Film, Gespräch, Musik: Salonika – A city with amnesia

im Filmforum (Museum Ludwig) am 19. 3. um 18 Uhr

von John Malamatinas

thessaloniki-amnesie1Vor sechs Jahren, inmitten der Griechenlandkrise, machte sich eine Gruppe junger Menschen auf den Weg nach Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt Griechenlands. Ihr Ziel war die Auseinandersetzung mit der bewegenden Geschichte der Partnerstadt Kölns: Wie hat sich die Stadt im Laufe des 20. Jahrhunderts verändert? Wie lief die Vergangenheitsbewältigung? Und was hat das ganze mit „uns“ in Köln zu tun? Dabei entstanden viele Stunden Filmmaterial gefüllt mit Interviews von Zeitzeugen und Einwohnerinnen der Stadt. Nun ist die Kurzversion des Films „Salonika – A city with amnesia“ von Max Geilke und Mario Forth im Auftrag des Göthe Instituts für eine Ausstellung im Mazedonischen Museum für zeitgenössische Kunst entstanden und wird im Filmforum des Museum Ludwig präsentiert. Ziel dabei ist, neben der Herstellung von Öffentlichkeit für die Geschichte Thessalonikis, weitere finanzielle Unterstützer für die Fertigstellung des Langfilms zu finden.

Thessaloniki (Salonika) war im 19. Jahrhundert eine multikulturelle Handelsmetropole im Osmanischen Reich, in der die Juden, Griechen, Osmanen, Armenier und viele andere zusammenlebten. Vor etwas mehr als 100 Jahren wurde Thessaloniki nach den Balkankriegen 1912/1913 an das Königreich Griechenland abgetreten.  Das ehemalige Jerusalem des Balkans hat seine Geschichte im 20. Jahrhundert verloren: Grund dafür ist der plötzliche Exodus des muslimischen und jüdischen Lebens. Im Vertrag von Lausanne 1923 wurde, nach dem griechisch-türkischen Krieg 1919-20, ein Bevölkerungsaustausch vereinbart: Ein großer Teil der griechischen Flüchtlinge aus Anatolien fand eine neue Heimat in und um Thessaloniki, im Gegenzug verließ die türkische Bevölkerung die Stadt. Im zweiten Weltkrieg wurden 55.000 Jüdinnen und Juden nach Auschwitz deportiert. Diese einzelne Daten markieren einerseits die einzelnen Stufen des Prozesses der Hellenisierung einer Stadt. Keineswegs aber verraten sie wie diese Veränderungen den Fluss der Geschichte verschiedener Kulturen beeinflussten, und vor allem wie sie auf heutige und aufkommende Generationen wirken.

Am 6. Dezember 1942 beschlagnahmten die deutschen Besatzer gemeinsam mit ihren Kollaborateuren Europas größten jüdischen Friedhof in Thessaloniki, mitsamt seinen 500.000 Gräbern. Sie demontierten die Grabsteine zum Bau eines Schwimmbeckens für die deutschen Soldaten. Kurz darauf wurden die Steine als Baumaterial freigegeben. Bis heute zieren sie das Stadtbild: Treppen, Mauern, Parks, Kirchen sowie der Uni-Campus, der auf dem Gebiet des jüdischen Friedhofs errichtet wurde. Eine Stadt, die Jahrtausende lang Generationen unterschiedlicher Kulturen zusammengebracht hat und durch sie geprägt wurde, vergisst plötzlich ihre eigene jüngste Vergangenheit: Die Stadt leidet seit dem unter Amnesie.

Die Kurzdokumentation von Geilke und Forth soll die Geschichte und den Einfluss der Muslime und Juden in Thessaloniki aufarbeiten, die das Leben der Stadt neben den Christen bis 1942 kulturell und gesellschaftlich prägten. Durch die Befragung u. a. von Zeitzeugen soll der Kurzfilm zu Aufklärung, größerem Verständnis und Perspektivenerweiterung der Gesellschaft und Zivilgesellschaft über die ehemals kulturelle Diversität Thessalonikis beitragen.

Am 19. März um 18 Uhr veranstalten Eyedolon Pictureworks in Kooperation mit der ΠΟΠ-Initiativgruppe griechische Kultur zum Anlass der Premiere eine Veranstaltung im Filmorum des Museum Ludwig. Neben der Filmvorführung erwartet die Besucher eine Podiumsdiskussion und musikalische Beteiligung durch die Band „Rebetistas“ (Eintritt ist frei). Unterstützt wird die Veranstaltung von der A und A Kulturstiftung, dem AStA der Universität zu Köln und dem Referat für Popkultur und Filmkultur der Stadt Köln.

Auf der Podiumsdiskussion soll anhand dieser dramatischen Geschichte der Partnerstadt Kölns das schwierige Verhältnis zwischen Amnesie und Vergangenheitsbewältigung als Ausgangspunkt aufgegriffen werden. Rhena Molho, bekannt durch ihre Aufarbeitung der Geschichte des jüdischen Lebens in Thessaloniki („Der Holocaust der griechischen Juden“, Dietz Verlag), wird konkreter den Prozess der Veränderung einer Stadt vorstellen und versuchen der Frage nachzugehen wie Erinnerung heute aussehen kann. Lebt das alte Thessaloniki überhaupt im heutigen Gedächtnis fort? Sollten wir heute Geschichte nur im Museum oder aus einer Vogelperspektive betrachten oder lebt sie in uns weiter und benötigt einer tiefgreifenden Reflexion?

Karl-Heinz Roth wird auf Basis seiner geschichtlich-politischen Erfahrungen und aktueller Auseinandersetzung mit dem Thema Griechenland und Krise die Ambivalenz geschichtlicher Entwicklungen beleuchten und beschreiben wie sie bis heute in unsere Welt hineinwirken. In seinem im Februar erschienen Buch „Reparationsschuld. Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa“ untersucht er mit Hartmut Rübner die Reparationsfrage, eins der brisantesten und umstrittensten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Wie sah die Entschädigung der wenigen überlebenden Juden in Thessaloniki aus? Wie sieht die deutsche Schuld heute aus? Und was hat es mit der heutigen Krise Griechenlands zu tun?

Die anschließende offene Diskussion mit dem Publikum soll die Möglichkeit jeder und jedem eröffnen Fragen zu der Geschichte Thessalonikis zu stellen und die Vergangenheitsbewältigung mit der hiesigen zu verbinden. Dabei können viele tagespolitische Themen aufgegriffen werden: Von Flucht und Migration in der heutigen Gesellschaft bis zur aktuellen Verhasstheit Europas und ihrer Nationen.

 

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