Eindrücke von der Veranstaltung „Mikis Theodorakis – unsterblich“

am 9. September im Altenberger Hof (Köln-Nippes).

Der Abend war mit etwa 170 Zuschauer*innen sehr gut besucht und bot ein vielfältiges Programm.

  • Mischi Steinbrück trug einen von ihr verfassten Text, angereichert mit Zitaten aus Mikis Theodorakis‘ Autobiografie „Die Wege des Erzengels“, über seine drei entscheidenden Jugendjahre in Tripolis vor. Zusammen mit Kilian Müller (Bass) und Samuel Heinecker (Piano) reicherte sie (Gesang und Übersetzung) diese Geschichte mit vier Liedern von Theodorakis über Tod und Widerstand an.
  • Monika v. zur Mühlen, Manfred Neugroda (beide Griechenland Solidaritätskomitee Köln) und Anastasia Sakavara (POP, Griechischer Kultur-Städtepartnerschaftsverein Köln-Thessaloniki) führten durch die Veranstaltung.
  • Arzu Toker und Sophia Georgallidis berichteten über leidvolle griechisch-türkische Befindlichkeiten und zitierten aus dem Griechisch-Deutsch-Türkischen Lesebuch „KALIMERHABA“, sowie aus dem epischen Gedicht „Mütter gebären keine Helden“ über faschistische Mord-Gewalt an der Demarkationslinie zwischen dem Norden und Süden Zyperns. auch dies zur Erinnerung an an Mikis Theodorakis, der 1986 Mitbegründer der griechisch-türkischen Freundschaftsgesellschaft war und sich immer wieder für die griechisch-türkische Verständigung einsetzte
  • Das Oratorium „Canto general“ (Der große Gesang) gehört zu den am häufigsten aufgeführten Werken von Mikis Theodorakis. Paula Keller informierte über die Hintergründe der Entstehung des „Canto“ und brachte drei kurze Musikbeispiele des eindrucksvollen Werkes zu Gehör.
  • Elemente der politischen Biografie von Mikis Theodorakis sollten von Manfred Neugroda (GSKK) vorgetragen werden, aus Zeitgründen war jedoch eine Kürzung erforderlich, der Beitrag wird daher in schriftlicher Form nachgeholt (s. unten). Ein Video mit Ausschnitten aus dem legendären Konzert 1974 im Karaiskakis-Stadion (Piräus) wurde gezeigt und heute wie damals begeistert aufgenommen. Das Publikum war in einer Verfassung, wie ich es nie wieder erlebte: erfüllt von Freude, Glück, Stärke.“(Theodorakis)
  • Mikis Theodorakis dirigiert 2017 – aus einem Video von Wassilis Aswestopoulos
  • Anastasia Sakavara (POP) sagt den Auftritt der Tanzgruppe Melos an, mit griechischen Kreistänzen und Chasaposervikos (geleitet von Nikos Thanos – Mitglied der POP).
  • Zum Abschluss Lieder von Theodorakis aus verschiedenen Epochen, mit Panayiotis Vyzas (Buzuki) und Dimitris Kolonas (Pianist), Vicky Mentzelidou (Gesang, Gitarre) war leider kurzfristig erkrankt. Die Zuschauer*innen taten ihr Bestes.

(Eine Fotoserie von Klaus R. Müller – bis auf 2 Ausnahmen. Gerne dürfen die Fotos auch weiter verwendet oder geteilt werden, einzeln oder als Serie! Bitte immer mit dem Zusatz: Fotos: Klaus R. Müller, Creative Commons Lizenz CC BY-SA 4.0. Weitere Fotos einsehbar: https://photos.app.goo.gl/6m8k9ntrXAZzrrYZ8)

Beitrag von Manfred Neugroda

Die politische Biografie von Theodorakis ist umfangreich und vielfältig, so dass eine ausführliche Behandlung den Rahmen dieser Veranstaltung sprengen würde. Wir öffnen zeitliche Fenster für Ereignisse, auf die wir ein kurzes Schlaglicht werfen wollen und die nicht unbedingt allen präsent sind. Vielleicht wird dadurch die Bedeutung und Wirkung von Theodorakis lebendig. Zur vertieften Lektüre empfehlen wir u.a. das Buch von Wasssilis .Aswestopoulos, der mit Theodorakis lange befreundet war und ihn vielfach begleitet hat : Mikis Theodorakis: Komponist, Friedensstifter, Volksheld von 2018.

