Von Niels Kadritzke, 21.6.2023 – BLOG GRIECHENLAND
Dieser Text ist nicht nur eine erweiterte und detailliertere Fassung der Analyse, die nach den ersten Wahlen vom 21. Mai in der Juni-Ausgabe von Le Monde diplomatique erschienen ist. Er gibt auch einen Ausblick auf die zweite Wahl am 25. Juni, mit der die konservative Nea Dimokratia (ND) von Kyriakos Mitsotakis ihren ersten Wahlsieg in eine klare parlamentarische Mehrheit ummünzen will. Am Ende dieses Textes gehe ich kurz auf das tragische Schiffunglück ein, die sich zehn Tage vor der zweiten Wahl unweit der griechischen Südwestküste ereignet hat. Doch der Tod von mindestens 600 Menschen hat die ND nicht etwa zum Überdenken ihrer „harten aber gerechten“ Flüchtlingspolitik veranlasst. Stattdessen verspricht sie ihrer Wählerschaft die Fortsetzung ihrer „patriotischen“ Politik, deren oberstes Ziel nicht die Rettung, sondern die Abwehr von Flüchtenden ist.

In Griechenland tobt ein zweiter Wahlkampf. Die griechischen Bürgerinnen und Bürger haben der ND von Regierungschef Kyriakos Mitsotakis bei der Wahl vom 21. Mai zwar einen klaren Sieg, aber keine absolute Mehrheit in der Vouli, dem griechischen Parlament beschert. Deshalb lässt Mitsotakis sein Volk am 25. Juni zu einem zweiten Anlauf antreten. Bis zu diesem Zeitpunkt amtiert eine geschäftsführende Regierung unter dem Vorsitz des Obersten Richters Ioannis Sarmas, die von Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou berufen wurde.
Für die griechischen Parteien bedeutet dies einen weiteren Wahlfeldzug innerhalb weniger Wochen. Doch das Ergebnis vom 21. Mai hat die parteipolitische Konstallation auf eine Weise verändert, dass man von zwei getrennten Feldzügen reden muss. Den einen führt die ND, die im zweiten Anlauf eine möglichst sichere absolute Parlamentsmehrheit erringen will, im Idealfall 180 der 300 Sitze, die gewisse Verfassungsänderungen ermöglichen würde. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die konservative Regierungspartei nicht nur im Reservoir der „politischen Mitte“, sondern auch im Tümpel rechtsextremer Kleinparteien fischen.
Der andere Wahlkampf spielt sich in der linken Hälfte des politischen Spektrums ab, wo die sozialistische Syriza und ihr Vorsitzender Alexis Tsipras ihre seit 2012 etablierte Hegemonie gegen die sozialdemokratische Pasok zu verteidigen hat. Da beide Parteien selbst als Tandem null Chancen auf einer Mehrheit haben, sind sie vornehmlich darauf aus, sich gegenseitig Stimmen abzujagen. (…)
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