Schuldenkrise, Memorandum und sozialer Widerstand in Griechenland

Schuldenkrise, Memorandum und sozialer Widerstand in Griechenland

Erster Teil: Die griechische Schuldenkrise und ihre Ursachen

A)   Die Politik des Memorandums 

Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise hat vor allem seit 2008 zu einem dramatischen Anstieg der Staatsverschuldung geführt. In den Jahren 2008-09 musste das internationale Banken- und Finanzsystem, das bankrott gegangen war, mit 15 Billionen Dollar gerettet werden, die letztlich von den Steuerzahlern Nordamerikas, Westeuropas und weltweit aufgebracht werden mussten. In den OECD-Staaten, den führenden kapitalistischen Ländern der Welt, ist die Staatsverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, dem BIP, von 72% im Jahr 2007 auf über 100% im Jahr 2011 gestiegen und der Trend ist weiter steigend. Sowohl die USA mit einem Defizit von knapp 15 Billionen $ als auch Japan, Großbritannien, aber auch die Länder der europäischen Peripherie, Island, Irland, Portugal, Spanien, Italien und Griechenland, die sogenannten PIIGS-Länder, haben mit riesigen Schuldenbergen und Haushaltsdefiziten zu kämpfen.

Der Fall Griechenlands ist exemplarisch, weil Griechenland seit dem Frühjahr 2010 in die Zwangsjacke einer bewusst herbeigeführten Wirtschaftsrezession, verbunden mit einer Kreditgewährung durch die „Troika“ gesteckt wurde

 Die Troika ist eine Art Gremium, das aus der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfond (IWF) besteht und das in Zusammenarbeit mit der pseudosozialistischen PASOK-Regierung unter Papandreou Griechenland seit letztem Jahr ohne demokratische Legitimation regiert und, genauer gesagt, zugrunderichtet. Offizielles Ziel von Troika und Regierung ist es, den griechischen Staatshaushalt zu sanieren, Griechenland aus der Krise zu führen und gleichzeitig den Euro zu stabilisieren und zu retten. 2010 betrug die Rezession 4,5%, 2011 wird sie voraussichtlich bei 5% liegen, weit höher als „geplant“.

Die Rezession hat schwere Auswirkungen auf den Lebensstandard der Bevölkerung, zehntausende kleine und mittlere Unternehmen machen zu, die Arbeitslosigkeit steigt rapide an, nach offiziellen Angaben von 12% im Mai 2010 auf 16,6% im Mai 2011, wovon besonders junge Menschen mit einem Anstieg von 14,8 auf 20% betroffen sind. Die Zahl der Beschäftigten ist um 300.000 zurückgegangen. Griechenland befindet sich aber erst am Anfang dieser Entwicklung und ab Herbst ist damit zu rechnen, dass Griechenland sich in eine Gesellschaft von „zu Beschäftigenden“ und Arbeitslosen verwandelt. Abgesichert und umgesetzt wird dieser Entwicklungstrend durch die Politik des Memorandums, das seit letztem Jahr praktisch die griechische Verfassung abgelöst hat und ersetzt. Das erste Memorandum von Mai 2010 ist ein beinahe unerschöpflicher Maßnahmenkatalog, der von Troika und Regierung, sprich den herrschenden Klassen der maßgeblichen EU-Länder, vor allem Deutschlands und Frankreichs, der USA über den IWF, aber auch Griechenlands selbst festgelegt worden ist und nach dem sich Griechenland zu richten hat.

