Mikis fehlt – Grußworte zweier Weggefährten von Theodorakis zur Gedenkveranstaltung am 9.9.2022 in Köln-Nippes

Günter Wallraff

Ich lernte griechische Arbeiter – Gastarbeiter, wie sie damals genannt wurden – in meiner Zeit in deutschen Fabriken kennen und schätzen, wie auch ihr Idol: Mikis Theodorakis, der ihnen Hoffnung gab mit seinen Liedern und Texten, der ihr Temperament und ihre Musikalität gegen die Militärjunta richtete, vor der sie geflohen waren, und an die Freiheit band, der sie sich und der er sich verpflichtet fühlte. Auch nach dem Ende dieser Diktatur, die zwar mehr, aber nicht die ganze Freiheit brachte, von der Theodorakis bis zu seinem Lebensende träumte und arbeitete. 2017 traf ich ihn in Athen und kurze Zeit später noch einmal anlässlich eines wundervollen Konzerts in Düsseldorf. Er war im besten Sinne ein einzigartiger Volksdichter, Sänger und Komponist in einer Person – ein Freund, ein unvergesslicher und unvergessener Weltbürger.

Als Delegierter des „Ausschusses Griechenland-Solidarität“ kettete sich Günter Wallraff am 10. Mai 1974 an einen Lichtmast auf dem Syntagma-Platz in Athen und verteilte Flugblätter, die das Terrorregime der griechischen Militärdiktatur kritisierten. Die Militärpolizei nahm ihn fest, er wurde gefoltert und zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt. Freigelassen wurde er einige Monate später, nach dem Sturz der Militärjunta. In Griechenland wird er dafür bis heute verehrt.

Ausführlicher Bericht (DW)

Wassilis Aswestopoulos

Mikis fehlt

Vor einem Jahr kreisten angesichts von Mikis Tod Gedanken im Kopf:
Heute ist das Lied, das mein Vater mir als Kind vorgesungen hat… „Chelidoni“ gestorben, es war das erste Lied, das ich versucht habe zu singen. Heute ist eines der ersten Konzerte gestorben, die ich je gesehen habe – „Lianotragouda“, „Romiosyni“. Die Intonation der Niederlage „milo“ und der Sieg der Menschen „Tha simanoun oi kampanes“ starben.
Es ist eine Art Tod für die Liebesmelodie „Phaidra“, für die Hymne der Armen „Savvatovrada“, die Trauer „pou petaxe to agori mou“, das Lied der Lieder – mit den Texten von Pablo Neruda (Canto General ) aus Amerika in eine kleine Wohnung in Aachen.
Das Unmögliche, das vertonte Martyrium von Mauthausen mit einer Ode an die Liebe und Makronyssos (Vraxo Vraxo). Das Zembekiko, das ich sterbend „sta pervolia“ tanzen möchte.

Der Komponist all dessen, der ewige Lehrer Mikis Theodorakis, ist gestorben, und ich fand in
den sozialen Medien das obige Zitat, geschrieben von mehreren Personen, ergänzt von mir
und somit die Quintessenz von uns allen. Wieso? Weil wir alle mit diesen Songs aufgewachsen sind, mehrere Generationen wuchsen auf mit seiner Musik und haben ihn als Teil unserer eigenen Familie betrachtet. Und ja, er hat uns gelehrt, Katastrophen mit Optimismus, Tatkräftigkeit, Widerstand und Musik zu begegnen. Genau wie ein Pate, der versucht, einen Teil von Kazantzakis‘ Zorba in sein Patenkind zu stecken.

Wir bedauern den Tod von Mikis, sind aber dankbar für seine Gegenwart in unserem Leben
und die enorme Arbeit, die er uns und zukünftigen Generationen geleistet hat. Danke Miki und gute Reise zur Vega Constellation. Wieso Vega? Weil er diese Antwort einst selbst in die Kamera meines Freundes Asteris Kutulas sprach, als dieser fragte, was nach seinem Tod passieren würde.

Heute sind wir alle allein mit unseren Fragen. Mikis hatte einst optimistisch pessimistisch prophezeit, wie toll das Leben der Tiere und die Natur die Erde sein würde, wenn der Mensch sich endlich mit der Klimakatastrophe selbst abgeschafft haben würde. „Die Vögel werden frei sein, die Natur kann sich ungestört entfalten“, meinte er.

Autor: Wassilis Aswestopoulos

Bis zuletzt gab Mikis Antworten auf die Entwicklungen und Ereignisse in der Welt. Er verfolgte aufmerksam das Geschehen. Seine Antworten waren oft schmerzhaft – auch für Freunde. Unfehlbar war er nicht – aber mutig, sowie – anders als es heute üblich ist – frei von ad hominem Angriffen auf seine Dialogpartner.

Mikis war eine moralische Instanz, ein revolutionärer Musiker, der Ost und West künstlerisch
vereinigte. Er brachte Bouzouki und Baglama, vorher als Instrumente der kleinasiatischen Flüchtlinge verpönt und verachtet, in die Wohnzimmer der Bürger. Er integrierte – mit Musik. Was er am politischen Weltgeschehen heute nicht mehr kommentieren kann, das bleibt als Erbe in seinem Werk. Die Harmonie und Einigung von Gegensätzlichen. Er war ein ewiger Revolutionär gegen Ungerechtigkeit und Gewalt.

In seinem Testament bat er ausdrücklich darum, als Kommunist in Erinnerung zu bleiben.
Mikis hatte gegen die Nazibesatzung mit der Waffe in der einen und der Partitur in der anderen gekämpft. Er war auch im Bürgerkrieg im Widerstand gegen eine neue staatliche Ordnung, die aus Gründen der „Staatsräson“ Nazikollaborateure in Amt und Würden ließ oder beförderte.

Wassilis Aswestopoulos erlebte Theodorakis als Kind hautnah, und zwar Anfang der 70er Jahre in Aachen, als Theodorakis die Stadt zu einem griechischen Widerstandszentrum machte. Dies geschah während der Militärdiktatur. In einem griech. Restaurant trug er erstmals öffentlich „die kleinen Lieder der bitteren Heimat“ öffentlich vor. Seine Konzerte im Audimax der RWTH Aachen waren polit. Ereignisse für Griechen und Deutsche.

Später führte Aswestopoulos zahlreiche Gespräche mit Mikis Theodorakis und erlebte ihn in Widerstandsaktionen, z.B. vor dem Athener Parlament 2012, als das von EU-Seite auferlegte „Paket“ sozial einschneidender Maßnahmen durchgepaukt wurde. Theodorakis, im Rollstuhl sitzend, wurde durch Tränengas schwer verletzt. Von Wassilis Aswestopoulos stammt auch das Video „letztes Dirigieren“ von 2017, das während der Veranstaltung gezeigt wurde.

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