Die Absicht, die einzige selbstverwaltete Fabrik des Landes in jeder Hinsicht zu verteidigen, brachten die mit VIOME solidarischen Menschen mit einer Massendemonstration zum Ausdruck, die vom Kamara-Platz ausging und am Königlichen Theater endete, das von Studenten der Schauspielschulen besetzt war.
Auf einer Versammlung, die am vergangenen Sonntag bei VIO.ME stattfand, wiesen die Arbeiter der Fabrik auf die kritische Situation hin, in der sich das Projekt aufgrund des Verkaufs des Grundstücks nach Online-Versteigerung an einen ausländischen Fonds befindet.
Das Ziel des Fonds, der das Grundstück gekauft hat, scheint darin zu bestehen, ein neues Einkaufszentrum und ein Gebäude mit Büroflächen zu errichten, für das VIOME eine echte Gefahr darstellt.
Vor einer Woche erfuhren wir plötzlich, dass das Grundstück, auf dem sich die VIO.ME-Fabrik befindet, die von ihren Arbeitern bewohnt wird, elektronisch versteigert und von einem spekulativen Fonds zu einem sehr geringen Preis erworben wurde.
Das Kapital zögert im Einklang mit seiner eigenen Gier nicht, nicht nur die Wohnungen der Menschen zu zerstören, indem es sie auf die Straße wirft, sondern auch den Raum der Arbeiter, in dem sich viele Widerstandsbewegungen seit einem Jahrzehnt treffen. Es ist an der Zeit, eine Mauer der Solidarität gegen diese Gier zu errichten. Es soll deutlich gemacht werden, dass der Raum von VIO.ME denjenigen gehört, die dort arbeiten, und den Menschen, die ihren Kampf unterstützt haben.
Ilias Kasidiaris, stets grimmiger Blick, äußerlich vom Typ ewiger Halbstarker und seit Oktober 2020 wegen der Leitung einer kriminellen Organisation hinter Gittern, redet sich in Rage. Auf seinem Youtube-Kanal mit 124.000 Abonnenten poltert er in einer am letzten Freitag aus dem Gefängnis im zentralgriechischen Domokos hochgeladenen Audiobotschaft: „Das wird mich nicht stoppen. Ihr werdet mich wählen können!“
Neonazipartei: „Griechen für die Heimat“
Es geht dem Gründer der Partei Ellines (Griechen) um eine umstrittene Gesetzesänderung, die Kasidiaris auf Youtube einen „Putsch der Regierung in Athen“ nennt. Am Mittwoch legt die konservative Regierung unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis dem Athener Parlament diese Reform zur Abstimmung vor. (…)
Doch nicht nur Kasidiaris läuft gegen die Gesetzesänderung Sturm. Die drei linken Parlamentsparteien Syriza (Bündnis der radikalen Linken) unter Ex-Premier Alexis Tsipras, Mera25 unter Ex-Finanzminister Janis Varoufakis sowie die KKE (Kommunistische Partei Griechenlands) wollen der Gesetzesänderung am Mittwoch im Parlament nicht zustimmen – obwohl sie allesamt rigorose Nazigegner sind. Sie befürchten, Mitsotakis wolle so der Hufeisentheorie, also der Gleichsetzung linker und rechtsextremer Parteien, durch die Hintertür den Weg ebnen. Ein Unding, wie sie betonen.
Was Kasidiaris angeht, sind sie sich wie das Gros der Griechen einig: „Einmal Nazi, immer Nazi.“ Über ihn solle aber der Wähler entscheiden, nicht Gerichte.
