbeiter der Subunternehmen müssten mtl. ca. 150 Euro Miete zahlen.
Auf die Frage nach Gesundheitsschäden oder Unfällen im Werk berichtete Jannis vergnügt, was er bei seinem Gegenbesuch in Salzgitter an Sicherheitsvorkehrungen gesehen hätte, habe auf ihn um einiges gefährlicher als hier in Livadia gewirkt.
Uns interessierte auch die Absicherung der Arbeiter nach einem Unfall. Es scheinen von der Gewerkschaft für längere Arbeitsausfälle Löhne den Arbeitern gezahlt zu werden. Doch auf die Fragen, wie lange und wie es mit der Invaliden- und Frührente oder Sicherung der Familie nach einem tödlichen Unfall aussehe, wurde immer nur gesagt, dass die Gewerkschaft die Familien und Arbeiter unterstütze, doch wie genau die Firma ihre Arbeitnehmer absichert, wurde mir in dem Gespräch nicht so richtig klar.
Danach ging es zur Rundfahrt durch das Werk mit einem Kollegen, der uns zu den einzelnen Produktionsschritten Genaueres erzählen konnte.
Wir sahen die separaten Schritte der Produktion von Aluminiumoxid aus dem Rohstoff Bauxit, was durch Aufschließen in Natronlauge gewonnen wird und wichtig für die Endproduktion von Aluminium ist.
Auf die Frage, wie lange er denn glaube, dass Rohstoffe für die Produktion vorhanden seien, sagte er ganz trocken, dass es höchstens für weitere 30 Jahre reichen würde, dann wäre das Bauxit aufgebraucht.
Bei vielen von uns kamen Bilder einer Geisterstadt vor das innere Auge, wenn wir an das Arbeiterdorf dachten, von dem uns Jannis vorher noch berichtete, dass sie dort auch ihre eigene Fußballmannschaft hätten und auch sonst alles da wäre, damit die Familien sich dort wohl fühlten. Doch wie wohl werden sie sich in 30 Jahren dort fühlen?
Bei keinem der vorbei laufenden Arbeiter konnte ich Schutzmasken entdecken, aber die ganze Landschaft, alle Auto, Häuser, Fabrikanlagen waren von einem zinnoberroten Staub bedeckt. Unser Führer bestätigte mir dann das, was ich schon befürchtet hatte, die ganze Landschaft war mit Bauxit-Staub bedeckt.
Und als wir nach der Tour rausfuhren, begleitete uns der Staub noch Kilometer lang an den Bäumen und Straßenrinnen aus dem Aluminiumwerk Richtung Distomo hinaus.
Distomo
Schon auf dem Weg zur Gedenkstätte wurde mir ganz mulmig in der Magengrube. Wir mussten durch das Dorf hindurch fahren um zur Gedenkstätte zu kommen und auch an dem Platz, wo die Menschen versammelt und bestialisch erschossen und massakriert wurden.
Die Gedenkstätte selber ist in einem modernen architektonischen Stil gehalten. Dies alles kommt mir surreal und abstrakt vor. Es geht etwas den Hang hoch, dann kommt auf der linken Seite ein Marmorrelief, welches den Tag des Massakers in Bildern festhält. Von rechts nach links aufgereiht eine Geschichte, welche mich Wut und Schande und vor allem Machtlosigkeit fühlen lässt und ein Unverständnis, warum bis heute Deutschland nicht bereit ist seine Schuld und Schande einzugestehen und Entschädigung zu leisten.
Hier ist auch der Heimartort von Jannis, der bei dem schrecklichen Massaker der Waffen-SS am 10.Juni 1944 den Großteil seiner Familie verlor ( er selber wurde später geboren).
Und während wir auf dem Hügel stehen, auf dem das Monument errichtet wurde, und Jannis lauschen, der diesen Tag nochmal mit Worten aufleben lässt und von den Partisanen erzählt, die gegen die Faschisten kämpften und von den Dorfbewohnern geschützt wurden, worauf als Rache die Waffen-SS die Bewohner des Dorfes kaltblütig umbrachten, starre ich auf die steinerne Tafel, auf die Namen und das Alter der Ermordeten, die dort eingraviert für die Ewigkeit stehen. Jannis sieht dies und zeigt mir die Namen seiner Familienmitglieder: Es sind um die 15 Personen. Zwei- und Vierjährige sind dabei. Eigentlich gibt die Tafel preis, dass drei Generationen ausgelöscht wurden.
