Veranstaltungsbericht: EU trocknet Griechenland aus

Griechenland wird durch die EU – Institutionen und den IWF gezwungen, die kommunale Wasserversorgung für Athen und Thessaloniki zu privatisieren. 2014 war dieses Vorhaben durch ein Referendum mit 98% der abgegebenen Stimmen verhindert worden. Auch gegenwärtig erhebt sich dagegen ein breiter Widerstand, den wir von Deutschland aus mit der Solidaritätsbewegung unterstützen.

Die Protestpetition wurde bereits von über 106 000 Menschen in Deutschland unterzeichnet. Insgesamt sind es jetzt über 130 000 Unterschriften.

In Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung gestalteten wir am 28. April 2017 im Kölner DGB-Haus einen Informations- und Diskussionsabend zur Wasserprivatisierung und zur aktuellen Situation in Griechenland. Mitveranstalter war die Rosa-Luxemburg-Stiftung, Gesprächskreis Sülz-Klettenberg, als Referenten hatten wir den Präsidenten der Gewerkschaft der Wasserwerker Thessalonikis, Georgios Archontopoulos, zu Gast. Auch Prof. Dr. Skevos Papaioannou, Sozialwissenschaftler aus Kreta, hatten wir gewinnen können, da er zur Zeit in Kassel lehrt. Souverän leitete Monika von zur Mühlen vom GSKK die dreistündige Veranstaltung, und mit Genossen Malamatinas hatten wir einen tollen Übersetzer dabei.

P1010386Georgios von der Wassergewerkschaft schilderte uns den seit Jahren geführten Kampf gegen die Wasserprivatisierung in der Kölner Partnerstadt Thessaloniki (mit 1,2 Mio. Einwohnern etwa so groß wie Köln). Als 2007 der erste Privatisierungsversuch gestartet wurde, begann die Belegschaft sich zu wehren und mobilisierte die Öffentlichkeit. Viele kleinere Gruppen und Organisationen beteiligten sich aktiv an der Verteilung von Infomaterial,Plakatierungen etc. Die Belegschaft war über so viel Zuspruch überrascht, und 2009 wurde die erste große Konferenz gegen die Wasserprivatisierung organisiert und die Kampagne „Rettet das Wasser“ gestartet.

Referenten reisten auch in andere griechische Städte und klärten über die brutalen Wasser – Privatisierungen in anderen Ländern, wie z.B. Argentinien und Brasilien auf. Viele Zuhörer zweifelten, ob „so etwas“ auch in Europa realisierbar sei, da es sich in Lateinamerika um IWF-Sparprogramme handeln würde. In Europa sei das unmöglich, meinten sie. Trotzdem war eine breite Sensibilisierung erreicht worden ,und die Wasseraktivisten störten die jährliche Industriemesse in Thessaloniki, organisierten nächtliche Marathondemos und Hungerstreiks. Die Medien ignorierten die Aktivitäten weitgehend.

Ab 2013 arbeitete die Kampagne dann mit ähnlichen Initiativen in ganz Europa zusammen (u.a. mit dem Berliner Wassertisch). Es wurde eine eigene Abstimmung im Rahmen der Kommunalwahlen 2014 durchgeführt: Vor den Wahllokalen stellten die Aktivisten der Kampagne eigene Urnen auf, wo außerhalb des Lokals zum Privatisierungsvorhaben abgestimmt wurde. Der Innenminister erklärte, die gesamte Aktion sei illegal und werde nicht geduldet. Die Antwort erhielt er in Form einer Großdemonstration in der Stadt. Zugleich wurden alle Politiker zu einer großen Wasserkonferenz in der Stadt eingeladen. Der Europäische Gewerkschaftsbund schaltete sich ein und schickte 36 Beobachter zu der Abstimmung, an der sich 57% aller Wahlberechtigten beteiligten. 98% der Bürger lehnten das Vorhaben ab und nach diesem Erfolg bequemte sich der Bürgermeister zu einem Gespräch. Der große Sieg der Kampagne war vollständig, als 50% der Aktien der Wasserbetriebe „eingefroren“ wurden und nicht mehr zum Verkauf standen.

Eine europaweite Konferenz mit Wasserinitiativen aus allen Ländern wurde von der Kampagne organisiert und 2015 war die Syriza – Regierung aufgefordert, ein Referendum zur Verfassungsänderung einzuleiten. Allerdings wurde dem Ziel der Kampagne, ein Verbot der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen in der Verfassung zu verankern, nicht entsprochen. Stattdessen lautet nun die Empfehlung, die Dienstleistungen „sollen in öffentlicher ‚Hand bleiben“. Mittlerweile sind 23% des Betriebes in privater Hand und es wird über „Public Private Partnership Projekte“ diskutiert.