Der Kampf um die rückeroberte, selbstverwaltete VIO.ME-Fabrik währt mittlerweile 10 Jahre. 2011 wurde der Betrieb nach Insolvenz der Eigentümer besetzt, seit 2013 produziert die Belegschaft in Eigenregie umweltfreundliche Reinigungsmittel und Seifen. Obwohl als Kooperative anerkannt, ließ man der Belegschaft jedoch keine Ruhe. Mehr als 25 Zwangsversteigerungstermine mussten die VIO.ME-KollegInnen zusammen mit ihren UnterstützerInnen abwehren. Dann wurde auf Online-Auktionen umgestellt und der Widerstand massiv erschwert. Das Grundstück wurde jetzt klammheimlich an einen Fonds verkauft. Doch die VIO-ME-Kolleginnen geben nicht auf.(ausführlicher Artikel/ Nov. 22)
„In der Stunde, in der das Kapital akkumuliert rufen wir auf zur Besetzung der Produktionsmittel. Vereinigung der ArbeiterInnen von VIOME“
Aufruf der VIO.ME-KollegInnen vom 5. Februar 2023
Sie wollen der VIO.ME den Garaus machen. Lass das nicht zu. Heute sind wir in der bedauerlichen Lage, euch mitteilen zu müssen, dass VIO.ME mehr denn je in höchster Gefahr ist. Justiz und Kapital haben das Grundstück, auf dem sich unsere Fabrik befindet, klammheimlich an eine Fondsgesellschaft verkauft.
Wir, die ArbeiterInnen der VIO.ME, erklären, dass wir weiterhin in der Fabrik produzieren werden, auch wenn das Kapital und der Staat uns die Spezialeinsatzkräfte der Polizei auf den Hals hetzen. Aber selbst wenn sie uns rauswerfen, werden wir wieder reinkommen. Weil dieser Ort unser Leben ist und weil wir diesen Platz euch verdanken. Das sind wir den Zehntausenden von Menschen schuldig, mit denen wir im Laufe der Jahre zusammengekommen sind.
„Es geht längst nicht mehr um einzelne Forderungen, sondern ums Ganze“
26.3.2023 – LABOURNET GERMANY
Ein Gespräch mit Gregor Kritidis über die jüngste Abhöraffäre, soziale Proteste und den Zustand der Linken in Griechenland.
Dr. Gregor Kritidis ist Politikwissenschaftler und seit langem in der Griechenland-Solidarität aktiv.Interview: Andreas Schuchardt
Die griechische Rechts-Regierung von Kyriakos Mitsotakis steht wegen einer Abhöraffäre unter Druck. Worum geht es dabei und was sind die möglichen Konsequenzen? Ist ein Sturz der Regierung denkbar?
Im Frühjahr 2022 wurde bekannt, dass der Wirtschaftsjournalist Thanassis Koukakis mithilfe der Spionagesoftware „Predator“, mit dem sein Mobiltelefon infiziert worden war, ausspioniert worden ist. Im Sommer fand die IT-Sicherheit des EU-Parlaments die Spionagesoftware auf dem Handy des Europaabgeordneten Nikos Androulakis, der gleichzeitig Vorsitzender der oppositionellen PASOK ist. Das ist besonders pikant, weil Androulakis Mitglied im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung des EU-Parlaments ist und über zahlreiche sensible Kontakte verfügt. Infolge dieser Enthüllungen mußten Panagiotis Kontoleon, der Chef des griechischen Gemeindienstes EYP, und Grigoris Dimitriadis, Büroleiter und Neffe von Premierminister Kyriakos Mitsotakis, ihren Hut nehmen. Mitsotakis stritt jegliche Mitwisserschaft vehement ab, obwohl er die EYP bei Amtsantritt seiner persönlichen Kontrolle unterstellt und auch Kontoleon persönlich ausgewählt hatte. Zudem bedrohten Mitglieder der regierenden Partei Journalisten mit hohen Gefängnisstrafen, sollten sie weiter über die Affäre berichten. Diese ließen sich jedoch nicht einschüchtern. (…)
Grundsätzlich hat sich an den grundlegenden politisch-ökonomischen Koordinaten in Griechenland seit 2010 wenig bis nichts geändert: Nach wie vor findet eine umfassende Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, eine Auspressung der lebendigen Arbeitskraft und eine Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen statt. Dadurch werden alle gesellschaftlichen Konflikte strukturiert, und entsprechend finden diese auch ihren Niederschlag bei sozialen Protesten. (…)
„Die Wahrheit ist, dass es nicht ausreicht, an Wahlen teilzunehmen, um die Welt zu verändern. Aber eine Stimme für die KKE durch einen großen Teil des Volkes kann das Volk und die Jugend zum Lächeln bringen, zum Wohlfühlen und zum Starksein!“ (sagt Koutsoumbas)
Das Thema Reparationen an Griechenland ist noch längst nicht erledigt
Von Stefan Berkholz, 29.01.2023 – nd
Deutsche Bomber über Athen, 1942 Foto: imago/Reinhard Schultz
Im Juli vergangenen Jahres bekräftigte Außenministerin Annalena Baerbock in Athen die altbekannte Position der Bundesrepublik zu den Reparationsforderungen Griechenlands. Das Thema sei für Deutschland abgehakt, juristisch nichts zu machen. Offenbar zu kurz gedacht, wie eine Veranstaltung am vergangenen Mittwoch im »Haus der Demokratie« in Berlin in Aussicht stellte.
