Success-Story ohne Demokratie
Zur Etablierung des postdemokratischen Maßnahmestaats in Griechenland
Es handelt sich um eine stark gekürzte und aktualisierte Fassung eines Beitrages, der in der Zeitschrift Kulturrevolution erscheinen ist: Krisenlabor Griechenland. kultuRRevolution 66/67. Juni 2014. S. 25-31.
von Gregor Kritidis (sopos)
In kaum einem Land der EU ist es im Zuge der Weltwirtschaftskrise zu derart starken sozialen und politischen Verwerfungen gekommen wie in Griechenland. Wurde vom vorherrschenden ökonomischen Mainstream zunächst die These vertreten, dass es sich bei der griechischen Staatsschuldenkrise um einen Einzelfall handele, sah man sich bald gezwungen, diese Einzelfall- in eine Sonderfallthese umzuwandeln. Ursache der griechischen Misere sei demnach eine Mischung aus südeuropäischem Schlendrian und balkanischer Vetternwirtschaft, eine spezifische historische Rückständigkeit des Landes. Diese vorherrschende Deutung steht jedoch insofern auf wackeligen Füßen, als der Anstieg der staatlichen Neuverschuldung infolge der Bankenrettungs-Programme keinesfalls eine griechische Besonderheit war, wie überhaupt das Epizentrum der Weltwirtschaftskrise in den USA und nicht in Griechenland lag.[2] Spitzenreiter beim Anstieg der Neuverschuldung war auch nicht Griechenland, dessen Bankensektor vergleichsweise „unterentwickelt“ ist, sondern Irland, das als „Keltischer Tiger“ lange Zeit als neoliberaler Musterschüler galt und sich auch bei der Umsetzung der Krisenpolitik der EU des Beifalls des neoliberalen Mainstreams sicher sein konnte. Das Besondere an Griechenland war und ist, dass die sozialen und politischen Eliten aus eigenem Antrieb zur Umsetzung des Austeritätsprogramms auf die Hilfe der EU und des IWF zurückgriffen. Historisch ist dieses Vorgehen keinesfalls einzigartig, die griechischen Eliten haben sich bei schwerwiegenden innenpolitischen Krisen stets der Unterstützung ausländischer Mächte rückversichert.[3]