Über Antigone, Rosa Luxemburg, Kafka und die griechische Linke nach den Wahlen. Ein Gespräch mit dem Regisseur Savvas Stroumpos
Interview: Sabine Fuchs, 12.8.2023 – junge Welt

Herr Stroumpos, Sie und Ihre Gruppe Simeio Miden, »Nullpunkt«, werden in Kürze erstmals im deutschsprachigen Raum zu Gast sein, beim »Welttheaterfestival Art Carnuntum« unweit von Wien. Dort präsentieren Sie zwei Inszenierungen antiker Tragödien, »Die Perser« von Aischylos und »Antigone« von Sophokles. Was hat uns die antike Tragödie heute noch zu sagen?
Die antike griechische Tragödie ist ein Genre, das in einer sehr speziellen Phase der menschlichen Kultur entstanden ist – der athenischen Demokratie. Die Widersprüche dieser Zeit – etwa hinsichtlich der Stellung der Frauen und Sklaven – sind zwar offensichtlich, und natürlich stehen wir ihnen kritisch gegenüber, gleichzeitig muss man aber sagen: Die Tragödie entstand in der Polis und bezog sich auf die Polis – auf die Stadt, das politische Gemeinwesen. Wir haben es also von vornherein mit politischem Theater zu tun. Die Tragödie versucht, die Conditio humana in existenziellen, historischen oder auf die Natur bezogenen Extremsituationen zu untersuchen, und zwar gespiegelt durch den Mythos. So zwang sie Künstler und Zuschauer dazu, sich mit jenen dunklen Seiten der menschlichen Natur auseinanderzusetzen, die eben der Ursprung des Mythos sind: mit extremen Gefühlslagen, mit Ausnahmezuständen wie Trauer, Rache, Wahn und Schmerz. Die Bühne war dabei der Ort radikaler Andersartigkeit. Die Tragödie forderte die Menschen heraus, nicht nur das politische Gemeinwesen kritisch zu betrachten, sondern auch sich selbst und die eigenen verdrängten Emotionen. Anders, so die Vorstellung, könnten sie keine dynamischen und kreativen Bürger sein. (…)
Die »Perser« werden, zumindest bei uns, meist etwas eindimensional als Antikriegsstück gelesen. Nun zeigt Aischylos zwar die Hybris, der die Perser anheimfallen, geschrieben hat er das Stück aber für die Athener. Was bedeutet das für unsere Gegenwart, individuell und politisch?
Machtgier und Krieg waren nicht mit den Perserkriegen beendet – es gibt sie nach wie vor, und heute bedrohen sie unseren ganzen Planeten. Als Individuen sind wir vielleicht nicht in der Lage, die ganze Welt zu verändern, aber wir können damit beginnen, uns selbst zu verändern. Dazu fordert uns die Tragödie auf. Was Aischylos betrifft, warnte er mit den »Persern« seine Mitbürger davor, sich wie ihre schlimmsten Feinde zu benehmen. Er betonte zwar die demokratischen Errungenschaften Athens, forderte die Athener aber gleichzeitig dazu auf, ihr arrogantes Verhalten zu ändern. Seine Warnung wurde nicht ernst genommen, und was folgte, ist bekannt: Die athenische Demokratie ging in den Peloponnesischen Kriegen unter. Ich hoffe nur, dass wir unsere Denk- und Lebensweise noch ändern können … (…)
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