Antwort auf Christiane Schlötzer von Christoph U. Schminck-Gustavus

Antwort auf Christiane Schlötzer

„…die von mir bislang sehr geschätzte Christiane Schlötzer hat heute einen Artikel in der SZ veröffentlicht, der mich empört und auf den ich geantwortet habe.“
Hier meine Antwort:
von Christoph U. Schminck-Gustavus – 13.März 2015

Christiane Schlötzer fragt sich in der Süddeutschen Zeitung vom 13.März 2015, ob bei den Athener Forderungen nach Entschädigungen für Wehrmachtsunrecht „so viel Drama“ sein müsse. Einige Antworten auf ihre hochnäsige Frage hätte sie in einem von ihr selbst (!) verfassten Artikel finden können, den sie vor Zeiten in der Wochenend-SZ veröffentlicht hatte (15./ 16.10.2012). Ihren ganzseitigen Beitrag hatte sie seinerzeit mit einem plastischen Titel versehen: Das Tor zu einer verschütteten Geschichte. Untertitel: „In der Euro-Krise fühlen sich viele Griechen von Deutschland gedemütigt – doch ihre schrillen Reaktionen kann nur verstehen, wer das Trauma der Nazibesatzung kennt.“
Vor zwei Jahren fiel es Christiane Schlötzer offenbar noch leichter, Verständnis für die „Pleite-Griechen“ aufzubringen. Damals war auch noch die Samaras-Regierung am Ruder, die die verfassungs- und europarechtswidrigen Befehle der Troika stets gehorsam ausgeführt hatte; dass allerdings damals auch Minister der Samaras-Regierung bereits anfingen, ihr Privatvermögen „aus Sorge für die Kinder“ ins Ausland zu transferieren, konnte man seinerzeit in der SZ-Redaktion freilich noch nicht wissen – das haben erst jetzt die Ermittlungen der als Abenteurer-Crew diffamierten Linksregierung von Tsipras-Varoufakis ergeben.
Dass es also genau diese neue griechische Regierung war, die mit der Korruption und den illegalen Geldtransfers von Reedern und Wirtschaftsführern aufzuräumen begann, hätte inzwischen freilich auch in der SZ-Redaktion bekannt sein müssen – um nicht von den Staatssekretären im griechischen Verteidigungsministerium zu reden, die kofferweise Bestechungsgelder von den Emissären deutscher Rüstungskonzerne in Empfang genommen hatten (Rheinmetall, Spiegel 48/2014 u.ö.).
Inzwischen werden in den Kommentaren vieler bundesdeutscher Politiker nur noch Stammtischparolen bedient. In der Boulevard-Presse interessiert man sich mehr für Varoufakis Hemden als für die 3 Millionen Griechen (1/4 der Gesamtbevölkerung), die keine Krankenversicherung mehr bezahlen können, die kein Geld für Strom, Medikamente oder Heizöl haben und vor den öffentlichen Suppenküchen anstehen – wenn sie nicht bereits aus ihren Wohnungen zwangsemittiert und damit obdachlos geworden sind.
Wer wie die griechische Syriza-Regierung in dieser extremen Notlage auf einvernehmliche Lösungen mit den „Partnern in der EU“ hoffte, sieht sich getäuscht. Der Finanzminister der Bundesrepublik erlaubt sich stattdessen hämische Kommentare zu Varoufakis; er apostrophiert ihn als „foolish naiv“ und meint, ihn als „berühmten Weltökonomen“ verspotten zu dürfen, ohne zur Kenntnis zu nehmen, was Wirtschaftshistoriker wie z.B. der aus München gebürtige und jetzt an der Londoner School of Economics lehrende Professor Albrecht Ritschl bereits im Juni 2011 im Spiegel zur Finanzkrise in Europa deutlich gemacht hatte.
Ritschl erklärte damals: „Deutschland war der größte Schuldensünder des 20.Jahrhunderts.“ Über das Londoner Schuldenabkommen von 1953 sagte Ritschl: „Nach dem ersten Zahlungsausfall in den dreißiger Jahren wurde der Bundesrepublik 1953 von den USA ein Schuldenschnitt – im Englischen „haircut“ – verpasst, der das Schuldenproblem von einem voluminösen Afro-Look auf eine Vollglatze reduzierte.“ Ritschl kam bereits damals zu dem Ergebnis, die Bundesrepublik müsse sich „in der Euro-Krise zügeln, sonst könnte sich die Stimmung gegen das Land drehen.“ Genau dieses ist inzwischen in erschreckender Weise eingetreten.
Dass die griechischen Schulden vor allem gegenüber Banken bestanden – u.a. für absurde Rüstungskäufe – und dass infolgedessen die diversen Rettungspakete vor allem der Rettung oder Entlastung von Banken – wie etwa auch der Deutschen Bank als Großgläubigerin – , nicht aber der Entlastung der griechischen Bevölkerung zugute kamen, darauf haben Wirtschaftsexperten wie Professor Rudolf Hickel/Bremen wiederholt hingewiesen, ohne dass dies bei den Presseschreibern zur Kenntnis genommen worden wäre: es war eben einfacher Stimmung zu machen gegen die „faulen Griechen, die den deutschen Steuerzahler auspressen.“
Aber die Frage nach dem historischen Kontext der Schuldenkrise hätte bei den Verantwortlichen in Eurogruppe und Finanzministerien nicht so ahnungslos behandelt werden dürfen, wie dies in der letzten Zeit geschehen ist. Man wird vom deutschen Finanzminister nicht erwarten können, dass er sich über die – áuf der Londoner Schuldenkonferenz – ausgedachten trickreichen Methoden unterrichtet, mit denen damals die deutschen Schulden ad calendas graecas vertagt wurden; aber in seinem großen Beraterstab hätte schon einer der Herren mal in der Habilitationsschrift der Historikerin Professor Ursula Rombeck-Jaschinski, die an der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf lehrt, nachlesen und anschließend den Herrn Minister unterrichten können.
Wenn diese Vorgehensweise im Finanzministerium aber zu mühsam erschienen sein sollte, hätte man doch zumindest erwarten dürfen, dass dort der informative Artikel von Klaus Wiegräfe im Spiegel 9/2015 zur Kenntnis genommen wird. Wiegräfe beschreibt ausführlich, wie die Regierung Kohl-Genscher beim sog. „2+4 Vertrag“ alles daran gesetzt hat, den Wiedervereinigungsvertrag bloß nicht als das zu bezeichnen, was er tatsächlich gewesen ist: ein „Friedensvertrag“. Die Angst von Genscher-Kohl vor dem „F-Wort“ war begründet, denn sie hätte die Frage der deutschen Reparationszahlungen und Kriegsschulden wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Wusste man auch das alles nicht in der SZ-Redaktion?
Wenn nun die griechische Regierung es wagt, die – übrigens auch von früheren griechischen Regierungen wiederholt in Erinnerung gebrachten, aber nie bezahlten – Reparationen als Verhandlungsgegenstand anzumahnen oder auch den Besatzungszwangskredit, den die Nazi-Führung Griechenland auferlegt hatte, dann soll das nach Christiane Schlötzer schon „zu viel Drama“ und nur ein „Ablenkungsmanöver“ sein? Aber Ablenkung wovon eigentlich?
Haben nicht Historiker wie Professor Hagen Fleischer/Athen nicht schon vor Jahrzehnten die Frage des Zwangskredits thematisiert? Gestern Abend war Fleischer in einem lehrreichen ARD-Interview in „Aspekte“ zu hören (12.3. – 21:45h) . Ich empfehle der SZ-Redaktion in München insoweit die ARD-Mediathek ; unter „Verpasste Sendungen“ kann das Interview abgerufen werden.
Das gleiche gilt für die vorgestrige Parlamentsrede von Alexis Tsipras, die sich durch ihren – fast demütig-versöhnlichen – Ton sowie durch das Angebot von neuen Verhandlungen vollständig unterschieden hat von dem, was man hier als Politiker-Gebelle auch im deutschen Bundestag zu hören bekommt („nicht auf der angestiegenen Suizid-Rate in Griechenland herumreiten“) usw.

