VIO.ME – immer neue Gerichtstermine, aber keine Gerechtigkeit in Sicht.

Ein aktueller Kurzbericht über die Situation der inzwischen legendären selbstverwalteten Fabrik in Thessaloniki
von Konstantin Koustas

Eine vorsätzliche und demonstrative Demontage der rechtlichen, politischen und sozialen Institutionen des Landes findet seit Jahren statt und verschlimmert sich. Hiobsbotschaften sind ein alltägliches CmSwkoJXgAE6FT6Phänomen. Ein brutaler Raubzug und Ausverkauf des staatlichen und des privaten Vermögens vollzieht sich vor aller Augen: Rentner gehen auf die Strasse und werden mit brachialer Gewalt von der Polizei daran gehindert; allwöchentlich werden Privatwohnungen (Erstwohnsitze) versteigert – jedes Mal versuchen verzweifelte Menschen die Gerichtstermine zu blockieren und verhindern.

Immer mehr Menschen warten monatelang auf die Auszahlung ihrer Löhne. Noch nie hat es soviel Schwarzarbeit, Prekarisierung und vollkommen ungeschützte Arbeitsverhältnisse gegeben und die Folgen der Scheinselbständikeit sind nicht abzusehen. Fast 400.000 Menschen haben in den letzten Jahren das Land verlassen und versuchen im Ausland ein Auskommen zu finden. Das Schlimmste ist die Tatsache, dass diese desaströse Memorandumspolitk ausgerechnet von einer „linken“ Regierung umgesetzt wird. Doch trotz Resignation und Frustration gibt es immer noch Menschen, die nicht aufgeben sondern kämpfen. Eines der Beispele für diese Kampfbereitschaft ist Vio.me.

CmRhR1eWYAA7qNJNach einer vorläufigen Abwendung der Zwangsversteigerung von PHILKERAM
(Muttergesellschaft) hatte die Solidaritätsbewegung um Vio.Me (Karawane des Kampfes und der Solidarität) Ende Juni/Anfang Juli einen dritten Marsch nach Athen organisiert. Dort hatten die KollegeInnen von VIO.ME ein Treffen mit der Administration des Arbeitsministeriums gehabt, wo ihnen wieder einmal zugesichert wurde, dass die Regierung Tsipras ihre existentiellen Interessen berücksichtigen würde. Nach Ende des Treffens wurde die Solidaritätsdemonstration von Sondereinheiten der Bereitschaftspolizei
kaltblütig ohne jegliche Vorwarnung angegriffen. Zwei VIO.ME-Kollegen mussten in einem
Krankenhaus ärtzlich behandelt werden. Doch der Angriff der Polizei blieb erfolglos. Es kam zu spontanen, massiven Solidaritätsbekundungen. Drei Tage lang haben viele Menschen die verschiedenen politischen Info- und Protestveranstaltungen besucht.

CmSwnPkWYAAFWb1Doch die Rache der Institutionen ließ nicht lange auf sich warten. Zurzeit läuft eine behördliche Voruntersuchung gegen die VIO.ME-KollegInnen, weil sie angeblich mehrere Polizeibeamte während des bereits erwähnten Einsatzes tätlich angegriffen und verletzt hätten. Die Absurdität dieser Unterstellung wird deutlich, wenn mensch die martialischen Kampfmonturen der Sondereinheiten betrachtet! Damit nicht genug: Auch die Staatsanwaltschaft in Thessaloniki hat ein neues Ermittlungsverfahren gegen VIO.ME eingeleitet. Den KollegenInnen wird vorgeworfen, dass sie im Mai 2015 dem Konkursverwalter der früheren Firmeneigentümerin den Zutritt zum Fabrikgelände verweigert hätten. Das Ermittlungsverfahren wird von Amts wegen gegen die Basisgewerkschaft von VIO.ME wegen des Verdachts der „rechtswidrigen Gewaltanwendung“ durchgeführt.

Kurz zur Vorgeschichte:
Seit Mai 2011 hatten die Kollegen von VIO.ME (damals 72 Personen) keinen Lohn mehr erhalten. Im Sommer desselben Jahres hatte die Eigentümerin die Fabrik verlassen, ohne
den ArbeitnehmerInnen zu kündigen, ohne auch nur die ausstehenden Gehälter auszuzahlen. Seit dieser Zeit halten die KollegInnen den Betrieb besetzt. Seitdem hat es mehrere unendliche Prozesse gegeben.

