Kapitalisten und Polizei versuchten, VIO.ME loszuwerden, aber es geht ohne Chefs weiter

Von Manos Cizek und Chris Avramidis, 15.11.2023 – JACOBIN (GREECE)

Zehn Jahre, nachdem VIO.ME die Arbeit in der selbstverwalteten Fabrik aufgenommen hat, kam der stärkste repressive Schlag von Seiten des Staates und der Geschäftswelt. Tagelang versuchte die Polizei, den VIO.ME-Betrieb zu stürmen und zu räumen, um das Gelände für das Unternehmen Acsion Limited nutzen zu können, das das Grundstück ersteigert hatte. Mehrere Tage lang hielten verteidigten die Arbeiter zusammen mit Solidaritätsgruppen das Gelände, indem sie die Polizei und die Mitarbeiter des Bauunternehmens verjagten.

Doch dann besetzte der Staat das Werksgelände mit Bereitschaftspolizei, Sicherheitsleuten, und anderen Kräften und schaffte es, in den von VIO.ME genutzten Bereich einzudringen. Die Arbeiter gaben nicht auf und aktivierten den alternativen Plan, die Produktion in das so genannte „Grundstück 60“ zu verlegen. Dabei handelt es sich um einen Teil des Werks, der bereits für einige Arbeiten genutzt wurde und über ausreichend Platz und Infrastruktur verfügt, um VIO.ME in vollem Umfang weiterzuführen. Dieses Grundstück ging nicht in die Hände der Käufer über, da es von der Versteigerung ausgeschlossen wurde, weil es in der Vergangenheit von einer unabhängigen Behörde reserviert worden war. Der Weg zu dieser neuen Einrichtung ist nicht mit Rosenblättern gepflastert. Vielmehr ist er im übertragenen und im wörtlichen Sinne ein Feldweg, da der Zugang notwendigerweise über eine neue Route erfolgt. Trotz der ungünstigen Entwicklung und der Verlagerung der gesamten Produktion an einen kleineren Standort ist VIO.ME weiterhin die einzige besetzte Fabrik in ganz Europa, die ohne Chefs arbeitet. Sehen Sie sich das erste Video an, in dem der VIO.ME-Arbeiter Makis Anagnostou uns den neuen Standort zeigt und erklärt, was passiert ist.

Zusammenfassung und Übersetzung der Videos zum besseren Verständnis (kursiv)


Nur mit massiver Hilfe der Polizei (Spezialeinsatzkräfte der Polizei) konnte der neue Investor (Acsion Limited) den Grenzzaun durch das Werksgelände der VIOME ziehen. Die Polizei hatte unsere Fabrik mehrere Tage regelrecht belagert und konnte dann in dieFabrik eindringen. Sie waren alle schwer bewaffnet. Wir konnten aber unbemerkt durch eine Hintertür auch in Fabrik gelangen. Anwesend war auch ein Staatsanwalt, der die Prozedur beaufsichtigte. So konnten sie den Zaun errichten. Zum Schluss haben sie uns wissen lassen, dass uns auch der Teil der Fabrik, der nicht zwangsversteigert wurde, nicht gehört. Am nächsten Tag haben wir eine beeindruckende Solidaritätskundgebung vor und in der Fabrik erlebt.

Trotzdem machen wir weiter mit der Produktion. Ein großer Nachteil ist der Verlust des freien Geländes vor der Werkshalle, der optimal für kulturelle und politische Aktivitäten war. Was diesen Aspekt betrifft, kommen wir uns vor, als wären jetzt in einer Telefonzelle. Aber wir geben noch nicht auf, wir haben noch einige Asse im Ärmel.

Der Interviewer (Avramidis) wollte weitere Einzelheiten wissen, doch Makis machte darauf aufmerksam, dass sie noch nicht darüber offen reden wollten. Im übertragenen Sinne trennt der Zaun zwei Welten. Die eine Seite steht für das kapitalistische System, die andere für die Fabrikbesetzer bzw. die Belagerten.

Der Alltag der VIO.ME-KollegInnen ist immer noch der gleiche geblieben. Jeden Tag ohne Ausnahme fangen sie mit der Betriebsversammlung an. Die Nachtwache wird abwechselnd organisiert.

Nach dem Zugriff der Polizei sind die Bestellungen in die Höhe gestiegen. Auch das verdanken wir der breiten Solidarität der Menschen, die unser Projekt unterstützen. Inzwischen konnten wir unseren Schuldenstand bereinigen. Das macht uns Mut, und wir denken auch an Neueinstellungen in der Zukunft


Im nächsten Video stehen wir vor dem Zaun, den die Eigentümerfirma zwischen dem alten und dem neuen VIO.ME-Gelände errichtet hat, und kommentieren seine großen Ausmaße, die nicht einmal die Betrachtung des alten Geländes zulassen. „Sie haben nicht an dem Zaun gespart. Sie haben nicht nur Macht, sondern auch Geld, und sie knausern nicht, wenn es um die Absperrung geht. Sie knausern nur, wenn sie der Arbeiterklasse das liefern sollen, was sie der Arbeiterklasse liefern sollen,“ sagte Makis Anagnostou.