Bei manchen Namen stehen bis zu 25 Personen. Der Kloß in meinem Hals wird immer dicker, denn ich sehe auch die Namen von denen, die noch nicht mal ihre Augen richtig geöffnet hatten. Die jüngste Ermordete war ein Mädchen von gerade mal zwei Monaten. Und im Hintergrund lässt der Wind die Schnur an den Fahnenmast knallen, so dass ein monotones Klingen ertönt, wie ein Warnsignal, das uns mahnen soll.
(Doro)
Freitagmittag, 3. Oktober 2014
Empfang bei der PAME
Bei unseren Besuchen der vergangenen beiden Jahre gelang es uns nicht, Kontakte zur KKE und ihrer Gewerkschaft PAME herzustellen. Ein Bild von ihrem politischen Auftreten und ihrer Bedeutung in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen konnten wir nur von außen gewinnen – durch die Kritik an ihrem sektiererischen Auftreten. Diese Kritik wurde von allen unseren gewerkschaftlichen und politischen Kontakten geteilt, egal ob sie SYRIZA nahe standen oder eher dem linksradikalen oder anarchistischen Lager. Im letzten Jahr, anlässlich einer gewerkschaftlichen Demonstration während des Lehrerstreiks, wurden wir selbst Augenzeuge von dem tiefen Graben zwischen PAME und den übrigen Gewerkschaften. Der gut organisierte Demozug der PAME zog am Sammelpunkt der übrigen Gewerkschaften vorbei, ohne anzuhalten, ohne den Versuch den Kontakt und das Gespräch zu suchen. Man ignorierte sich schlichtweg gegenseitig. Trotz der scharfen Kritik am Vorgehen der KKE/PAME wurde von vielen unserer bisherigen GesprächspartenerInnen zugleich die Bedeutung der PAME hervorgehoben. In ihr wären viele kampfbereite Kolleginnen und Kollegen organisiert. Die KKE hätte ihre historischen Verdienste im Widerstand gegen die Besatzung Griechenlands durch die deutsche Wehrmacht, im Bürgerkrieg und im Kampf gegen die Diktatur der Obristen (1967 bis 1974), die viele Opfer gefordert hätten. Von dieser Tradition, die in den betreffenden Familien weitergeben wird, zehrt die KKE noch heute. Nach Aussagen von Sokrates aus Thessaloniki beispielsweise können KKE und PAME noch immer zu bestimmten Anlässen genauso viele Demonstranten mobilisieren wie die gesamte übrige Linke zusammen.
Unserem unermüdlichen Begleiter Damon gelang es über seine persönlichen Kontakte, ein offizielles Treffen mit der PAME zu arrangieren. Wir wollten uns nicht zufrieden geben mit der weit verbreiteten Haltung innerhalb der griechischen Linken, es wäre zwecklos mit der KKE bzw. PAME zu reden, ohne selbst den Kontakt und den Austausch zu suchen. Das entspricht ja auch dem formulierten Selbstverständnis der Reisegruppe, mit allen linken Kräften zu reden, ohne sich parteipolitisch vereinnahmen zu lassen. Wir machten uns auf den Weg mit dem Wissen um die Bedeutung der KKE und mit dem Vorsatz, durch Nachfragen und eigene Beiträge unsere Kritik deutlich zu machen.