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Griechenland Muss so viel Drama sein?

Griechenland Muss so viel Drama sein?

Griechenlands Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras tritt stark auf – aber ist sie es auch?
Athens Forderungen nach Entschädigung für das Unrecht der Wehrmacht sind ein Ablenkungsmanöver: Die griechische Regierung will sich stärker zeigen, als sie ist. Das verschärft die Krise.

Kommentar von Christiane Schlötzer in: Süddeutsche Zeitung 13.3.2015

Wie soll man sich das vorstellen? Das Goethe-Institut in Athen schickt all seine Sprachschüler nach Hause, weil am Eingang des Gebäudes ein Kuckuck klebt? Die Deutsche Schule Athen, die seit fast 120 Jahren besteht, schließt ihre Pforte, weil dort ein Pfandsiegel prangt? Undenkbar. Sollte man meinen. Genau damit aber droht der griechische Justizminister, falls die Regierung in Berlin den griechischen Forderungen nach Entschädigungen für altes Unrecht nicht entgegenkommt.
Juristisch ist der Pfändungsfall – im Zusammenhang mit NS-Unrecht – vor griechischen Gerichten eigentlich längst ausgereizt. Mit der klaren Antwort: Es geht nicht. Aber juristische Details spielen für die Regierung von Alexis Tsipras jetzt nicht unbedingt eine Rolle. Es geht um politischen Druck auf Deutschland.
Die Botschaft aus Athen lautet: Wir sind keine Bettler, im Gegenteil, wir haben mit euch noch ein paar Rechnungen offen. Erinnert euch! Der Griff in die Geschichte ist immer ein sensibles Unterfangen. Wo politisch geholzt wird, da ist seriöse historische Aufarbeitung kaum möglich. Deshalb ist es wenig hilfreich, wenn Tsipras nun in die Rolle des Gerichtsvollziehers schlüpft, in der Hoffnung, dass die Griechen dann nicht merken, dass seine Regierung längst nicht so stark ist, wie sie auftritt. Weil sie beispielsweise gerade die Haushaltsaufseher wieder ins Land lassen musste.
Athen will Druck auf Berlin machen – und macht nur Drama
Berlin reagiert auf die täglichen Anwürfe aus Athen inzwischen mit Gereiztheit, Frustration und Verständnislosigkeit. Und statt miteinander zu reden, redet man nun schon wieder vor allem übereinander. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis beschwert sich gar per offizieller diplomatischer Demarche über seinen Berliner Kollegen Wolfgang Schäuble. Geht es nicht ein bisschen kleiner, mit weniger Drama? So möchte man da dazwischenrufen.
Schuldenstreit Schäuble nennt griechische Beschwerde über ihn „Unsinn“
Der Streit um die griechische Schuldenkrise wird zunehmend persönlich. Der griechische Botschafter in Berlin beschwert sich, Bundesfinanzminister Schäuble habe seinen Amtskollegen Varoufakis als „naiv“ bezeichnet.
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Das klingt nach alter Weisheit, ist aber im deutsch-griechischen Fall Unsinn. Vergebens sucht man hier nach einem Profiteur des zeitraubenden Zwists. Vielleicht sollten daher beide Seiten ein paar Tage lang einfach gar keine Interviews mehr geben, eine Art Interview-Fasten praktizieren, passend zur vorösterlichen Zeit des Verzichts -am besten so lange, wie sie der Versuchung nicht widerstehen können, stets verbal übereinander herzufallen.
Dann könnte man sich endlich mit den drängenden Fragen befassen: beispielsweise, ob es nicht doch nötig wäre, Griechenland eine Neustrukturierung seiner Schuldenlast in Aussicht zu stellen. Schließlich war dies auch der alten Regierung schon versprochen. Oder wie man endlich wieder ein paar Investoren ins Land holt. Die warten nun schon so lange darauf, dass die Zitterpartie, ob Griechenland im Euro bleibt oder nicht, endlich endet. Und dann sollte man auch in aller Ruhe darüber reden, ob griechische Juden oder Dörfer, in denen die Nazis besonders übel wüteten, nicht doch noch einige Ansprüche haben, über die man nicht mit ein paar steifen Worten hinweggehen kann.

Artikel uf der SZ: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/griechenland-muss-so-viel-drama-sein-1.2389951

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Aufruf zur Großdemonstration vor der Europäischen Zentralbank am 18. März

Das Griechenland- Solidarität Komitee Köln ruft mit zur Großdemonstration vor der Europäischen Zentralbank am 18. März auf !

a5_laokoon-bwDie unter dem Bankenregime leidenden Griechen brauchen unsere Solidarität!
Für ein Ende der Spardiktate in Europa !
Druck von unten gegen die Verarmungspolitik in Europa !

Infos: http://blockupy.org/

Blockupy ist Teil eines europaweiten Netzwerks vielfältiger Bewegungen, Ge- werkschaften, Parteien und Flüchtlingsinitiativen aus Italien, Spanien, Griechenland, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Frankreich und anderen Ländern, die Widerstand gegen das europäische Krisenregime der Banken leisten.

Die Bustickets (Hin- und Rückfahrt) kosten 15€, ermäßigt 10€. Wann und wo es los geht erfahrt ihr an den Vorverkaufsstellen oder auf Nachfrage bei uns (http://il-koeln.org/)
Hier gibt es die Bus-Tickets: Die Busse fahren sehr früh, um die Blockaden zu verstärken!

