Zur Lage der freien Kulturszene in Griechenland

Zur Lage der freien Kulturszene in Griechenland

ein Text von Elli Papakonstantinou*

Ich lebe in Griechenland, in einem Land, in dem die Lebensbezüge nicht mehr planbar sind. Um eine solche Krisensituation zu überleben brauchen die Leute aus meinem Umfeld vor allem die Formulierung eines neuen Sinnzusammenhangs für sich selbst, ein neues Narrativ. Wenn alles zusammenbricht, gibt es die Chance auf einen Neubeginn.

Einige Problembereiche stechen besonders hervor: Unser nationales Selbstverständnis: Sind wir noch Europäer? Oder vielleicht Europäer zweiter Klasse? Der soziale Zusammenhalt: Diese Krise ist nichts anderes als die brutale Umverteilung von Gütern. Sie ist vor allem ein Krieg zwischen Arm und Reich. Der Verlust von Selbstachtung: Immer noch steigt die Arbeitslosigkeit. Sie liegt bei unglaublichen 90% im Theaterwesen. Die Eintrübung der täglichen Erlebens: Demos, die Universitäten geschlossen, die Stadt Athen zu einem Erinnerungsüberbleibsel dessen gemacht, was mal meine Geburtsstadt war.– Zerstörte Einrichtungen: Bildung, Gesundheitswesen usw..

Am Ende versagt sogar die Demokratie als unser politisches System. Man braucht als Beispiel nur an den Aufstieg der Goldenen Morgenröte und an den Verfassungsbruch im griechischen Parlament zu denken: Die Abgeordneten haben kürzlich in einer einzigen Abstimmung etwas durchgedrückt, das sie als ‚multiple Gesetzgebung´ bezeichneten. Dahinter verbarg sich eine Reihe verschiedenster Gesetzesvorlagen auf insgesamt etwa 600 Druckseiten, die von den Renten bis zu Regelungen für die pharmazeutische Industrie reichten. Den Abgeordneten wurde nicht hinreichend Zeit zum Durchlesen der Vorlagen gegeben und es gab eine Diskussion von lediglich drei Stunden im Parlament.

Seit 2011 ist jedwede Form von Unterstützung für die Kunst mit öffentlichen Geldern eingestellt. Selbst Gruppen ohne Gewinnorientierung wurden mit einem hohen Steuersatz belegt, der sogar bei nicht vorhandener Aktivität noch € 1000 jährlich beträgt. Das Staatsfernsehen und der staatliche Radiosender wurden zum ersten Mal überhaupt dazu gezwungen zu schließen, was es nicht einmal während der Diktatur in den siebziger Jahren gab. Die institutionalisierte Kunst ist dominant geworden, Lobbyisten und Monopole haben das Sagen und eine Art undercover Zensur hat sich in Griechenland breit gemacht, einem Land, das stolz darauf war, das Theater, die Freiheit des Wortes und die Demokratie hervorgebracht zu haben.

Zensur und Unterdrückung werden nicht offen vor jedermanns Augen praktiziert. Sie funktioniert auf sanftere Art und Weise, um die freie Kunst zu terrorisieren und kaltzustellen. Im Mai 2013 drohte der erst im vergangenen Monat wiedergewählte – Oberbürgermeister von Athen, Giorgios Kaminis damit alle Spielstätten unabhängiger Gruppierungen in Athen zu schließen. Er berief sich dabei auf die Gesetzeslage zur öffentlichen Sicherheit, die aus den vierziger Jahren stammt. Er hat diese Drohung tatsächlich dadurch umgesetzt, dass er entsprechende Bekanntmachungen der Abteilung in der Athener Stadtverwaltung, die zuständig für die technischen Aspekte von Theaterlizenzen ist, an fast alle unabhängigen Aufführungsorte in Athen verschicken ließ. Diese Anschreiben enthielten genaue Zeitangaben für die Schließung der Spielorte.

