Wahlkampf? Oder ernsthafte Absicht?

Ralf Kliche zur Einschätzung der Entschädigungsforderungen, u.a. der Bedeutung deutscher Unterstützung der Forderungen (dieser Beitrag erschien zuerst auf griechenlandsoli.com)

Griechische Ausgabe von Karl-Heinz Roths und Hartmut Rübners „Reparationsschuld“

Am Mittwoch-Abend, 17.04.2019 hat das griechische Parlament mit großer Mehrheit eine Resolution beschlossen, nach der Griechenland weiterhin auf Reparationsforderungen gegenüber Deutschland besteht, die sich vorrangig aus der deutschen Besatzungszeit während des Zweiten Weltkrieges ergeben. In diesem Zusammenhang wurde das Thema deutscher Reparationen auch von deutschen Medien wieder aufgegriffen. Die oft erfreulich kritische Berichterstattung dort gibt teilweise auch den Forschungsergebnissen von Karl-Heinz Roth und anderen Historikern an der Bremer Stiftung für Sozialgeschichte angemessenen Raum. Sie hatten die Diskussion durch die von Roth und Hartmut Rübner vorgelegte Studie „Reparationsschuld“ neu befeuert – auch in Griechenland, nachdem zum Jahresbeginn eine griechische Übersetzung vorgelegt wurde.

Die Parlamentsdebatte und die Resolution widersprechen zumindest auf den ersten Blick meiner hier im Januar vorgelegten skeptischen Beurteilung des Willens der griechischen Regierung, das Thema der Reparationsforderungen zukünftig aktiv voranzutreiben.

Für eine Bewertung lohnt es sich, die Vorgänge und Positionen im Umfeld der Resolution etwas genauer zu betrachten als in der deutschen Berichterstattung, wo relativ schnell auf die ablehnende Reaktion der deutschen Bundesregierung verwiesen wird.

Zunächst einmal: Die Debatte und die Resolution wurden von der Regierung ins Parlament gebracht mit dem Verweis auf die Ergebnisse der vom Parlament eingesetzten Kommission zum Umgang mit den Reparationsforderungen an Deutschland. Diese Ergebnisse liegen bereits seit August 2016 vor, trotz entsprechender Forderungen nach parlamentarischer Behandlung hat sich Regierung bis jetzt damit Zeit gelassen. Die Ankündigung von Tsipras aus dem September 2018, das Reparationsthema bis zum Jahresende 2018 parlamentarisch aufzugreifen, wurde so mit nur ca. 3-monatiger Verzögerung umgesetzt und man ist geneigt zu sagen: Besser spät als nie! Nun stehen in Griechenland in diesem Jahr aber auch 3 Wahlen an (Kommunalwahlen, Europawahl und Parlamentswahlen), die Parteien sind bereits im Wahlkampfmodus und die Debatte erlaubt allen Parteien, sich mit einem antifaschistischen Aushängeschild ihren potentiellen Wählern zu präsentieren. Das haben auch alle Parteien getan – logischerweise mit Ausnahme der faschistischen Golden Morgenröte. Ihr Abgeordneter Evangelos Karakostas forderte Entschädigungszahlungen von der Kommunistischen Partei, weil diese Mitschuld am Massaker von Distomo trage. (1)
Die Vertreter aktueller oder ehemaliger Regierungsparteien hingegen verwiesen zumeist darauf, dass gerade sie und ihre Politiker – im Gegensatz zur politischen Konkurrenz – schon immer die berechtigten griechischen Reparationsforderungen unterstützt haben.

Auffallend und durchaus bemerkenswert hinsichtlich der politischen Relevanz von Unterstützung aus Deutschland waren entsprechende Hinweise von Rednern. So führte Triandafyllos Mitafidis als SYRIZA-Berichterstatter für die parlamentarische Kommission aus: „Wir sind einig mit den deutschen anti-nazistischen Demokraten, Akademikern, Wissenschaftlern und Aktivisten, die all die Jahre mit öffentlichen Aktionen und Kooperationen einen antifaschistischen Kampf Seite an Seite mit dem griechischen Nationalrat (für die Entschädigungsforderungen Griechenlands gegenüber Deutschland – RK) für die Anerkennung der Schulden Deutschlands gegenüber Griechenland geführt haben, damit unser Volk Gerechtigkeit erfährt.“ (2) Dazu legte er auch eine Antwort des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 06.02.2014 auf eine Anfrage der Partei DIE LINKE vor, wonach es keinen Verzicht der griechischen Regierung auf Reparationsforderungen des Landes gebe.