Qlosterstüffje, Venloer Str. 122 SSK, Salierring 37
Café Fatsch, Josephskirchstr. 25 Linkspartei (Büro Matthias Birkwald), Severinswall 37

Eine weitere Reisemöglichkeit gibt es mit dem Fernbus ab Köln Hbf – Nähere Infos
http://meinfernbus.de

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Eine Strategie der Brüche – Zehn Thesen zur Zukunft Griechenlands

Eine Strategie der Brüche – Zehn Thesen zur Zukunft Griechenlands

Panagiotis Sotiris

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I

In der jüngsten Geschichte Griechenlands wurde am 25. Januar ein neues Blatt aufgeschlagen. In den fünf Jahren davor hatte die Austeritätspolitik zu Verheerungen und einer in Europa beispiellosen sozialen Krise geführt – aber auch zu Gegenwehr und, besonders zwischen 2010 und 2012, einem regel-rechten Aufstand. Nun wurde ein politischer Bruch vollzogen, in dem Erfüllungsgehilfen der Troika unter den Parteien Griechenlands eine demütigende Niederlage erlitten haben.
Die PASOK, der 2009 noch fast 44 % der Stimmen errungen hatte, ist auf 4,68 % abgestürzt und ihr jüngstes Spaltprodukt, die vom einstigen Premier und Auguren der Sparprogramme Giorgos Papandreou geführte „Bewegung der Demokraten (und) Sozialisten“, erhielt gar nur 2,46 %. Die bisherige Regierungspartei Nea Dimokratia lag 9 % hinter Syriza und erzielte 27,81 % der Stimmen.
Der Aufschwung der faschistischen Chrysi Avgi konnte zwar gestoppt werden, bleibt aber mit 6 % noch immer beunruhigend. Die ebenfalls mit einer neoliberalen Agenda angetretene Partei To Potami, die sich selbst in der linken Mitte verortet, kam trotz allen medialen Trommelwirbels nur auf 6,05 %.
Damit erhielten die Verantwortlichen an den Urnen ihre Quittung von der griechischen Gesellschaft, die unter ihnen gelitten, aber sich nicht kampflos ergeben hat. Die von ihnen angerichtete soziale Misere ist bekannt. Erinnert sei nur die offizielle Arbeitslosenquote von 27 %, die Jugendarbeitslosigkeit von 50 %, der Verfall des BIP um 25 % und die massiven Einbußen bei Renten
und Löhnen. Oder an die neuen Gesetze, mit denen Staatseigentum privatisiert, der Arbeitsmarkt dereguliert und die Universitäten stranguliert wurden.

II

Syriza hat mit 36,34 % der Stimmen einen bedeutenden Wahlsieg errungen, die absolute Mehrheit jedoch knapp verpasst. Der Symbolgehalt dieses Siegs ist hoch: Zum ersten Mal in der modernen Geschichte Europas konnte eine linke Partei, die nicht der Sozialdemokratie angehört, die Regierung bilden. Als sich der frisch vereidigte Premier mit seiner ersten Amtshandlung an den Ort begab, an dem am 1. Mai 1944 über 200 Kommunisten hingerichtet worden waren, vollzog er einen symbolischen Akt, in dem all die Kämpfe der Linken, die über weite Strecken des 20. Jahrhunderts verfolgt worden war, gleichsam rehabilitiert wurden.
Die Linksverschiebung der politischen Landschaft ist nur die Folge vorange- gangener Umwälzungen in Politik und Wahlen, die nicht nur aus der ökono- mischen und sozialen Krise resultieren, sondern auch aus den anhaltenden Kämpfen gegen die Sparprogramme, die im Eiltempo zu Radikalisierung und neuen Organisationsformen geführt haben. Zugleich strahlt dies Ergebnis auf ganz Europa aus, wie man an den überschäumenden Reaktionen in der europäischen Linken sieht, und zeigt auf, dass Veränderung und Widerstand machbar sind.

III

Schon während des Wahlkampfs wurde der Trend der Führungsspitze von Syriza nach rechts und zu mehr „Realitätsbewusstsein“ zunehmend deutlich. Die Forderung nach einer sofortigen Aufhebung des Memorandums und damit der zentrale Slogan im Wahlkampf von 2012 wurden fallengelassen und die Position „Kein Opfer für den Euro“ relativiert. Auch die Verstaatlichung des Bankensystems tauchte nicht mehr auf der Agenda dringlicher Maßnahmen auf.
Der zentrale Programmpunkt bei Syriza besteht darin, die Sparpolitik beenden zu wollen, ohne dabei den institutionellen, monetären und finanzpolitischen Rahmen der Eurozone und der EU zu verlassen. Die Führungsspitze gibt sich überzeugt, eine Umschuldung und womöglich einen Schuldenschnitt mit den Gläubigern Griechenlands, d.h. der EU und des IWF, aushandeln zu können. Zugleich wird erwogen, von der jüngst beschlossenen Lockerung der  inanz- politik der EZB, dem „quantitative easing“ zu profitieren, um die Sparpolitik zu kontern. Darüber hinaus tritt die Syriza-Führung für einen Führungswechsel in der EU ein, der durch die linken Bewegungen in Südeuropa oder Irland sowie infolge der Diskrepanzen zwischen der Merkel-Regierung und der EZB oder zwischen Merkel und Matteo Renzi ermöglicht würde.
Die wichtigste politische Handlung von Syriza nach ihrem Amtsantritt wird sein, gemäß ihren Wahlversprechungen eine soziale Mindestsicherung zu schaffen, indem der Mindestlohn auf das vormalige Niveau von 751 € angehoben, die elementaren Tarifrechte wieder hergestellt und die Entlas- sungswelle im Staatsdienst gestoppt werden. Außerdem soll den 300 000 Familien, die unterhalb der Armutsschwelle leben, eine Soforthilfe gewährt, neue Arbeitsplätze geschaffen und die Renten angehoben werden. Alles Maßnahmen, die ohne Zweifel dringlich sind.
Allerdings dürfte selbst eine solch vorsichtige Lockerung der Sparpolitik unter den gegebenen Kräfteverhältnissen in der EU kaum durchsetzbar sein. Dies liegt nicht daran, dass solche Maßnahmen aus finanziellen Gründen nicht möglich wären. Vielmehr fürchtet die herrschende Klasse in Europa aufgrund der tiefen Krise der Eurozone, die selbst hauptsächlich Folge der in der „Europäischen Einigung“ vorgegebenen und festgeschriebenen neoliberalen Agenda ist, alles, was nur im Geringsten auf einen „Paradigmenwechsel“ hinauslaufen könnte. Dies gilt umso mehr, wenn man die italienische Schuldenkrise und das wachsende Haushaltsdefizit in Frankreich bedenkt. Insofern wird die EU in den Verhandlungen sehr wahrscheinlich Druck auszuüben versuchen, dass die Sparpolitik beibehalten wird, will heißen, dass niemand aus der Reihe tanzen darf.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Griechenland noch immer von den Finanzhilfen der EU und der Liquiditätsgewährung durch die EZB abhängig ist, und dass die neue Regierung vor leeren Kassen stehen und dringend Geld für Sofortmaßnahmen brauchen wird. Und gerade darin wird, unter dem kombinierten Druck seitens der EU, eine der ersten Herausforderungen der neuen Regierung liegen. Erst recht nicht dürfen wir vergessen, dass im Rahmen des Sparprogramms der „Rettungsschirm“ für Griechenland nur unter der Auflage gewährt worden ist, dass nicht nur fiskalische Ziele wie bspw. der Primärüberschuss des Haushalts (an sich schon eine Form der Sparpolitik) eingehalten werden, sondern auch Gesetze und Reformen nach neoliberalem Zuschnitt erfolgen müssen. Und die Troika wird genau diese Bedingungen stellen, selbst wenn nur ein Teil der Schulden neu verhandelt wird. Financial Times schreibt dazu: “Keiner der Vorschläge von Tsipras über eine, Schuldenschnitt wird Gehör finden, solange er nicht verspricht, die tiefgreifenden Reformen in Griechenlands Wirtschaft und öffentlichem Dienst weiter zu führen.“