Zu den Maßnahmen gehören Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst um 20 bis 40%, die Erhöhung der Mehrwertsteuer für die meisten Lebensmittel von 13 auf 23%, massive Rentenkürzungen, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit für viele Frauen um Jahrzehnte, eine systematische Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse, die Aushebelung und Abschaffung von kollektiven Tarifverträgen, ein rigider Abbau von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst nach dem „1 zu 5 – Prinzip“, wonach nur jeder fünfte Arbeitsplatz wieder neu besetzt wird, wenn jemand in Rente geht. Dies bedeutet, dass die öffentlichen Krankenhäuser, das öffentliche Schul- und Universitätssystem und andere Sozialdienste, für die in Griechenland schon in der Vergangenheit EU-weit auch prozentual die niedrigsten Ausgaben aufgewendet wurden, sehr bald vor dem Kollaps stehen werden. Außerdem gibt es drastische Erhöhungen der indirekten Steuern und anderer Ausgaben, Preiserhöhungen für Fahrkarten für Busse und U-Bahn, Benzinpreiserhöhungen, ein horrendes Mautsystem auf den Autobahnen, die Erhöhung der jährlichen Gebühren für PKW-Benutzung, Strompreiserhöhungen und vieles andere. Alle diese Maßnahmen wurden mit dem „Mittelfristigen Programm“, d.h. mit dem Memorandum Nr. 2, das jetzt im Juni durchs Parlament gezogen wurde, weiter verschärft. Es gibt Privatisierungen von staatseigenen Unternehmen, dem Energieunternehmen DEI, das Griechenland mit Strom beliefert, den Häfen, den Wasserwerken sowie den Ausverkauf griechischen Staatseigentums, von Immobilien und allem anderen an die Kreditgeber.

Die Diktatur der Gläubiger und das Scheitern der europäischen Integrationspolitik

Griechenland lebt unter der Diktatur der Gläubiger. Wer sind diese Gläubiger? Es sind die Banken und Finanzinstitute, die griechische Staatsanleihen besitzen, die also dem griechischen Staate Kredite gegeben haben. Dazu gehören hauptsächlich französische, deutsche, griechische und andere Banken, aber jetzt, mit der Einführung der Memorandum-Politik, zunehmend die internationalen Institutionen, der IWF und besonders die EZB, die die Finanzierung Griechenlands übernommen haben. Griechenland  hängt damit am Tropf der Finanzierung durch europäische Rettungsfonds, dem sogenannten EFSF, und den entsprechenden Krediten. Die Regierungen und die Mainstream-Medien stellen das so dar, als würden diese Gläubiger und diese Kredite Griechenland vor dem Untergang bewahren. In Wirklichkeit ist dies eine völlige Verdrehung der Tatsachen, weil die Politik der Gläubiger einzig und allein darauf abzielt, „den Euro zu retten“, wie gesagt wird, und das bedeutet, die extremen Gewinne der Banken, des Finanz- und Großkapitals abzusichern und zu garantieren, was gleichzeitig mit der rücksichtslosen Ausplünderung der arbeitenden Bevölkerung Griechenlands, von rund 85-90% der in Griechenland lebenden Menschen einhergeht. Es geht hier nicht einfach um „Länder“, um Griechenland, Portugal oder Deutschland, sondern um Klassenfragen, d.h. eine Minderheit von Reichen und Superreichen, in Griechenland z.B. das Reederei-Kapital und die Bankiers, werden zu Krisen-Gewinnlern, während die große Masse der Bevölkerung verarmt oder verelendet. Diese Politik als Rettung Griechenlands zu bezeichnen, ist in jedem Fall der reinste Zynismus.

Die Politik der Troika ist also Klassenpolitik  und sogar Klassenkrieg einer dünnen Schicht von schwerreichen Besitzenden und ihren Regierungen gegen die unteren Bevölkerungsschichten, d.h. gegen die Leute, die gezwungen sind, jeden Tag ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Die Kreditpolitik der Troika könnte man als doppelten Ausbeutungsprozess charakterisieren: Das Geld, das angeblich Griechenland geliehen wird, wird erst einmal in den Geberländern Deutschland, Holland, Frankreich usw. dem normalen Steuerzahler weggenommen und dann Griechenland  als Kredit gewährt, letztes Jahr mit einem Zinssatz von 4,5% für die 109 Mrd. Euro, die Griechenland bekommen soll, und ab diesem Jahr, bei der zweiten Runde von Krediten wieder von 109 Mrd., mit 3,5% Zinsen, was die Gelder aus dem EFSF-Fond betrifft. Dabei fallen in Zukunft gigantische Zinsenabzahlungen an, die letztlich der griechische Steuerzahler aufzubringen hat. Für die nächsten 30 Jahre ergibt sich ein Betrag von etwa 450 Mrd. Euro Zinsenrückzahlungen und damit jährlich im Schnitt von 15 Mrd.