Die PAME residiert in einem noblen Altbau in der Nähe des Syntagma. In dem großzügig ausgestatteten Büro/Konferenzraum wurden wir vom zuständigen Sekretär für internationale Beziehungen empfangen. Im ersten Teil des Gespräches erläuterte uns der Genosse die Geschichte und die Politik der PAME:
Bis 1990 existierte in Griechenland eine einheitliche Gewerkschaftsbewegung, in der alle ideologischen und parteipolitischen Richtungen vertreten waren. Zwei außen- bzw. weltpolitische Ereignisse führten zu einer Änderung des Kurses der KKE – zum einen der Beitritt Griechenlands zur EU und die Verträge von Maastricht, zum anderen der Niedergang des sozialistischen Lagers. Damals hätte die Mehrheit in der griechischen Gewerkschaftsführung das Ende des Klassenkampfes und von Streiks propagiert. Sie hätte den Weg des gesellschaftlichen Dialogs und der Sozialpartnerschaft eingeschlagen, in dem auch die Gewerkschaften zum Wirtschaftswachstum beizutragen hätten. Der Verrat der Führung hätte den Aufbau einer eigenständigen, getrennten klassenkämpferischen Front notwendig gemacht. Im April 1999 sei deshalb die PAME gegründet worden.
Heute, 15 Jahre nach ihrer Gründung, sähen sie sich in ihrem Vorgehen bestätigt. Der von den Gewerkschaftsführungen geführte soziale Dialog habe keinen Sinn. Aus dem Dialog sei in der Krise ein Diktat geworden, die Klassenkämpfe müssten deshalb weiterlaufen. Die Arbeiterklasse brauche darin eine Führung. PAME habe in den letzten vier Jahren große Kämpfe geführt. Mit den Ergebnissen seien sie nicht zufrieden. Das habe vor allem zwei Ursachen: Der Terror der Unternehmer angesichts von einer Arbeitslosigkeit von 30 Prozent und die reformistische Führung der Gewerkschaften erwiesen sich als Hindernisse.
PAME setze sich aktuell zwei Ziele: Die Wiederbelebung der Arbeiterbewegung und die Zusammenarbeit mit den Bauern, der Jugend und den Kleinbürgern. Es gäbe kleine, aber positive Schritte in diese Richtung. Die ideologischen und theoretischen Kontroversen spielten in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Der Charakter der Krise führe, je nach unterschiedlichen Erklärungen, zu entsprechenden Maßnahmen. Für die PAME wäre es im Unterschied zu anderen linken Erklärungen keine Krise der Banken und des Finanzsektors, sondern eine Krise des Kapitalismus. Auch die Politiker wären nicht schuld an der Krise, wie Chrysi Avgi behaupte. Seit zwei Monaten führe die PAME eine Kampagne gegen die Arbeitslosigkeit. Für den morgigen Samstag sei eine Kundgebung am Omoniaplatz in Athen und in 55 anderen Städten geplant, am 1. November eine zentrale Demonstration.
Anschließend stellten wir die Reisegruppe vor, insbesondere seine Zusammensetzung aus den unterschiedlichsten politischen Strömungen der Linken. Wir hoben das Prinzip hervor, dass die ideologischen und theoretischen Differenzen uns nicht daran hindern, gemeinsam praktische Schritte zu gehen, beispielsweise zum Aufbau internationaler Solidarität wie mit unseren Besuchen in Griechenland. Wir wiesen zudem auf die Erfahrungen aus Deutschland hin, wo die Gewerkschaftsführungen seit Gründung der BRD den Weg des sozialen Dialogs und nicht des Klassenkampfes gingen. Trotzdem habe es keine gesellschaftlich relevanten eigenständigen Gewerkschaften auf Seiten der Linken gegeben. Die Spaltung der Arbeiterbewegung vor 1933 habe mit zur Niederlage gegenüber dem Faschismus geführt. Die sektiererische Taktik der KPD in der Weltwirtschaftskrise (Gründung eigener Gewerkschaften, SPD als Hauptfeind) konnte nicht zur Überwindung der Spaltung auf einer eigenständigen, klassenkämpferischen Position beitragen.