Beginnen wir unsere Zeitreise in den 40iger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Griechenland wird 1940 vom faschistischen Italien und 1941 von Nazideutschland besetzt. Schon mit 16 Jahren arbeitet Theodorakis im Widerstand, wird mit 18 Mitglied bei der EPON (Einheitliche griechenlandweite Organisation der Jugend), der Jugendorganisation des kommunistischen Widerstandes, nimmt an vielfältigen Partisanenaktionen teil. Mischi Steinbrück hat dazu schon erzählt. Er wird Mitglied
der EAM, der nationalen Befreiungsfront, auch gefangen genommen und gefoltert, kommt frei. Während dieser Zeit lernt er den Marxismus kennen und die Vorstellung vom Kommunismus.

Nach dem Abzug der deutschen Armee kommt es zum griechischen Bürgerkrieg, bei dem Theodorakis auf Seiten der Kommunisten mitkämpft. Als kommunistischer Regimegegner wird Theodorakis 1947 verhaftet und auf die Insel Ikaria verbannt, erneut im Dezember 1948 in das auf der Insel Makronisos eingerichtete Konzentrationslager deportiert, in dem Tausende umkamen. Theodorakis ist hier schwersten Folterungen wird zweimal lebendig begraben und ist dem Tode nahe. Makronisos ist wohl der Ort, an dem sich seine politischen und musikalischen Vorstellungen weitestgehend entwickeln. Er lernt dort u.a. Yannis Ritsos, den kommunistischen Lyriker, kennen und wendet sich der griechischen Volksmusik zu. Er verfasst die erste Fassung eines seiner bekanntesten Werke, das Lied vom toten Bruder.

Wir springen in den Beginn der 60iger Jahre. 1960 kehrt Theodorakis aus Paris zurück nach Athen und löst fast eine kleine inländische Kulturrevolution aus. Denn er vertont Texte großer griechischer Lyriker,
wie des Kommunisten Yannis Ritsos oder der Nobelpreisträger Odysseas Elytis und Giorgos Seferis, Instrument ist die Bouzouki. Das bauchige Saiteninstrument gilt in Griechenland zu der Zeit noch als vulgär und ist eher ein Instrument der Armen und aus der Türkei vetriebenen Griech:innen. Und den Liedtext überlässt er einem nicht ausgebildeten Sänger. Viele Griechen sind empört. Aber der Komponist lässt sich nicht beirren. Er vertont weitere Gedichte mit Populärmusik. Damit schafft er es, dass fast ein ganzes Volk die Texte seiner großen Dichter auswendig kennt.

Und er ist weiter politisch aktiv. Herausstellen will ich seinen Anteil an der Gründung der Lambrakis-Jugend 1963 in Reaktion auf die Ermordung des sozialistischen Politikers Grigorios Lambrakis. Yannis Ritsos, Manolis Glezos und Theodrakis besucht den sterbenden Lambrakis und entwickeln die Idee des Zusammenschlusses der sozialistischen und kommunistischen Jugendbewegungen. 3 Tage später wird die Lambrakis-Jugend gegründet, Theodorakis wird ihr Vorsitzender. Die Lambrakis-Jugendlichen spielen eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung der Bevölkerung in den folgenden Monaten. Die Lambrakides überziehen das Land mit ihrem Aktivismus und Theodorakisliedern, sie bringen Buchspenden und Schallplatten, aber auch Strom in die entferntesten Dörfer, reparieren auch kaputte Straßen, veranstalten die Marathonläufe 1963/64. Der Buchstabe Z wird das Symbol für die Lambrakides, Symbol sowohl für Zoi – Leben als auch für Blitz. Ihr großer Moment ist dann der Sommer 1965 nach dem Rücktritt von Georgos Papandréou. Athen erlebt zwei Monate lang jede Nacht eine Aufruhrsituation. Die Reaktion der Rechten Regierung versucht daraufhin die Lambrakisjugend zu vernichten, die löst sich deshalb auf in die Vereinigung der demokratischen Linken EDA , der Sammelpartei der linken Parteien. Nach dem Militärputsch von 21. April 1967 werden EDA und alle verwandten Gruppen verboten, Theodorakis wird zum Staatsfeind Nr.1. Der Zusammenschluss von sozialistischer und kommunistischer Strömung in Griechenland bleibt sein Leben lang ein starkes Handlungsmotiv.

Wir bewegen uns in den Anfang der 70iger. 1967 errichet der reaktionäre Teil des Militärs mit Unterstützung eines Teils der griechischen herrschenden Klasse und der Unterstützung der USA eine
Militärdiktatur, eine Junta, und verbietet und verfolgt alle linken Bewegungen. Auch Theodorakis wird inhaftiert und gefoltert, kann erst nach einer internationalen Freilassungskampagne 1970 nach Frankreich ausreisen. Darauf beginnt er eine weltweite Tournee zum Kampf gegen die Junta. Am Rande und ohne viel Aufhebens erklärt er im März 1972 seinen Austritt aus der KKE: sein gescheiterter Versuch, die beiden Flügel der Partei, Reformisten und Orthodoxe, wieder zu vereinen und die ständige Einflussnahme der KPdSU auf die Entscheidungen in Griechenland sind seine Austrittsbegründung.
1974 nach dem Sturz der Junta kommt er zurück nach Griechenland und gibt das bekannte Konzert im Karaiskakis-Stadion von Piräus, von dem wir jetzt Ausschnitte sehen.

