Rene Pollesch an Mendoni: Hände weg von „Empros“

Originaltext auf www.monopoli.gr (griech.) – dt. Übersetzung: GSKK

Mit seinem Brief an die Leitung des Kulturministeriums protestiert der künstlerische Direktor der Berliner „Volksbühne“ gegen den Versuch der Räumung des Theaters „Empros“ und drückt die Absicht aus, „sich in ein soziales und künstlerisches Projekt im Zentrum Athens einzumischen.“

Der deutsche Regisseur und Dramatiker Rene Pollesch hält sich in seinen Worten in dem Brief, den er am 9. Juni an die Kulturministerin Lina Mendoni zu dem Versuch der Polizei, die Besetzung zu räumen und das Theater „Empros“ (auf deutsch „Vorwärts“, Anm. d. Übersetzers) mit Betonsteinen zu verschließen, nicht zurück: Für den künstlerischen Leiter der „Volksbühne“ zeigt dies die „autoritäre Transformation“ der griechischen Gesellschaft.

Indem er jeden Angriff auf künstlerische Institutionen als Schlag gegen die Fundamente der Demokratie charakterisiert, erklären er sich selbst und seine Mitarbeiter entschlossen, jeden Raum zu verteidigen, wo die Menschen sich frei versammeln können, wobei sie ihre Absicht erklären, weiter zu gehen zu Austauschprogrammen zwischen der Berliner „Volksbühne“ und dem selbstverwalteten „Empros“.

Der Brief von Rene Pollesch, den wir in unseren Händen halten, wurde von Berlin per e-mail mit dem Datum 9. Juni 2021 abgeschickt und richtete sich an die Kulturministerin Lina Mendoni, den Staatssekretär Nikolas Jatromanolakis und die Generalsekretärin Eleni Doundoulaki. Der vollständige Text des Briefes ist folgender.

Die Unterzeichner, Rene Pollesch und die Gruppe seiner Mitarbeiter an der „Volksbühne“ von Berlin sind entschlossen, ihre Solidarität mit dem Theater „Empros“ in Athen zu zeigen. Wir sind erschüttert, zu erfahren, dass die Gruppe der Menschen, die das Theater im letzten Jahrzehnt auf kollektive und autonome Weise organisiert haben, mit Gewalt von der Polizei aus ihrem Theater hinausgeworfen wurde.

Das deutsche Publikum hat Interesse gezeigt für den Versuch, die Schließung des Theaters durch seine Besetzung abzuwenden. Seit Beginn haben verschiedene Menschen des Theaters das „Empros“ besucht und kulturelle Kooperationen mit ihm organisiert. Auch die neue Gruppe der „Volksbühne“ plant, Austausch zu beginnen, da wir das „Empros“ als ein Experiment betrachten, das das Potential hat, ein Beispiel eines erfolgreichen Versuchs zu sein für die Verteidigung der öffentlichen künstlerischen Räume und für eine Öffnung dieser zur Nachbarschaft und zum weiteren Publikum.

„Wir werden nicht passiv sein“

Wir betrachten diese Räumung als Teil einer Reihe zutiefst beunruhigender Ereignisse, die wir nur als „autoritäre Transformation“ der griechischen Zivilgesellschaft charakterisieren können. Obwohl die heutige Regierung vielleicht den Eindruck hat, dass diese Handlungen die Unterstützung der EU-Institutionen haben, möchten wir kategorisch erklären, dass die europäischen Bürger nicht passiv bleiben werden, wenn Armee und Polizei Künstler, Aktivisten, Studenten, Flüchtlinge und sogar Rechtsanwälte, die die Menschenrechte verteidigen, angreifen.

Wir sind entschlossen, jeden Raum zu verteidigen, wo sich Menschen frei versammeln können, um zusammen künstlerisch zu arbeiten oder einfach zusammen zu leben oder beides zu tun.

Wir rufen die Mitglieder der Regierung auf, die Angriffe auf die Zivilgesellschaft zu beenden. Um uns klar auszudrücken: Wir betrachten die Theater, die staatlich finanzierten oder die auf nicht gewinnorientierter Basis funktionieren, als vorgeschobene Wachposten einer freien und demokratischen Bürgergemeinschaft und jeder Angriff auf künstlerische Institutionen, unabhängige Veranstaltungen oder ihre Arbeitnehmer als Angriff auf die Zivilgesellschaft und auf die Fundamente der Demokratie, als eine Handlung, die nicht zu einer demokratischen Regierung passt.

Wir sind entschlossen, jeden Raum wo Menschen sich frei versammeln können – um künstlerisch tätig zu sein oder einfach zusammen zu leben oder beides – zu verteidigen in Berlin, in Athen oder irgendwo anders, gegen eine Politik, die von oben aufgedrückt wird und beabsichtigt, jede Aktivität zu unterdrücken, die nicht dem Funktionieren der Profitmaschinerie dient. Wir wissen, wie eng die Austeritätspolitik mit dem Autoritarismus verbunden ist und werden nicht zulassen, dass der Kontinent in eine metamoderne Variante der schrecklichen 30er Jahre gleitet.

„Wir wollen uns in ein soziales-künstlerisches Experiment einmischen“

Die Volksbühne ist stolz darauf, dass ihr Sitz an einem Platz ist, der den Namen Rosa Luxemburgs trägt, die bekundet hat, dass gegenüber der Selbstbestimmung des Volkes die einzige Alternative die Barbarei ist. In diesem Sinne rufen wir sie auf, von jeder Handlung Abstand zu nehmen, die so charakterisiert werden könnte. Und wir verlangen von Ihnen, sich daran zu erinnern, dass die gleichzeitige Entwicklung von Theater und Demokratie in der Antike kein historischer Zufall war und beide Formen der Macht für das Volk, vom Volk und mit dem Volk sind.

Jedes Theater muss ein „Volkstheater“ sein! Deshalb hoffen wir ehrlich, dass die griechische Regierung ihre Handlungen überprüfen wird und uns erlauben wird, dasswirunsere Absicht verwirklichen können, uns in ein soziales und künstlerisches Experiment einzumischen, ein Experiment, das wir als einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung neuer Formen der Interaktion zwischen den Menschen – von der Nachbarschaft um das „Empros“ in Athen bis nach Berlin und noch darüber hinaus betrachten.

Für eine neue Vision für Europa! Für ein Europa von unten!

Rene Pollesch, Künstlerischer Direktor

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