Danach schilderten wir unsere Erfahrung des letzten Jahres, als der Demozug der PAME unbeirrt durch das Spalier anderer GewerkschaftskollegInnen zog. Auf die Frage, warum die PAME nicht gemeinsam mit anderen Gewerkschaften demonstriere, sondern Wert auf eigene Sammelpunkte und Kundgebungen lege, erhielten wir eine viel sagende Antwort: Das käme einer zusammen gerührten Suppe gleich, von der niemand wisse, was darin enthalten sei. Die ideologische Klarheit müsse auch organisatorisch zum Ausdruck kommen. In der Vergangenheit hätten sich auch Provokateure unter die Demonstranten gemischt, um Auseinandersetzungen vom Zaune zu brechen. Als Beispiel führte er den 5. Mai 2010 an. Die Medien erzeugten ein Bild von Gewalt und Chaos, um Angst zu schüren. Die Bevölkerung solle so von der Teilnahme an Demonstrationen abgehalten werden. (Damals kam es bei der Besetzung des Syntagma durch Hunderttausende zu Auseinandersetzungen zwischen der KKE/PAME und Demonstranten aus dem anarchistischen Lager. Als diese versuchten das Parlamentsgebäude zu stürmen, stellten sich ihnen die Ordner der PAME/KKE entgegen und wurden angegriffen.)
Zum Abschluss des Gespräches wollten wir noch wissen, wie sich die PAME gegenüber dem angekündigten Streik der Fluglotsen verhalte. Wir würden in einem solchen Fall an deren Gewerkschaft herantreten und fragen, in welcher Form wir den Ausstand unterstützen könnten. Die Antwort: Er sei über den geplanten Ausstand der Fluglotsen nicht ausreichend informiert, wir müssten darüber den zuständigen Sekretär befragen.
Ein persönliches Fazit: Ich hatte schon im Vorfeld keine große Erwartung an den Inhalt eines offiziellen Gespräches mit der PAME – wieso sollten die wegen des Besuchs einer ausländischen Solidaritätsgruppe ihre bisherige politische Linie hinterfragen lassen? Dennoch war das Gespräch in meinen Augen aus mehreren Gründen wichtig: Wir haben deutlich gemacht, dass wir auch die durch die PAME geführten Arbeitskämpfe, wie vor drei Jahren den Stahlarbeiterstreik, unterstützen. Wir sind bereit uns trotz aller Differenzen mit ihnen inhaltlich, aber auch kritisch auseinanderzusetzen. Da wir ja auch in Deutschland über unsere Erfahrungen möglichst breit informieren und diskutieren wollen, können wir die KKE nicht einfach ignorieren – zum einen wegen ihrer historischen Verdienste und ihrer politischen Rolle in den aktuellen Auseinandersetzungen in Griechenland zum anderen im Hinblick auf die DKP und ihr gewerkschaftliches Umfeld in Deutschland.
(Andy)
Freitagabend 3.10.2014
Die kämpfenden LehrerInnen sind müde
Da der größere Teil der Gruppe nach Saloniki gefahren ist, sind wir nur noch zu dritt und treffen uns mit Vassia und Nikos von der Grundschul- lehrergewerkschaft DOE und Vicky von der Gewerkschaft der Sekundar- stufenlehrer OLME. Heike übersetzt für uns. Wir unterhalten uns diesmal nicht nur über das griechische Schulwesen, sondern auch über das Schulsystem in Deutschland und die Entwicklungen dort. Neu und interessant für sie war, dass in Deutschland viele SchülerInnen nach der 10. Klasse in eine berufliche Ausbildung gehen. Für sie war damit klar, dass diese Jugendlichen keine umfassende Schulbildung bekommen. In Griechenland ist es immer noch so, dass im Prinzip alle SchülerInnen zwölf Jahre zur Schule gehen und den Abschluss machen. Das wollen sie auch verteidigen.