IV

Angesichts dieser Konstellation ist es umso erforderlicher, einen Bruch mit der Verschuldung, dem Euro und der EU zu vollziehen. Es liegt auf der Hand, dass die griechische Regierung nur bei einem Stopp oder Moratorium des Schuldendienstes und einem Schuldenschnitt in der Lage sein wird, die öffentlichen Ausgaben zu erhöhen, um die Folgen der Sparpolitik überhaupt im Ansatz zu bekämpfen.
Genauso offensichtlich ist es, dass eine fortschrittliche Politik nur dann umge-  setzt werden kann, wenn sämtliche neoliberale Reformen, die Griechenland in den letzten Jahren aufgenötigt worden sind, abgeschafft werden. Ein solches Vorgehen wird unvermeidlich zu einer Konfrontation mit den gesamten Kontrollmechanismen der EU und den Zugehörigkeitskriterien zur Eurozone führen. Insofern ist ein Ausstieg aus dem Euro und folglich eine Rückkehr zur Währungssouveränität dringend geboten und Ausgangspunkt für eine wirklich fortschrittliche Politik.

V

Natürlich haben die Menschen in Griechenland während der letzten Jahre nicht bloß für ein „soziales Auffangnetz“ gekämpft, auch wenn momentan die Behebung der sozialen Notlage infolge der Sparpolitik natürlich die vordringlichste Maßnahme ist. Aber die tiefe soziale und politische Krise in Griechenland bietet auch ein „befreiendes“ Moment, die Möglichkeit nämlich, einen anderen politischen Weg zu beschreiten abseits des Neoliberalismus und des Schulden treibenden Konsumismus. Das heißt, dass der Ausstieg aus der Sparpolitik nicht als eine bloße Rückkehr zum „Wirtschaftswachstum“ gesehen werden darf, sondern als ein Prozess, in dem mit alternativen Entwicklungsmodellen und –zielen experimentiert wird und der auf autonomer Organisierung, neuen Formen demokratischer und partizipativer Planung und auf der kollektiven Erfahrung und Erfindungsreichtum aller Beteiligten basiert.

VI

Da Syriza nicht die erforderliche Mehrheit im Parlament erzielte hat, koaliert sie in der Regierung mit der Partei der Unabhängigen Griechen ANEL. In dieser Partei mischen sich populistische Züge mit traditionellen rechten Werten und es gibt Verbindungen zur griechischen Geschäftswelt und zur Orthodoxen Kirche. Seit ihrem Austritt aus der Nea Dimokratia trat sie stets gegen die Sparmaßnahmen auf.
Schon frühzeitig hat die Syriza-Führung dieser Koalition das Wort geredet, selbst wenn sie lieber eine absolute Mehrheit gehabt hätte. Die Koalitions- aussage ging einher mit einer neuen politischen Rhetorik, in der nicht mehr von einer „Linksregierung“ die Rede war, sondern von einer Anti-Austeritäts- Regierung, in der Syriza „soziale Nothilfe“ leistet. Daneben hat Panos Kammenos, der Führer der ANEL und jetzige Verteidigungsminister, in seinem Wahlkampf damit geworben, ins Parlament gewählt werden zu wollen, um „linke Verirrungen von Syriza“ zu verhindern.
Ganz wesentlich ist auch, dass nie eine Diskussion über ein Zusammengehen mit der KKE geführt wurde, weil eine solche Allianz zu einer radikalen Anti-EU-Koalition hätte führen können. Und dies wollten weder Syriza noch die KKE – Syriza nicht wegen ihrer EU-freundlichen Haltung und die KKE nicht wegen ihres defätistischen Sektierertums und ihrer Weigerung, irgendeine Möglichkeit für Veränderung sehen zu wollen. Sieht man nur die wirtschaftliche Seite, ist ein Gleichgewicht innerhalb der neuen Regierung durchaus erzielbar. In ma- ncher Hinsicht nämlich ist die ANEL „populistischer“ als die Syriza-Führung.
Da die Unabhängigen Griechen weder gegen die EU noch gegen den Euro sind, wird es in diesem Punkt auch keine Divergenzen geben. Hinsichtlich der Jurisdiktion (etwa der Rechte der LGBTQ), des Verhältnisses zur Kirche, der Flüchtlingspolitik etc. könnte es wohl Spannungen geben, aber insgesamt könnte – angesichts des neuen „Realitätsbewusstseins“ der Syriza-Führung – die Koalition durchaus klappen, zumindest am Anfang. Obendrein kann die Syriza-Führung so die aktuelle Regierung auf nationalem wie internationalem Parkett als eine nationale Koalition gegen die Sparpolitik verkaufen statt bloß als linke Regierung.

VII

Was die Wahlergebnisse der übrigen Linken angeht, muss anerkannt werden, dass die KKE ihr Ergebnis von 4,5 % im Juni 2012 auf 5,47 % leicht verbessern konnte. Im Wahlkampf gab sie sich gewohnt sektiererisch und bezeichnete Syriza als systemimmanente (Schein)alternative, wohingegen das einzig Wahre in der Stärkung der KP läge. Charakteristisch für die politische Linie der KKE war ihr Beharren daraus, dass eine Veränderung nur zustande kommen könnte, wenn man den „Opportunismus“ besiegte. Diese ziemlich defätistische Position ist die Grundlage für die sektiererische Politik der Partei. Die gegen die EU gerichtete radikale Linke, die durch Antarsya-Mars vertreten wurde, konnte sich mit 0,64 % gegenüber dem Juni 2012 (0,33 %) verbessern, litt aber unter dem extrem polarisierten Wahlkampf. Obwohl sie sich als unsektiererische linke Opposition zum Rechtstrend von Syriza präsentierte, gelang ihr kein Wahlergebnis, das ihrem Einfluss in den sozialen Bewegungen entsprechen würde.