Wenn man bedenkt, dass der griechische Staatshaushalt derzeit vor einem Schuldenberg von „nur“ 353 Mrd. steht, versteht man, was für ein Wahnsinn und was für ein unheimlicher Ausplünderungsmechanismus die Kreditpolitik der Troika ist. Im Übrigen ist längst klar, dass Griechenland  diese Schulden niemals wird zurückbezahlen können, was die Situation aber noch verschlimmert, da Griechenland  für die nächsten Jahrzehnte unter die Aufsicht der Troika und der europäischen und besonders der deutschen Aufpasser gerät, die dafür zu sorgen haben, dass dem griechischen und internationalen Finanzkapital nichts entgeht, was in Griechenland  irgendwie verwertbar ist. Die ganze Situation ist also unhaltbar und letztlich ausweglos, und das nicht nur für Griechenland, sondern für die gesamte europäische Peripherie, also auch für Spanien und Italien, wie sich in den letzten Wochen herausgestellt hat, ganz zu schweigen von den osteuropäischen Ländern, von denen jetzt einige der EU angehören und die vor sich hinsiechen wie Rumänien und Bulgarien.

Was die spezifische Stellung Griechenlands in der EU betrifft, ist es zwar nicht mit Ländern wie Deutschland oder Frankreich vergleichbar, aber es liegt –oder lag zumindest- im internationalen Vergleich der reichsten Länder der Welt, was das das pro-Kopf-Einkommen betrifft, auf Platz 27, was nicht so schlecht ist. Griechenland verfügt über beachtliche Quellen von Kapital und die größte Handelsflotte der Welt, griechische Unternehmen sind überall auf dem Balkan vertreten. Albanien, die Republik Mazedonien und teilweise Bulgarien gehören zur Einflusssphäre griechischen Kapitals. Asiatische und vor allem albanische, osteuropäische und nordafrikanische Migrantinnen und Migranten gehören mit einem Anteil von etwa 15% der Gesamtbevölkerung zum festen Bestandteil der arbeitenden Klasse in Griechenland. Griechenland ist nicht zufällig seit Jahrzehnten Mitglied der wichtigsten westlichen Staatenbündnisse wie NATO, EU und Eurozone. Das Scheitern der Integration Griechenlands in die Eurozone, und ganz allgemein das Auseinanderklaffen von EU-Peripherie und EU-Zentrum in der Krise, bedeutet, wie sich immer klarer herausstellt, das Scheitern der europäischen Integrationspolitik des Zentrums und besonders der Europa-Politik der herrschenden Kreise der führenden europäischen Großmacht, nämlich Deutschlands, in den letzten 20 Jahren, also seit dem Vertrag von Maastricht. 

Der Bankrott Griechenlands ist damit ist damit der Bankrott der Europapolitik der deutschen Regierungen seit den 90er Jahren und speziell der amtierenden Regierung von Frau Merkel und ihrem Krisenmanagement. Die Konstruktionen EU und Eurozone gehen letztlich daran zugrunde, dass sie hierarchisch organisiert sind, nur das Zentrum die Kommandogewalt ausübt und Europa deswegen auseinanderdriftet, anstatt harmonisch zusammenzuwachsen, was die ursprüngliche Idee war und weswegen die EU in der Vergangenheit von den Völkern akzeptiert wurde und es erstrebenswert erschien, in ihr Mitgliedsstaat zu sein. Diese Illusion ist zerplatzt. Umfragen zeigen, dass 38% der griechischen Bevölkerung es vorziehen würden, die Politik des Memorandums zu beenden, auch wenn dies mit dem Austritt aus der Eurozone verbunden wäre.  