Deshalb war die Gewerkschaft der Sekundarstufenlehrer im September 2013 auch in den Streik getreten vor allem wegen der „Reform“ der Oberstufe, die damals eingeführt wurde. Diese sieht vor, dass nach der 10. Klasse (dem ersten Oberstufenjahr) Prüfungen durchgeführt werden mit dem Ziel, dass Schüler ausgesiebt werden, die damit dem Arbeitsmarkt (den es eigentlich gar nicht mehr gibt bei einer allgemeinen Arbeitslosenquote von 27%) zur Verfügung stehen sollen. Der Streik war damals erfolglos und dieses Jahr fanden zum ersten Mal Prüfungen statt. Eigentlich hätten die Prüfungsgebiete schon im September bekannt gemacht werden sollen, tatsächlich wurden sie drei Tage vor der Prüfung (!) bekannt gegeben. Wie zu erwarten war das Ergebnis eine Katastrophe: Durchfallquote 30%! Daraufhin setzte man die Anforderungen nachträglich herab, sodass es nicht so katastrophal aussah.
Im letzten September wurden auch noch viele berufliche Oberstufen dicht gemacht, so dass jetzt diejenigen, die nach der 10. Klasse abgeschult werden, auf private Schulen gehen müssen.
Die „Reform“ hat also zwei Resultate: Privatisierung und (für den Unterricht:) Lernen für die Prüfungen statt Lernen für die Bildung.
Was den Zustand der gewerkschaftlichen Bewegung unter den LehrerInnen angeht, so waren die Angriffe in den letzten Jahren seit der Krise so heftig und umfassend, dass die KollegInnen nicht mehr glauben, dass Kämpfe erfolgreich sein können. Die Überlegungen gehen zwar schon dahin, in Zukunft im Bildungsbereich die gewerkschaftliche Spaltung in Grund-, Sekundar- und Privatschulen zu überwinden und einen gemeinsamen Kampf zustande zu bringen und zuzuspitzen. Aber eine ungeheure Müdigkeit und Resignation stehen dem entgegen. Dazu kommt noch, dass Streiks den einzelnen immer viel Geld kosten und sie auch gefährlicher werden wegen der staatlichen Repression. Viele hoffen auf eine neue (Syriza-) Regierung, die durch Wahlen und nicht durch Kampf an die Macht kommen soll. Aber am Tag eins einer Syriza-Regierung müssen alle auf der Straße stehen um sie in eine bestimmte Richtung zu drängen oder ihren eingeschlagenen Weg zu unterstützen. Aber diese Einsicht ist sehr schwer zu vermitteln, da die Leute sagen, die neue Regierung solle das mal machen.
(Manfred)
Samstagmorgen, 4.10.2014
Wenn du Recht bekommst, wirst du entlassen
Von Nikos von Buch und Papier hatten wir erfahren, dass gegen elf Uhr vor einer Privatschule eine Aktion stattfinden würde. Als wir ankamen, standen etwa 30 KollegInnen gegenüber einem Gebäude, in dem die Schule „Prisma“ untergebracht war, mit einem Transparent und machten eine Kundgebung. Sie hatten ein Megaphon und konnten deshalb ziemlich laut sein, so dass im Gebäude in den Klassenräumen ein Unterricht wahrscheinlich nur schwer möglich war.
Es handelte sich um eine sogenannte unterstützende Privatschule, d.h. sie erteilt vor allem im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich eine Art Nachhilfeunterricht für Gymnasialschüler, so dass sie die Prüfungen bestehen können. Das ist in Griechenland durchaus üblich, besonders seit der letzten „Schulreform“, bei der Prüfungen in Fächern stattfinden, die gar nicht mehr unterrichtet werden.
Was war vorgefallen? Wie in vielen anderen Privatunternehmen auch werden an dieser Schule die Löhne, die eh schon niedrig sind, nur schleppend, mit Verzögerung oder auch gar nicht ausgezahlt. Einer Kollegin, die schon 24 Jahre an dieser Schule arbeitete und um die 400€ pro Monat bekam (Teilzeit), schuldete der Unternehmer mittlerweile einen Betrag von sage und schreibe 5700€! Da die Verträge immer nur neun Monate von September bis Juni laufen, also in den Sommerferien nichts bezahlt wird, sind das fast zwei Jahresgehälter. Sie wandte sich an ihre Gewerkschaft und sie gingen zusammen zum Arbeitsministerium. Dort gibt es eine Stelle, die solche Fälle regelt. Sie bekam Recht, ging zum Unternehmer und forderte ihr Geld, das ihr zusteht. Ergebnis: Sofortige Kündigung!