VIII

Vor uns liegen wichtige Herausforderungen, die besonders die radikale Linke betreffen. Zunächst geht es darum, die Bewegung im eigentlichen Sinn wieder aufzubauen. Aus dem politischen Wandel und dem neugewonnenen Optimismus der Unterdrückten müssen neue Kämpfe erwachsen. Nur so kann genügend Druck auf Syriza ausgeübt werden, ihre Wahlversprechen umzusetzen und die soziale Lage wirklich zu verbessern. Damit die entlassenen Beamten wieder eingestellt werden, die öffentliche Rundfunk- und Fernsehanstalt ERT wieder in Gang gesetzt wird und die neoliberalen Reformen
abgeschafft werden, dafür müssen die sozialen Bewegungen kämpfen und sind breite Mobilisierungen überfällig. Nur so können die Menschen wieder Vertrauen in ihre Fähigkeit gewinnen, ihre Lebensumstände ändern und eine radikalere Vorgehensweise in der Politik fordern zu können. Dieses Gegen- gewicht angesichts des Drucks und der Erpressung der internationalen Institutionen ist unabdingbar.
Ohne soziale Kämpfe und eine kollektive Praxis in Widerstand und Veränderungsprozessen wird es keinen wirklichen Wandel des Systems geben. Die beeindruckenden Kämpfe der vergangenen Jahre haben die spektakulären Wahlergebnisse und den Linksruck der WählerInnen befördert. Insofern lassen sich die Wahlergebnisse in gewisser Weise auch als politischer Ausdruck dieser
vorangegangenen Proteste und ihrer Dynamik deuten. Die gegenwärtigen Umstände machen ein Wiederaufleben der Bewegung in Form von Kämpfen, aber auch von Zielen und Idealen erforderlich.
Wir brauchen quasi einen Überschuss an sozialer Macht, um die Regierung unter Druck zu setzen, den Erpressungen der EU zu trotzen und neue Radikalisierungsformen in Gang zu setzen.

IX

Schlussendlich muss die Diskussion über die Strategie fortgeführt werden. Es kann uns nicht einfach darum gehen, irgendeine fortschrittliche Regierung, umgeben von Zwängen und Verboten seitens EU und Eurozone, zu kriegen. Vielmehr müssen wir einen dialektischen Zusammenhang herstellen zwischen Sofortforderungen und radikaler Veränderung, und zwar nicht nur in dem Sinn, dass der überfällige Bruch mit der Schuldenlast und mit dem Euro vollzogen wird, sondern auch und vor allem indem neue soziale Zusammenhänge ausprobiert werden. Für Antarsya und darüber hinaus die griechische radikale Linke, die gegen die EU-Politik ist, geht es nicht einfach und schon gar nicht zuvörderst darum, eine „Linksopposition“ zu Syriza zu bilden, auch wenn dieser unter den gegenwärtigen Verhältnissen, wo Syriza nur Druck von rechts erhält, sicherlich nützlich ist. Vielmehr müssen wir eine linke Alternative entwickeln, eine Strategie, wie Brüche vollzogen und neue Wege entgegen dem Neoliberalismus in Gestalt des Euro, der Verschuldung etc. beschritten werden können. Eine solche Alternative wird dringend geboten sein, wenn Syrizas Strategie auf die Erpressungen der EU und die Gegenangriffe des Kapitals treffen wird.

X

In der Geschichte Griechenlands ist eine neue Seite aufgeschlagen worden, die wir gemeinsam beschreiben können. Griechenland war bisher das Versuchskaninchen der aggressivsten neoliberalen Experimente seit Chile unter Pinochet. Noch immer können wir daraus eine Versuchsstätte künftiger
Hoffnungen machen. Dies setzt voraus, dass wir auf das Potential der Klassenkämpfe vertrauen und dass wir über die gewohnten Grenzen hinaus denken können. Genau darin liegt radikale Politik im eigentlichen Sinn. Es geht jetzt darum, dass die Menschen ihre Hoffnungen und Ideale weiter hochhalten – Hoffnungen und Ideale von Menschen, die gerade ihr Leben ändern.

28. Januar 2015

In diesem unmittelbar nach Verkündung des Wahlsiegs von Syriza geschriebenen Text analysiert Panagiotis, wie dieser Sieg die griechische politische Szenerie umgekrempelt hat und schlägt er ein Nachdenken über die Strategie der griechischen radikalen Linken vor. Panagiotis Sotiris ist Philosophiedozent und Spezialist für politische Philosophie und das Werk von Louis Althusser. Er hat unter anderem an der Universität von Kreta und der Universität Athen unterrichtet.
(Aus der Vorbemerkung der Redaktion von ContreTemps.) Panagiotis Sotiris ist Mitglied von Antarsya. Seine auf Englisch und Französisch vorliegenden Texte sind auf seinem Blog veröffentlicht: http://lastingfuture.blogspot.gr/.
Dieser Artikel ist zuerst auf der Webseite der US-amerikanischen Theoriezeitschrift Viewpoint Magazine erschienen. Eine Übersetzung ins Französische erschien auf der Webseite der französischen Zeitschrift für kritische marxistische Theorie ContreTemps.
Übersetzung: MiWe; Bearbeitung: Friedrich Dorn
https://viewpointmag.com/2015/01/28/a-strategy-of-ruptures-ten-theses-on-the-greek-future/
http://www.contretemps.eu/interventions/stratégie-ruptures-dix-thèses-sur-lavenir-grèce

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SYRIZA: „Ein Sandkorn im Getriebe“

SYRIZA: „Ein Sandkorn im Getriebe“

Interview mit Eric Toussaint (Comité pour l’Annulation de la Dette du Tiers Monde,
CADTM, Belgien), geführt von Benito Perez für die überregionale Tageszeitung Le Courrier aus Genf, veröffentlicht am 3. Februar 2015

Als PDF-Datei: hier

Wie beurteilen Sie die ersten Schritte der SYRIZA-Regierung auf ökonomischer Ebene?

Die ersten Maßnahmen nehmen eine Reihe ungerechter, unpopulärer und für das Land unheilvoller Maßnahmen zurück. Konkret hat die Regierung für 300.000 Haushalte, die ohne Strom waren, kostenlose Elektrizität verfügt; den gesetzlichen Mindestlohn wieder auf sein früheres Niveau (751 Euro) angehoben; 3500 Entlassene wieder eingestellt; das von der Troika zur Durchführung der Privatisierungen geschaffene Organ aufgelöst; den Verkauf
der Häfen von Piräus und Thessaloniki gestoppt… Alles in allem hat die Regierung gezeigt, dass sie das von der griechischen Regierung erhaltene Mandat respektiert. Darüber können wir uns nur freuen.