Die schließlich beschlossene Resolution beruht auf Forderungen über knapp 270 Mrd. Euro, die Summe umfasst Forderungen aus vier Bereichen:
Wiederaufbau nach dem Krieg aufgrund materieller Zerstörungen und Demontage der Produktions-Infrastruktur des Landes
Entschädigung für Opfer und Angehörige von Opfern des verbrecherischen Krieges
Rückzahlung des Besatzungsdarlehens
Rückgabe gestohlener archäologischer Schätze und Erbstücke

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Formuliert wurde dann wie folgt:

„In der Überzeugung, dass:
die Frage der Schulden aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg für Griechenland noch offen ist, als unverjährbare Schuld, die unverrückbar moralische, historische und juristische Gerechtigkeit verlangt
die Forderungen des griechischen Staates und die Schulden aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg nach wie vor offen sind und fortwirken
der griechische Staat seine Ansprüche nie und in keiner Weise aufgegeben hat
es keine Zweifel an der Nicht-Verjährung der Ansprüche des griechischen Staates gibt und geben kann

ruft das Parlament die griechische Regierung auf, alle geeigneten, insbesondere diplomatischen und rechtlichen Schritte einzuleiten, um die Schulden geltend zu machen und alle Forderungen des griechischen Staates aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg vollständig zu befriedigen.

Diese Entscheidung wird auch dem Präsidenten der Republik mitgeteilt.“ (3)

Diese Formulierungen verlangen kein spezifisches Vorgehen seitens der Regierung und lassen ihr insofern relativ viel Spielraum. Offensichtlich aus Sorge, dass die SYRIZA-Regierung nicht mit entsprechendem Nachdruck aktiv werden könnte, etwa durch eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, hatten die griechischen Kommunisten von der KKE Formulierungen vorgeschlagen, die auch SYRIZA kritisierten und die Regierung zum Klageweg verpflichten wollte:
„Der wesentliche Grund für die politische Haltung der griechischen Regierungen (ND, PASOK und SYRIZA – RK) und die Nichtforderung von Reparationszahlungen / Entschädigungen aus Deutschland war ihre Anbiederung an die Entscheidungen der Bourgeoisie, die ihr Interesse an internationaler Zusammenarbeit nicht gestört wissen wollte.
In diesem Sinne hat die Regierung von SYRIZA es sogar abgelehnt, auf eine Anfrage des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments zu reagieren, ihre Position zu dieser Frage zu übermitteln, nachdem dort eine Petition des PEAEA-DSE eingegangen war.

Diese Situation ist nicht tragbar.

Die Regierung ist verpflichtet, unverzüglich, direkt und ohne Umschweife vor jeder zuständigen internationalen Organisation gegen den deutschen Staat für ihre Ansprüche zu klagen – die Forderung nach Behebung aller Schäden und Reparationen.“ (4)

Dieser Entwurf hat keine Mehrheit gefunden.

Wie Tsipras mit der neuen Lage umgehen will, hat er in seiner Rede während der Debatte deutlich gemacht. Danach wird er seiner bisherigen Linie im Umgang mit dem Thema treu bleiben. Er hat angekündigt, eine diplomatische „Verbalnote“ mit den Inhalten der Resolution an das deutsche Außenministerium zu senden. Das ist der klassische diplomatische Weg und weit weg von eine Klageprüfung oder gar Klageerhebung. Trotzdem wolle er bei ablehnender Haltung aus Deutschland weitere Schritte gehen, ließ diese allerdings weitgehend vage: „Wir werden die europäische und internationale Rechtskultur nutzen und, wenn nötig, unsere eigene Rechtskultur den Entwicklungen der europäischen Rechtskultur angleichen. Ich denke, Sie verstehen, was ich damit meine.“ (5) Tut mir leid, verstehe ich nicht – außer: man will im Konfliktfall die eigenen Vorstellungen aufgeben.

Ob etwas durch die Resolution gewonnen wurde, wird sich erst noch weisen müssen. Viel optimistischer bin ich nicht geworden, wenngleich die Resolution sicher zu begrüßen ist. In jedem Fall hat die Unterstützung der griechischen Reparationsforderungen aus Deutschland erkennbar zum Wiederaufleben der griechischen Debatte beigetragen. Dies sollte uns Bestätigung und Ansporn sein!

Quellen / Anmerkungen:
(1) https://www.efsyn.gr/politiki/boyli/191880_nazistiki-proklisi-apo-ti-hrysi-aygi-gia-tis-germanikes-ofeiles
(2) http://www.amna.gr/feeds/logosupload.php?id=353123
(3) http://www.kathimerini.gr/1020063/gallery/epikairothta/politikh/nai-apo-th-voylh-sth-diekdikhsh-twn-germanikwn-apozhmiwsewn
(4) https://www.efsyn.gr/politiki/boyli/191901_sympnoia-gia-tis-germanikes-ofeiles-sti-boyli; die der KKE nahestehe Organisation PEAEA-DSE versteht sich als Nachfolgeorganisation der kommunistischen Widerstandsorganisationen der Besatzungszeit, vgl. auch ihre Homepage https://ethniki-antistasi-dse.gr/
(5) https://www.thepressproject.gr/article/140345/Tha-aksiopoiisoume-osa-mesa-mas-dinei-o-nomikos-politismos-dilonei-o-Tsipras-gia-tis-germanikes-apozimioseis

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