Wir begeben uns nun in die 90iger Jahre. Mikis wird Minister. Die Verständigung zwischen Griechenland und der Türkei ist Theodorakis ein frühes Anliegen. Er wird Gründer der Griechisch-Türkischen Friedensinitiative, die er 1987 mit seinem Freund und Kollegen Zülfü Livaneli bei ihrem ersten
gemeinsamen Konzert in Köln initiiert und die u.a. von Asteris Koutoulas und Osman Okkan in Köln unterstützt wird und bis heute auch in Köln aktiv ist. Auf die Gefahr hin, von bestimmten Kreisen in den jeweiligen Ländern zu Verrätern abgestempelt zu werden, treten er und sein Freund Livaneli gemeinsam mit Yasar Kemal, Aziz Nesin und anderen Persönlichkeiten in Konzerten in jeweiligen Ländern auf, die von Zehntausenden von Menschen als Volksfeste gefeiert werden. Seine Vision ist eine entmilitarisierte Zone »Ägäis«, in der Griechenland und die Türkei ihre Rüstungsausgaben in gemeinsame Projekte für Frieden, Kultur und Bildung bündeln werden. Im Jahr 1990 wird Theodorakis erneut ins Parlament gewählt und als Minister ohne Geschäftsbereich beim Premierminister in die Regierung von Konstantinos Mitsotakis, Vater des heutigen Premierministers, berufen. In dieser Funktion setzte er sich 3 Jahre lang gegen Drogen und Terrorismus, für Kultur und Erziehung sowie für verbesserte Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei ein. Anfeindungen wegen letzterem führen schließlich zu seinem Rücktritt als Minister.

Rückblickenden nennt Theodorakis seine Ministertätigkeit einen Fehler, erklärt, dass er, der sich zeitlebens einen »freien Mann« nannte, in einer Ansammlung von parlamentarischen »Unfreien« nichts zu gewinnen, sondern viel zu verlieren hatte. 2010 gründet er eine Bewegung, die zum Nachdenken, zur Information und zur Aktion ins Leben gerufen werde, ihr Name lautet „Spitha“: auf Deutsch „Funke“.
Theodorakis sagt bei der Vorstellung: „Ich gebe den Funken, damit er stärker und zum Feuer wird, das uns errettet.“ Er betonte, dass es sich nicht um eine neu gegründete Partei handle, sondern um eine „Bewegung zum Ausreifen von Ideen“. Entsprechend kommentiert er im folgenden die politischen Ereignisse als Einzelperson, nimmt aber an Kundgebungen und Demonstrationen teil. Bekannt wird seine Teilnahme an einer Demonstration gegen die Troika-Politik der EU 2012, bei der er im Rollstuhl sitzend mit Tränengas schwer verletzt wird.

Viel gäbe es noch zu sagen, zur Musik und zum politischen Aktivismus. Doch wir schließen hier die Zeitfenster und kommen zu seinem Abschied.

Im Schreiben an den Vorsitzenden der KKE 2020 veranlasst er sein Begräbnis unter deren Regie und erklärt:
„Jetzt, am Ende meines Lebens, in der Stunde der Rechenschafts-berichte, verschwinden aus meinem Denken die Einzelheiten und es bleiben die ‚Großen Dinge‘ zurück.So sehe ich, dass ich meine entscheidendsten, die stärksten und meine reifen Jahre unter der Flagge der KKE verbrachte. Aus diesem Grund möchte ich die Welt als Kommunist hinter mir lassen. Ich wollte dich also bitten, dass du dich in jener Stunde persönlich annimmst, damit nicht nur meine Ideologie geachtet wird, sondern auch meine Kämpfe für die Einigkeit der Griechen.“
Und zu seiner Musik sagt er: »Ich schreibe keine Lieder, um zu unterhalten. Es ist keine Musik die vergessen lässt. Man muss die Freude aus ihr gewinnen, dass man sich reicher, anspruchsvoller, stärker fühlt. Sie muss zum Nachdenken führen, zum Wunsch nach einem schöneren Leben, wie es die Verse und die Musik aufzeigen. Darum muss sie Wurzeln im Gedächtnis des Volkes schlagen. Die Menschen, das Blut, die Toten der Vergangenheit finden sich in ihr wieder, nicht um Hass, sondern um Liebe zu säen.«

So wollen wir ihn in Erinnerung halten, Mikis Theodorakis – unsterblich

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