Entspricht mit der Nominierung von Yanis Varoufakis für den Schlüsselposten des Finanzministers die Zusammensetzung der Regierung diesem Geist?

Meinerseits bedaure ich, dass nur Männer unter den zehn „Superministern“ sind, wenngleich mehrere Frauen bedeutende Vizeministerinnen sind. Wenn auf ökonomischer Ebene Varoufakis die Bühne besetzt, so ist die entscheidende Person [der stellvertretende Ministerpräsident] Giannis Dragasakis, der eher zum gemäßigten Teil von SYRIZA gehört. Diese  Regierung ist das Produkt geschickter Gleichgewichte. Betonen möchte ich die sehr bedeutende Präsenz von Giorgos Katrougalos, der mit der  Verwaltungsreform betraut ist und kürzlich die Wiedereinstellung entlassener Personen angekündigt hat. Dieser Jurist gehört wie ich zu den Initiatoren der
Initiative für einen Bürgeraudit der griechischen Schulden!

Die Ernennung von Panos Kammenos zum Verteidigungsminister und die Allianz von SYRIZA mit der Rechtspartei ANEL macht jedoch die Verwirklichung anderer Wahlversprechen – z. B. die Kirche zur Kasse zu bitten und die Armee zu verschlanken – schwieriger.

Ja. Dies sind zwei beunruhigende Konzessionen. Seit anderthalb Jahren gibt Alexis Tsipras positive Erklärungen zur Kirche ab, über ihre Rolle bei der Heilung der sozialen Wunden infolge der Sparpolitik. Er vergisst dabei, an
die Notwendigkeit zu erinnern, dass diese große Grundeigentümerin mehr zu den öffentlichen Finanzen beiträgt.
Was die Präsenz von Kammenos im Verteidigungsministerium betrifft, so ist diese wohl eine Botschaft an die Armee: SYRIZA wird sie nicht anrühren. Der griechische Militäretat ist derzeit proportional einer der bedeutendsten in der Europäischen Union. Deutschland und Frankreich, die hauptsächlich die griechische Armee beliefern, haben stets darauf geachtet, dass die aufeinander folgenden griechischen Regierungen ihre Bemühungen um Einsparungen in diesem Bereich einschränken. Kammenos hat allerdings in der Gestalt des
Vizeministers Kostas Isichos einen Aufpasser erhalten. Isichos, ein aus Argentinien stammender ehemaliger Guerillero der [linksperonistischen] Montoneros, wird der Linken von SYRIZA zugerechnet.
Ich möchte auch betonen, dass trotz der Präsenz einer Partei im Geruch des Rassismus im Kabinett die Regierung sofort Migrantenkindern, die im Land geboren oder aufgewachsen sind, die griechische Staatsbürgerschaft zuerkannt hat. Dies ist im griechischen Kontext wichtig, denn die vorausgegangene Regierung hatte die fremdenfeindliche Karte ausgespielt. SYRIZA zeigt hier, dass sich die Koalition mit ANEL auf ökonomische Fragen beschränkt und sie die MigrantInnen nicht den Preis dafür zahlen lässt.

In der zentralen Frage der Schulden schlagen Stimmen in SYRIZA ein Zahlungsmoratorium vor, das an das Wachstum gebunden werden müsste.

Wenn dies der Fall ist, ist dies schon eine Entwicklung der griechischen Position, die wahrscheinlich den sehr heftigen und sehr negativen Reaktionen verschiedener wichtiger Persönlichkeiten der Eurozone, die bestenfalls eine Neustaffelung der Rückzahlungen in Betracht ziehen, geschuldet ist. Die Einstellung der Zahlung ist, ebenso wie der Schuldenaudit, tatsächlich ein Teil der öffentlich von SYRIZA in Betracht gezogenen Waffen, aber nur in zweiter Instanz. Die erste Strategie der Regierung ist es, eine Verhandlung zu fordern und eine internationale Konferenz zu den gesamten Schulden einzuberufen. Es gibt auch den Willen, die Debatte in das Herz der europäischen Institutionen zu tragen und dabei die illegitime Troika (EZB, IWF, EU) abzulehnen.

Die Fronten scheinen also verhärtet. Ist es eine Posse, um den Einsatz zu erhöhen, oder ein unmöglicher Dialog?

Ich neige zur zweiten Option. SYRIZA schlägt zwei elementare Dinge vor: Wir bewahren den ausgeglichenen Haushalt – dessen können sich nur wenige europäische Regierungen rühmen –, aber wir teilen die Lasten unterschiedlich auf, indem wir die Opfer der Krise entlasten und die Belastungen für die Gewinner verstärken.
Zweitens: Wir verhandeln die Verringerung der Schulden. Für die europäischen Führer sind die Schulden das Instrument zur Durchsetzung neoliberaler Strukturanpassungsmaßnahmen, die SYRIZA zurecht zu beenden beschlossen hat. Es scheint also keinerlei Kompromiss möglich. Äußerstenfalls, wenn SYRIZA gesagt hätte: „Wir machen weiter mit dem neoliberalen Modell, aber ihr erleichtert die Schuldenlast“, hätte die EU vielleicht akzeptiert. Tatsächlich fordert Europa, dass Tsipras sein Wort zurücknimmt. Wahrscheinlich hat man ihm gesagt: „Schauen Sie sich Hollande an, er hat es Ihnen vorgemacht; verhalten Sie sich normal und folgen Sie dem vorgegebenen Weg…“ Das bedeutende Element dieser Woche ist, dass SYRIZA schon jetzt ein Sandkorn ins Getriebe geworfen hat, und das ist entscheidend.

Über welche Waffen verfügt jedes Lager, um die unvermeidliche Kraftprobe zu gewinnen?

Die Zahlen zeigen die 2015 gestellte Herausforderung. Griechenland muss 21 Mrd. Euro in mehreren Raten zahlen, mit den Hauptfälligkeitsdaten März und Juli/August. Es war vorgesehen – von der alten Regierung und von der Troika –, dass die Troika Griechenland das nötige Geld leiht, um seine Rückzahlungen leisten zu können, unter der Bedingung, dass die Privatisierungen und die Sparpolitik fortgesetzt werden.
In dieser Situation ist die Waffe von SYRIZA einfach: Einstellung der Zahlungen. Dann müsste die griechische Regierung meines Erachtens eine Kommission für einen Schuldenaudit schaffen, um zu bestimmen, welche
Forderungen legitim sind und bezahlt werden müssen. Der Audit kann Argumente liefern, um eine Einstellung der Zahlungen oder eine Ablehnung illegaler Schulden (die abgeschlossen wurden, ohne die interne Ordnung des
Landes oder die internationalen Verträge zu respektieren) zu begründen.
Ich habe eine 2013 verabschiedete Verfügung der EU gefunden, das jedes Land unter Strukturanpassung zwingt, für seine Schulden einen Audit zu veranstalten, um erklären zu können, warum diese eine derartige Höhe
erreicht haben, und eventuell Unregelmäßigkeiten zu entdecken.