Auf die Frage, wie die Fabrik derzeit funktioniert, antwortete Makis Anagnostou u.a. „Die Versammlung jeden Morgen ist jetzt die Norm, es ist unser gesetzliches Recht und unsere Pflicht, die Versammlung jeden Morgen abzuhalten. Es hat sich nichts geändert, wir machen weiter wie bisher. Wir machen auf jeden Fall weiter, denn wir waren auf eine solche Situation vorbereitet, wir hatten sie bereits besprochen.“

Was die nächsten Schritte nach diesem Rückschlag angeht, antwortete Makis Anagnostou: „Die Leute, die bei VIO.ME sind, haben gezeigt, dass sie reagieren, und in dieser schwierigen Zeit, wenn man sieht, wie die Aufträge und Forderungen gestiegen sind, natürlich um zu produzieren, ist es schrecklich. Es ist eines der wenigen Male, dass wir unsere Schulden beglichen haben und heute stehen wir gut da.“ Der VIO.ME-Mitarbeiter stellte fest, dass sich VIO.ME aufgrund der eingehenden Aufträge auf einem Wachstumspfad befindet und dass „mehr Leute kommen werden, damit sie arbeiten können, und zwar unter besseren Bedingungen, als wir es seit so vielen Jahren tun.“

Er beschrieb auch die Veranstaltung zur Unterstützung von VIO.ME, die am nächsten Tag in Berlin stattfinden sollte, und die ökologische Dimension der Tätigkeit von VIO.ME. Abschließend betonte er die Notwendigkeit der Einheit der Unterdrückten, von Palästina bis zu den USA und VIO.ME.


Der Interviewer fragt ihn, warum er nach Berlin fährt. Makis wurde von einem Berliner Kollektiv eingeladen, das sowohl im Anarchoraum als auch in der Ökologiebewegung verortet ist. Er betont noch einmal, wie wichtig die internationale Solidaritätsbewegung für ihr Projekt ist. Zusätzlich organisiert die Gruppe nach der Veranstaltung eine Solidaritätsparty . Makis erklärt auch, dass die ökologischen Fragen für das VIO.ME-Projekt sehr wichtig seien. Zum einen tangieren die ökologischen Fragen ebenfalls die Systemfrage, ergo sind sie auch politische Fragen. Zum anderen sind ihre Produkte natürlich und ökologisch nach dem Motto: Produktion dürfe weder der Umwelt noch denMenschen schaden.

Die nächste Frage betrifft, den Schotterweg (Feldweg), der nach der Errichtung des Grenzzauns der einzige Zugang zu ihrem Werksgelände ist. Dieser Weg ist ein großes Problem für die VIO.ME. Wenn LKWs beladen oder entladen werden, müssen die KollegInnen die Ware bis zur Hauptstraße transportieren. Sie versuchen eine Lösung zu finden. Sie haben bereits den Bürgermeister von Pylaia (Vorort von Thessaloniki) kontaktiert. Angeblich ist eine Instandsetzung vorgesehen.

Dann spricht der Interviewer Makis auf die GKN in Florenz an. Die Fabrik der GKN in Italien sollte nach Polen ausgelagert werden. („Ich übersetze das, was Makis im Interview sagt. Ich kann nicht die Richtigkeit seiner Ausführungen bestätigen“ – Konstantin)

GKN ist ein Autozulieferer. Der Betrieb ist mit einem Trick besetzt: es läuft seit Jahren eine unbefristete Betriebsversammlung, was ein legaler Akt ist. Nach dem jetzigen juristischen Stand kann der Maschinenpark der Fabrik nicht umgesiedelt werden. Allerdings wird Ende Dezember eine Entscheidung fallen müssen.

Die KollegInnen der GKN hatten die VIO.ME-Leute eingeladen . Nach Makis diskutieren die GKN-KollegInnen über zwei Optionen für eine Produktion, falls sie mit der Rückeroberung des Betriebs weitermachen wollen: a) Fahrräder oder b) Fotovoltaikanlagen der 3.Generation. Die GKN-KollegInnen hatten die VIO.ME nicht nur herzlich empfangen, sie wollten auch konkret wissen, was die konkreten Vorschläge der VIO.ME-Delegation seien.
Makis empfahl mit der Besetzung der Fabrik weiterzumachen, den Standort auf keinen Fall aufzugeben . Er verwies auf die Situation von RimaFlow, die zurzeit große Probleme mit der Begleichung der Miete für ihr Grundstück hat. Die VIO.ME will auf jeden Fall auch aktive Unterstützung leisten – in welcher Form auch immer. Eine Möglichkeit wäre die Verkaufspromotion der neuen GKN-Produkte in Griechenland zu übernehmen. Aber es gäbe auch andere Möglichkeiten nach Makis. Ein weiterer wichtiger und hochpolitischer Aspekt ist die Rolle der GKN in der italienischen antifaschistischen Bewegung – vor allem jetzt gegen Meloni.


Dann nahmen wir das Auto, ließen die anderen Arbeiter zurück, die die Produktion fortsetzten und „flogen“ Makis Anagnostou zum Flughafen auf dem Weg nach Berlin. Wir nutzten die kurze Fahrt, um über den Internationalismus zu sprechen, der die Botschaft von VIO.ME ist. Wir sprachen über die ArbeiterInnen der GKN-Fabrik in Florenz, die sich darauf vorbereiten, den gleichen Weg der Besetzung und Selbstverwaltung zu gehen und damit VIO.ME auf die sympathischste Weise den Titel der einzigen besetzten Fabrik in Europa, die Produkte herstellt, abzunehmen. Sie haben VIO.ME eingeladen, um darüber zu diskutieren, wie ein solches Beispiel aussehen kann: „1,2,3 viele VIO.ME“, sagte Makis Anagnostou und sprach über die Notwendigkeit, das Projekt fortzusetzen.

Schließlich verwies der VIO.ME-Mitarbeiter erneut auf die ökologische Dimension, die die Arbeiterbewegung haben sollte, und beschrieb die Produktion von GKN und VIO.ME.

Letzte Kameraeinstellung: Makis vor dem Flughafen von Thessaloniki

Redaktion: Chris Avramidis; Film-Regisseur: Manos Cizek; Zusammenfassung und Übersetzung der Videoinhalte: Konstantin; Originaltext (griech.)

Dieser Beitrag wurde unter Griechenland abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.