Wegen dieses Drucks inklusive der angedrohten hohen Geldstrafen im Weigerungsfalle sahen sich einige der freien Spielstätten gezwungen den Laden dichtzumachen. Doch schließlich stoppte Herr Kaminis wegen der Reaktionen aus der Szene die Versiegelungsaktion per Weisung. Er brachte dann eine neue Gesetzesvorlage ins Parlament ein, die noch vager formuliert war als das entsprechende alte Gesetz. Es gab keinen Vorab-Dialog dazu mit den betroffenen Gruppen. Das Parlament stimmte dem Gesetzesvorschlag zu. Von der Presse wurde es als Sieg gefeiert, dass nun überall in der Stadt gespielt werden könne, z.B. auf Terrassen, in alten Gebäuden, unter freiem Himmel usw.. Die Stadt selbst erteilt eine zeitlich begrenzte Genehmigung dafür, allerdings ohne Blick für die Tatsache, dass keine Änderungen bzgl. der Regeln für die Lizenzenvergabe bei schon bestehenden Theatern formuliert wurden.

Gestern hat der berüchtigte, nichtsdestotrotz vor kurzem wiedergewählte OB noch einen drauf gesetzt mit dem Plan alle freien Theater zu schließen und damit im Effekt die Produktion unabhängiger (Theater-)Kunst zu unterbinden. Er ließ dazu gestern an die Türen von 150! – man stelle sich vor: von einhundertfünfzig – Theatern in Athen die Ankündigung ihrer Schließung heften, also an die Türen von fast allen unabhängigen Spielstätten. Der OB zwingt die Unabhängigen damit zu lange währender Schließung und damit zur Absage des gesamten Winterprogramms. August ist der Ferienmonat für alle, auch für die Leute aus der Theaterlandschaft. Es ist dann auch kein Rechtsanwalt erreichbar, oder, schlimmer noch, ebensowenig die Stadtverwaltung, was die Einleitung angemessener Reaktionen sehr erschwert. Natürlich sind die meisten Spielstätten, wie erwähnt, für die Dauer der Sommerferien sowieso geschlossen.

Es ist wichtig für uns, dass aus dem Ausland Unterstützung kommt, da die Fortführung der geschilderten Politik zur völligen Institutionalisierung der Schönen Künste führen wird und damit zur Unterdrückung freier, alternativer Denkweisen, wie sie durch die freie Szene garantiert werden. Das hier ist eine schwere Herausforderung für die Kunst als solcher, einfach dadurch, dass die Künstler schwer unter Druck gesetzt werden und zweimal überlegen müssen, bevor sie offen ihre Meinung sagen.

*Elli Papakonstantinou ist Leiterin des Kulturzentrums Vyrsodepseio in Athen. Vyrsodepseio ist ein Graswurzelprojekt, das sich als Reaktion auf die Frage gebildet hat: Wie lässt sich Kunst in schwierigen Zeiten umsetzen? Daraus wurde ein sich immer weiter entwickelndes Projekt für horizontal angelegte Politik, für Netzwerke, für die Nutzung von Synergien und Kooperationen. Heute stellt es eine Plattform für etwa 400 Künstler/Aktivisten/frei schaffende Mitarbeiter dar. Vyrsodepseio ist ein zweistöckiges Gebäude von 2000qm, eine vibrierende Zelle der Kultur, die durch ein reichhaltiges wöchentliches Programm einen wirksamen Beitrag für das Gedeihen innovativer cross-over Kunst leistet.

Der Beitrag erschien zuerst im Newsletter von Trans Europe Halles, wo Vyrsodepseio seit Anfang 2014 Mitglied, ist, die Übersetzung besorgte freundlicherweise Hans Spiekermann.

Quelle: Zur Lage der freien Kulturszene in Griechenland – zakk – Zentrum für Aktion, Kultur und Kommunikation.

Dieser Beitrag wurde unter Griechenland, Kultur und Kunst veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.