Im Sommer 2014 stellte ein Gläubiger (AGET Herkules – eine Tochtergesellschaft des französischen Unternehmens LAFARGE) den Antrag auf Zerschlagung der Mutterfirma PHILKERAM AG wegen einer ausstehenden Schuld von ca. 130.000 EUR. Das ist eine lächerliche Summe verglichen mit den Gesamtschulden, die bei weitem die 20-Millionen-Grenze (Steuern, Sozialversicherungsbeträge, Löhne und Gehälter, Banken und andere Gläubiger) übersteigen. Das Urteil über die Liquidierung der Mutter PHILKERAM wurde in erster Instanz gefällt. Die Rechtsanwälte von VIO.ME hatten daraufhin frist- und termingerecht Berufung eingelegt. Als der eingesetzte Konkursverwalter das Fabrikgelände betreten wollte, war das Berufungsverfahren noch anhängig.

Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ist noch nicht abgeschlossen. Die unendliche Geschichte geht aber weiter: Die Justiz hat für den 20.10.2016 einen neuen Zwangsversteigerungstermin angesetzt. Angeblich ist dieser Termin der letzte der ersten Runde, der aus irgendwelchen Gründen bisher nicht zustande kommen konnte. Seit Wochen mobilisiert VIO.ME zu neuem Widerstand. Verschiede Solidaritätsstrukturen, Selbsthilfeprojekte, soziale Netzwerke, Basisgewerkschaften und linke politischen Bündnisse sollen in die Kampagne eingebunden werden.

Für Vio.Me ist dies kein juristischer sondern ein politscher Fall. Es stellt sich die Frage: wer wendet hier eigentlich Gewalt an? Sind die 23 KollegInnen von VIO.ME die gewalttätigen Täter und nicht etwa:
Die frühere Eigentümerin, die 350 Menschen in die Arbeitslosigkeit und Armut geschickt hat? Die Familie Filippou, die dem gesamten Unternehmenskomplex massiv Liquidität entzogen hat und Schulden in einer Größenordnung von mindestens 20 Mio verursacht hat? Dieselbe Familie, die hohe Summen an Sozialversicherungsbeträgen und Steuern noch immer schuldet? Frau Filippou, die zu einer Haftsstrafe verurteilt wurde, zu der sie aber nicht antreten musste?
Oder die Spekulanten, die darauf warten, die Produktionsstätten mit einem Potenzial von ca. 300 Arbeitsplätzen für ein Linsengericht zu zerschlagen.

Der Justiz geht es vor allem um die Kriminalisierung eines selbstverwalteten Betriebes. Damit wollen sie den unabhängigen sozialen Widerstand im Keim ersticken. Vio.Me soll der Präzidentsfall dafür werden.

Trotz all dieser Widerstände machen die KollegInnen weiter: sie haben ihre Pallette von biologischen Reinigungsmitteln erweitert und sind dabei ein bisher umweltunfreundliches Produkt aus der alten Produktion (Kleber für die Bauwirtschaft) wieder zu produzieren, diesmal jedoch ökologisch. Vio.Me ist nicht nur eine besetzte Fabrik sondern ist auch beispielhaft für politisches und soziales Engagement. Auf ihrem Betriebsgelände befindet sich eine Zweigstelle der sozialen Solidaritätsklinik von Thessaloniki (kiathess). Ferner unterhalten sie ein Depot zur Verteilung von Hilfsgütern an Flüchtlinge.

Zur Zeit organisieren sie das zweite euro-mediterrane Treffen besetzter/rückeroberter/selbstverwalteter Betriebe. Das Treffen findet vom 28. bis zum 30.10 2016 in Thessaloniki auf dem Vio.Me-Gelände statt. Das erste Treffen in Europa wurde bei fralib (Frankreich) abgehalten. Nähre Infos unter:
http://euromedworkerseconomy.net

K.K.

Dieser Beitrag wurde unter Griechenland, Selbstverwaltung, VIO.ME abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.