Wie können Schulden, die von einer demokratischen Regierung ausgehandelt wurden, illegitim sein?

Hauptsächlich durch die Tatsache, dass sie zu missbräuchlichen Bedingungen ausgehandelt wurden. Griechenland wurde gezwungen, eine Politik der sozialen Gegenreform durchzuführen, die eine gewisse Anzahl von Rechten verletzte, sowie eine Sparpolitik, die die Wirtschaft zerstörte und die Rückzahlung unmöglich machte. Man kann auch zeigen, dass die Regierung illegal zugunsten spezieller Interessen gehandelt hat, wodurch die Transaktion nichtig wird. Ein Audit der griechischen Schulden ist leicht zu realisieren: 80 % der Schulden sind in den Händen der Troika und gehen nicht weiter zurück als auf das Jahr 2010.

Sie haben gesagt, dass die Mehrheit der Forderungen an Griechenland nun in europäischer öffentlicher Hand ist. Ist es nicht ungerecht, den europäischen Steuerzahler zahlen zu lassen?

Die Parlamente dieser Länder haben diese Darlehen unter verlogenen Vorwänden akzeptiert. Man sagte: „Man muss Griechenland retten“, „Man muss den armen griechischen Rentnern helfen“, während in Wirklichkeit die
Regierungen Frankreichs, Deutschlands, Belgiens dazu von ihren Banken aufgefordert wurden, die darüber beunruhigt waren zu sehen, dass Griechenland nicht mehr in der Lage war, die von ihnen gewährten Darlehen mit hohem Risiko und zu sehr hohen Zinsen zurückzuzahlen. Ziel von Merkel und Sarkozy war, es ihren Banken zu erlauben, sich schadlos zurückzuziehen, und von der Durchsetzung antisozialer Maßnahmen und Privatisierungen zu profitieren. In Wirklichkeit handelte es sich nicht darum, die griechischen Renten zu retten, sondern sie zu senken! Folglich müssen die Regierungen, wenn die Operation dazu gedient hat, die Gläubigerbanken zu retten, nur die Kosten der Schuldenannullierung mit einer Steuer auf diese Institute ausgleichen.
In Wirklichkeit sind die Summen, die auf dem Spiel stehen, für die EU nicht so bedeutend. Das Fehlen einer Reaktion der internationalen Börsen zeigt klar, dass es kein systemisches Risiko gibt. Die aktuelle Blockade ist vor allem eine ideologische Frage. Für die EU besteht das Risiko darin, einen Präzedenzfall zu schaffen, den eines Landes, das in der EU bleiben könnte, ohne die neoliberale Politik anzuwenden. SYRIZA scheitern zu lassen ist eine Botschaft an die zypriotischen, portugiesischen, irischen und spanischen Wähler. Vor allem letztere könnten in einigen Monaten der Verlockung nachgeben, für Podemos zu stimmen.

Konkret würde eine Einstellung der Darlehensrückzahlungen ein Stopp der europäischen Zahlungen und, für Griechenland, die Explosion der Zinsraten auf den Kapitalmärkten bedeuten. Könnte der Staat dann in eine Liquiditätskrise geraten?

Nein. Nichts deutet daraufhin, dass der Haushalt nicht mehr ausgeglichen wäre. Griechenland benötigt keine Fonds, die in jedem Fall zur Rückzahlung verwendet würden. Und der Teil der griechischen Finanzen, der auf den Finanzmärkten erworben wird, ist minimal. Jedenfalls sind diese Zinsraten schon vor acht Tagen explodiert, während die Zahlungseinstellung noch nicht einmal in Gang gekommen ist.

Über welche Waffen verfügt die EU, um Griechenland zu erdrosseln?

Die griechischen Banken geht es sehr schlecht, umso mehr als ihre Eigentümer die Kapitalflucht organisieren, wie wir an der Börse gesehen haben. Nun erhalten diese Banken Darlehen von der EZB, um ihre Liquidität zu sichern. Ich denke, dass die EZB diese Darlehen blockieren könnte, mit dem Risiko, dass das griechische Bankensystem zusammenbricht. Angesichts dessen muss Griechenland schnell reagieren, die Eigentümer der Institute enteignen und sie in die öffentliche Hand überführen. Aber dies würde eine Radikalisierung des
Projekts SYRIZA implizieren.

Kann die griechische Regierung auf wirkliche internationale Unter- stützung hoffen?

Von den sozialen Bewegungen, ja! Wir haben es in den letzten Wochen gesehen, von zahlreichen Bewegungen, die nie für eine Partei gestimmt haben, aber diesen Schritt jetzt getan haben! Diese Unterstützung kann, besonders in den großen Ländern der EU, sehr wichtig sein. Wenn die großen deutschen Gewerkschaften wie der DGB oder ver.di SYRIZA offen unter- stützten und zur SPD-CDU-Regierung sagten: „Hände weg von Griechenland!“, könnte dies Gewicht haben. Auf der Ebene der Staaten außerhalb der EU können wir uns auch Regierungen vorstellen, die Griechenland in einer opportunistischen Optik unterstützen. Ich denke da vor allem an Russland. Wenn Russland einige Milliarden zu niedrigen Zinsraten, und ohne Bedingungen zu stellen, leihen würde, könnte dies Griechenland helfen. Natürlich würde ich dies von anderen Regierungen bevorzugen. Vor
zehn Jahren hätte Hugo Chávez sicher die Initiative ergriffen. Aber heute hat Venezuela nicht mehr die finanzielle Kapazität.

Ist der von SYRIZA verkündete Bruch möglich, ohne aus dem Euro auszusteigen?