Ab 2015 ist die griechische Kampagne zu einer international vernetzten Kampagne geworden, die sich zum Ziel gesetzt hat, „blaue Gemeinden“ ( Blue Communities) auf dem Kontinent zu erkämpfen. Es geht dabei nicht um die Sozialisierung, sondern um die Demokratisierung der Wasserverfügbarkeit (Preisgestaltung für Firmen) und um eine öffentliche Qualitätskontrolle, da unterschiedliche Messverfahren unterschiedliche Schadstoffe erfassen. Die Kampagne hat dann eine „blaue Gemeinde“ erkämpft, wenn folgende Prinzipen gelten:

  • Sauberes Wasser ist Menschenrecht!
  • Wasser steht allen Menschen zu!
  • Wasser ist als qualitativ hochwertiges Lebensmittel gesetzlich zu schützen!

Derzeit sind in Europa mehrere hundert Gemeinden in die Kampagne involviert. Abschliessend stellte der Gewerkschaftskollege fest, dass der 220-köpfigen Belegschaft (vor 18 Jahren noch über 700 Mitarbeiter bei kleinerem Versorgungsnetz!) im Laufe der Kämpfe klar wurde, dass sie gegen einen europaweit vernetzten Gegner mit einer ganzen Armada von Lobbyisten kämpfen. Dieser Kampf habe längst eine kontinentale Dimension angenommen.

Prof. Papaioannou sorgte für große Nachdenklichkeit, als er einen über 2000 Jahre alten Text aus der Zeit vor Chr. zitierte, der den Menschen als Teil der Natur begreift und ihm zu allen Naturprodukten ungehinderten Zugang zuspricht. Eine demokratisch verfasste Gemeinschaft müsse diesen freien Zugang für jedes Mitglied gewährleisten, da sie sonst nicht mehr als demokratisch zu bezeichnen sei. Man könne aber, meinte er, auch einen viel aktuelleren Text heranziehen:

Das Gattungsleben, sowohl beim Menschen als beim Tier, besteht physisch einmal darin, daß der Mensch (wie das Tier) von der unorganischen Natur lebt, und um so universeller der Mensch als das Tier, um so universeller ist der Bereich der unorganischen Natur, von der er lebt. Wie Pflanzen, Tiere, Steine, Luft, Licht etc. theoretisch einen Teil des menschlichen Bewußtseins, teils als Gegenstände der Naturwissenschaft, teils als Gegenstände der Kunst bilden – seine geistige unorganische Natur, geistige Lebensmittel, die er erst zubereiten muß zum Genuß und zur Verdauung –, so bilden sie auch praktisch einen Teil des menschlichen Lebens und der menschlichen Tätigkeit. Physisch lebt der Mensch nur von diesen Naturprodukten, mögen sie nun in der Form der Nahrung, Heizung, Kleidung, Wohnung etc. erscheinen. Die Universalität des Menschen erscheint praktisch eben in der Universalität, die die ganze Natur zu seinem unorganischen Körper macht, sowohl insofern sie 1. ein unmittelbares Lebensmittel, als inwiefern sie [2.] die Materie, der Gegenstand und das Werkzeug seiner Lebenstätigkeit ist. Die Natur ist der unorganische Leib des Menschen, nämlich die Natur, soweit sie nicht selbst menschlicher Körper ist. Der Mensch lebt von der Natur, heißt: Die Natur ist sein Leib, mit dem er in beständigem Prozeß bleiben muß, um nicht zu sterben.

Marxens ökonom./philosophische Schriften.

Wirtschaftstätigkeit hat sich nach Meinung von Skevos Papaioannou von den sozialen Beziehungsnetzen der Menschen abgekoppelt und führt als „Kapital“ ein Eigenleben. „Kapital“ ist eine gesellschaftliche Macht, die mit den Lebensbedingungen der Menschen nur unter der Maßgabe des Profits kooperiert. ( Polanyi „Große Transformation“)

In Griechenland sind 90% aller Privatisierungen ein Verschleudern an ausländische Konzerne für einen Bruchteil ihres Wertes. Er führt als Beispiele die Flughäfenübereignung an Fraport und den Verkauf einer großen Tabakfabrik an.(Die Firma wurde für 30 Millionen verkauft und hatte zuvor noch 88 Millionen Modernisierungshilfe aus Steuermitteln erhalten.) Nach der Bundestagswahl im September werde es seiner Vermutung nach unter einer großen Koalition dann auch in Deutschland zu einer brutalen Privatisierungswelle kommen.

Syriza sei mit der Situation überfordert gewesen. Sie sei viel zu unerfahren, zu wenig ideologisch gefestigt und zu euphorisch gewesen.

P1010392In der anschliessenden Debatte unter 30-40 Teilnehmern war die schwere Niederlage der griechischen Linken Hauptthema. Es wurde gefragt, was Linke eigentlich aus ihren Niederlagen lernen können. Auch auf die kommenden Kämpfe in Griechenland gegen die weiteren Austeritätsmassnahmen wurde hingewiesen.

Zeitgleich fanden in Köln einige Veranstaltungen im Vorfeld des 1. Mai statt und das einsetzende nasskalte Wetter, das den folgenden Dauerregen am Maifeiertag ankündigte, wirkten wohl ebenfalls als Besucherbremse für diese interessante Veranstaltung.

h. hilse

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