Ihre Gewerkschaft, auch eine Basisgewerkschaft, macht nun mit Unterstützung von KollegInnen aus anderen Basisgewerkschaften öfters eine Kundgebung vor der Schule und fordert ihre Wiedereinstellung. Griechischer Arbeitsalltag!
(Manfred)
Samstagnachmittag 4.10.2014
Treffen mit entlassenen Schulwächtern
Wir hatten vor einer Woche nach dem Fest gegen Rassismus in der U-Bahn einige von den entlassenen Schulwächtern getroffen und uns zu einem Treffen verabredet. Wir trafen uns bei den streikenden Putzfrauen, ich war alleine von unserer Gruppe, für mich übersetzte Hira, eine Deutschlehrerin, die uns kennengelernt hatte und spontan anbot, beim Treffen dabei zu sein. Ich kannte den Ort ja schon gut und da Samstag war, saßen wir direkt unter dem Guevara-Transparent vor dem Eingang zum Finanzministerium.
Unter Schulwächtern muss man sich so etwas wie Hausmeister vorstellen. 2001 hatte die Regierung beschlossen, dass an allen Mittel-und Oberstufenschulen (also nicht an den sechsjährigen Grundschulen) sogenannte Schulwächter eingeführt werden sollen. Diese sollten nicht nur die Hausmeisterjobs machen, sondern auch die Schulen während und nach des Unterrichts bewachen. Dazu brauchten sie einen Oberstufenabschluss, wurden aber die ganze Zeit nur als „Lehrlinge“ eingestuft, was zur Folge hatte, dass sie keinerlei Rentenbeiträge bekamen. In den ersten Jahren erfolgte der Dienst in drei Schichten rund um die Uhr, dann wurde –noch vor der Krise- die Nachtschicht abgeschafft.
2013 erfolgte der Schlag. Auf Verlangen der Troika entließ die Regierung 25000 Beschäftigte im Öffentlichen Dienst. Darunter waren z.B. die Beschäftigten der öffentlichen Rundfunkanstalt ERT, die Putzfrauen des Finanzministeriums und eben auch im Juli 2013 die 2200 Schulwächter. D.h. sie wurden nicht direkt entlassen, sondern mit 75% ihrer Bezüge für acht Monate freigestellt. Sollten sie in dieser Zeit keine andere Stelle im Öffentlichen Dienst finden, würden sie entlassen (was natürlich allen klar war, denn wo sollten die Stellen herkommen?).
Letztes Jahr im Herbst organisierten sie einen Fußmarsch von Saloniki nach Athen, 590km, zogen durch die Dörfer und Städte unterwegs und hielten Kundgebungen ab und informierten die Bevölkerung.
Und was machen die Schulen ohne Hausmeister? In vielen Schulen und Kommunen werden jetzt Arbeitslose eingestellt mit Vier-Monats-Verträgen für 2,50€ die Stunde. An anderen Schulen müssen die Eltern z.B. die kaputten Fensterscheiben ersetzen und Reparaturen durchführen.
Mittlerweile sind sie alle entlassen, bekommen, wenn sie nicht irgendwo einen Job gefunden haben, Arbeitslosengeld von 360€ für ein Jahr. Danach ist Schluss und sie bekommen gar nichts mehr. Aber sie kämpfen weiter für ihre Wiedereinstellung und fordern gerichtlich ihre vorenthaltenen Rentenbeiträge ein.
Sie werden unterstützt von ihrer Gewerkschaft und anderen Gewerkschaften. Gemeinsam mit anderen aus dem Heer der 25000 Entlassenen, z.B. den Putzfrauen, haben sie ein Koordinationskomitee gegründet und arbeiten über Gewerkschafts-, betriebliche und politische Grenzen hinweg zusammen. Ganz „ungriechisch“, wie sie lachend zugeben. Aber diese „ungriechische Haltung“ wünschen sie sich generell für die ganze Widerstandsbewegung.
Ich übergab 250,- Euro aus unserer Spendenkasse.
Kontakt: stamtsoum@gmail.com
(Manfred)