Nun, wir werden sehen! SYRIZA hat eine sehr gute Formel: „Kein Opfer für den Euro“, denn er lohnt nicht die Mühe. SYRIZA wird nicht die Initiative ergreifen, um die Eurozone zu verlassen, wenn sie nicht dazu gezwungen wird, denn die Mehrheit der Bevölkerung hält an der Einheitswährung fest. Ein Austritt aus der Eurozone wäre nur von Interesse im Falle der Verstaatlichung der Banken und der strikten Kontrolle der Kapitalbewegungen, was das Zögern seitens des weniger radikalen Flügels von SYRIZA erklärt. Eine solche Entscheidung würde generell die Intensität des Konflikts mit Europa erhöhen.
Das Interesse der Regierung wäre, sich in einer neuen nationalen Währung bei der eigenen Nationalbank verschulden zu können. Natürlich unter der Bedingung, dass die Bevölkerung ein großes Vertrauen in diese „neue Drachme“ setzt. Man könnte sich auch eine umverteilende Währungsreform vorstellen, mit einem Wechselkurs, der entsprechend dem Volumen der Transaktion differenziert ist, um die weniger Wohlhabenden zu begünstigen. Solches ist bereits geschehen, beispielsweise in Belgien kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, und ermöglicht auch die Bekämpfung der Inflation.
Dagegen wäre eine Abwertung, um die griechischen Exporte attraktiver zu machen, für die Kaufkraft der Bevölkerung riskant – und würde auch im Rahmen der Logik des Wettbewerbs verbleiben.
Die Länder der Eurozone haben ihrerseits kein Interesse daran, Griechenland auszuschließen. Nein, es sei denn als politische Bestrafung. Um zu zeigen, was es kostet, wenn man rebelliert. Aber es existiert keinerlei legaler Mechanismus dafür. Im aktuellen Kontext sind die Maßnahmen der SYRIZA-Regierung mutig, sie bestehen jedoch in der Rückkehr zu einem früheren, nicht gerade progressiven Zustand.

Es gibt auch diesen Appell für einen europäischen New Deal. Was ist im Grunde das politische Projekt von SYRIZA?

Offen gesagt, stelle ich mir dieselbe Frage. Aber der Kalender ist so beschaffen, dass wir es schon in den nächsten Monaten wissen werden. Bislang war es die Option, ein wenig Sozialstaat wieder zu erlangen. Wir sind
noch weit davon entfernt, zur früheren Situation zurückzukommen! Jenseits von SYRIZA ist meine Sorge, dass die europäische radikale Linke nicht mehr die Perspektive einer alternativen Macht außerhalb des Rahmens eines
reglementierten Kapitalismus sieht. Sicherlich ist das Kräfteverhältnis nicht gut, und die Wiederherstellung sozialer Rechte ist bereits ein Fortschritt. Aber es hat so viele Opfer gegeben! Der Kapitalismus hat so klar gezeigt, wohin er uns führt, dass dies ein Motiv ist, einem sozialistischen oder emanzipatorischen Projekt, oder wie wir es auch immer nennen, eine Chance zu geben, das der sozialen Ungerechtigkeit ein Ende bereitet und bei dem die Bevölkerung direkt an den politischen und ökonomischen Entscheidungen der Gesellschaft beteiligt ist.
Ich würde es bedauern, wenn all diese Leiden, all diese Anstrengungen nur zu einem ein wenig stärker  regulierten Kapitalismus führten. Natürlich müssen diese Veränderungen mit der Zustimmung der Bevölkerung, zu ihrem Rhythmus durchgeführt werden. SYRIZA ist gewählt worden, um ein wenig soziale Gerechtigkeit wiederherzustellen, nicht auf einem Emanzipationsprogramm. Aber um die Bevölkerung mit sich fortzureißen,
muss man ihr ein Projekt, eine Perspektive präsentieren. Und in diesem Bereich gibt es ein wirkliches Defizit an Reflexion und Ausarbeitung.

Aus dem Französischen übersetzt von Hans-Günter Mull, Mitarbeiter der Sozialistischen Zeitung (SoZ), Köln, http://www.sozonline.de/
Original: Syriza: «Un grain de sable dans l’engrenage»
http://www.lecourrier.ch/127395/syriza_un_grain_de_sable_dans_l_engrenage

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WER rettet WEN? – Filmveranstaltung

Mittwoch 11. Februar 2015 DGB –Haus Hans Böckler Platz, Köln 19:00 Uhr

wer-rettet-wen (2)

Veranstaltung des GSKK

FILM

„WER rettet WEN?“

Die Krise als Geschäftsmodell auf Kosten
von Demokratie und sozialer Sicherheit

Seit fünf Jahren werden Banken und Länder gerettet. Politiker schaffen immer neue Rettungsfonds, während mitten in Europa Menschen wieder für Hungerlöhne arbeiten müssen Es wird gerettet, nur keine Rettung ist in Sicht.
Der Film „Wer Rettet Wen“ zeigt, wer dabei wirklich gerettet wird: Nie ging es um die Rettung der Griechen, nie um die der Spanier oder Portugiesen.
Stets geht es nur um das Wohl der Hauptverdiener an diesen Krisen: den dort

mit hochriskanten Spekulationen engagierten Banken. Uns Steuerzahlern und sozial Benachteiligten hingegen werden bis heute alle milliardenschweren Risiken zugemutet!

Für große Banken ist die Finanzkrise dagegen
vor allem ein Geschäftsmodell!

Nachdem die deutschen Fernsehanstalten den Film ablehnten, weil man ihn dem Publikum nicht zumuten könne, hat sich das „Griechenland -Solidarität Komitee Köln“ entschlossen, diesen Film ( eine internationale Koproduktion der Kernfilm von Leslie Franke und Herdolor Lorenz) in einer öffentlichen Veranstaltung zu zeigen.

Über die Auswirkungen der Merkelschen Sparpolitik in Europa wird uns Steffen Lehndorff weitere Details mitteilen, da er seit Jahren intensiv mit dieser Thematik vertraut ist.

Mittwoch 11. Februar 2015
DGB–Haus
Hans Böckler Platz 19 Uhr
50672 Köln

Flyer PDF zum herunterladen hier

erreichbar mit der KVB Linie 3, 4 und 5. Haltestelle: Hans-Böckler-Platz

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Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.

Antwort der Bundesregierung

auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.

– Drucksache 18/324 –
Aus dem Zweiten Weltkrieg herrührende mögliche Ansprüche Griechenlands
auf Reparationen und Rückzahlung einer Zwangsanleihe

Vorbemerkung der Fragesteller

In der griechischen Politik werden wieder Forderungen laut, die Bundesrepu- blik Deutschland solle Reparationen für Kriegs- und Besatzungsschäden aus dem Zweiten Weltkrieg bezahlen. Außerdem wird die Rückzahlung einer Zwangsanleihe, die die Nazis im Jahr 1942 dem besetzten Griechenland abge- presst hatten, gefordert. Die Bundesregierung lehnt diese Forderungen als unbegründet ab.
Einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zufolge ist die Rechtsauffassung der Bundesregierung aber aus völker- rechtlicher Sicht nicht zwingend (WD 2, 041/13). Von der rechtlichen Situation abgesehen, müssen aus Sicht der Fragesteller auch moralische und politische Pflichten berücksichtigt werden. Was die Nazis gestohlen haben, darf die Bundesrepublik Deutschland nicht einfach behalten.
Die vollständige Anfrage und Antwort: hier als PDF

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