Zwei Dinge seien voneinander zu trennen, äußerte Gregor Gysi: Zum einen die Zwangskredite, zu denen der griechische Staat von den Nazis erpresst wurde; zum anderen Entschädigungen für die menschlichen Opfer und die materiellen Zerstörungen in Griechenland unter der deutschen Besatzung.
Aris Radiopoulos, Autor der an diesem Abend vorgestellten umfassenden Quellenedition über die deutschen Kriegsschulden an Griechenland, schätzt die Rückzahlungssumme der Kriegskredite auf neun bis 13 Milliarden Euro. Der griechische Diplomat hat aus dem Archiv seines Ministeriums aus rund 100 000 Blatt Aktenmaterial eine Dokumentation zusammengestellt, die nunmehr auch auf Deutsch vorliegt und erstmals die griechische Sicht und Argumentation darlegt. Für sein Buch hat der einstige Konsul in Berlin den ehemaligen griechischen Staatspräsidenten Prokopios Pavlopoulos gewinnen können. (…)
Die griechischen Reparationsforderungen gegenüber Deutschland – Eine Studie von Aris Radiopoulos
Der griechische Diplomat Aris Radiopoulos plädiert in seiner umfangreichen Studie für eine zielführende, faktenbasierte Auseinandersetzung mit dem brisanten Thema der Reparationen
Wer vor der griechischen Küste Menschenleben rettet, muss mit Anklagen und Gefängnis rechnen. So wie Rettungstaucher Sean Binder.
Von Christian Jakob, 30.1.2023 – TAZ
TOPSHOT – Members of the non-profit organisation Emergency Response Centre International (ERCI) gesture from the shore to a boat carrying refugees and migrants as it arrives in Mytilene on the northern Greek island of Lesbos, after crossing the Aegean sea from Turkey, on February 22, 2016. / AFP / ARIS MESSINIS (Photo credit should read ARIS MESSINIS/AFP via Getty Images)
BERLIN taz | Sean Binder sitzt in seiner Londoner Wohnung am Küchentisch, das Licht scheint durchs Fenster auf sein Gesicht, eine schwarze Katze läuft immer wieder vor die Zoomkamera. „Was ich jetzt mache?“, fragt er. „Warten. Ich werde jetzt warten.“
Genau wie in den fünf Jahren zuvor: Warten auf Entlassung aus der Haft, warten auf die Anklage, warten auf einen Prozesstermin, auf die Verhandlung, das Urteil. Aus der Untersuchungshaft wurde Sean Binder 2018 entlassen, trotzdem kann er bis heute nicht frei über sein Leben bestimmen.
Es geht um ein Verfahren, das „Handlungen kriminalisiert, die Menschenleben retten“, so beschrieb es am 10. Januar Liz Throssell, die UN-Menschenrechtsbeauftragte. Da verhandelte ein Gericht auf der griechischen Ägäisinsel Lesbos zum ersten Mal gegen Binder und 23 weitere Angeklagte. Sie alle waren aktiv beim Emergency Response Centre (ERC), einer kleinen griechischen NGO, die es mittlerweile nicht mehr gibt.
Sie halfen Flüchtlingen, die mit Booten nach Lesbos kamen. Die Vorwürfe der griechischen Staatsanwaltschaft könnten die Aktivist:innen für Jahrzehnte ins Gefängnis bringen. (…)
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