Am 21. Juli wurde auf dem EU-Gipfel in Brüssel sozusagen offiziell festgestellt, dass Griechenland nach 15 Monaten Memorandum-Politik tatsächlich bankrott ist. Es ist natürlich paradox, dass Griechenland mit der Kreditpolitik der Troika immer mehr in den Abgrund gestoßen wurde und mit der Rezession, der daher schrumpfenden Wirtschaftsleistung und den entsprechend sinkenden Steuer- und Staatseinnahmen immer mehr Schulden abbauen soll. Dennoch dienen diese Paradoxa dem eindeutigen Zweck, die Profite der internationalen und griechischen Banken abzusichern und zu steigern. Die Beobachter des EU-Gipfels stimmen darin überein, dass Herr Ackermann von der Deutschen Bank bei den Verhandlungen darüber, wie mit dem griechischen Schuldenproblem umzugehen sei, eine Schlüsselrolle spielte. Auf dem EU-Gipfel wurde auch extra betont, dass Griechenland ein ganz eigener Fall und in nichts mit den anderen Ländern der Eurozone zu vergleichen ist. Aber noch im Juli wurde Portugal von den Rating-Agenturen weiter herabgestuft und ab Anfang August ist schon klar, dass Spanien und Italien sich auf der gleichen schiefen Ebene befinden wie Irland, Portugal und Griechenland und damit der Euro auf des Messers Schneide steht. Natürlich wussten das die EU-Regierungschefs und Herr Trichet schon am 21. Juli, wie die prompte Reaktion, Spanien und Italien ebenfalls unter den EU-Rettungsschirm des EFSF zu bringen, gezeigt hat.  

Die Ursachen der griechischen Verschuldung

Zu der Frage, wie es zur Schuldenkrise in Griechenland gekommen ist, gibt es viele falsche Erklärungsansätze, wie sie besonders auch in den deutschen Massenmedien breitgetreten worden sind. Dazu gehören tatsächliche oder angebliche Besonderheiten der griechischen Wirtschaft, der Schattenwirtschaft, der Korruption, des Fakelaki-Unwesens (d.h. Schmiergelder für Ärzte etc.) und der Ineffizienz des aufgeblähten, wie gesagt wird, griechischen Staatsapparats. Dieser letzte Faktor wird auch immer wieder in den regierungshörigen griechischen Massenmedien hervorgehoben: Die übermäßigen Staatsausgaben hätten Griechenland in die Schuldenkrise gestürzt. Mit der Realität hat diese Erklärung wenig oder nichts zu tun. Griechenland hat überproportionale Ausgaben für Polizei und Militär und ist einer der größten Rüstungsimporteure der Welt, kauft in Milliarden-Höhe besonders in den USA, in Frankreich und in Deutschland Rüstungsgüter ein, z.B. deutsche U-Boote, alles natürlich mit Schmiergeldern und Korruption, weil es sich immer um sehr hohe Beträge handelt. Der Siemens-Bestechungsskandal, in den Politiker von PASOK und der rechtsbürgerlichen Nea Dimokratia verwickelt sind, ist seit Jahren großes Gesprächsthema. Die Korruption kommt also hauptsächlich den großen Konzernen Deutschlands und Frankreichs zugute, die in Griechenland  ihre Geschäfte abwickeln.  

 Die Ausgaben für den Staatsapparat, Bildung, Schulen, Krankenhäuser und andere Sozialdienste waren dagegen schon immer viel niedriger als in den anderen EU-Ländern und damit ist das Lieblingsargument der griechischen Medien hinfällig. Es stimmt, dass es in Griechenland Misswirtschaft und Vetternwirtschaft gegeben hat und weiter gibt, dass Gelder hin und wieder wie vom Erdboden verschluckt sind, aber auch das ist keine Erklärung für die Krise. Die Schattenwirtschaft hat wenigstens in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass es Bewegung auf dem Markt und Konsum gab. Ein beliebtes und landläufiges Vorurteil ist, die Griechen hätten „über ihre Verhältnisse gelebt.“ Herr Juncker aus Luxemburg  hat in einem Interview mit der Zeitschrift FOCUS erklärt, Schuld an der griechischen Schuldenkrise seien die hohen Löhne! Diese Bemerkung ist interessant, vor allem wenn man in Rechnung stellt, dass das Lohnniveau in Westeuropa nur in Portugal niedriger ist als in Griechenland. Überhaupt lassen diese Herren in Interviews hin und wieder die Wahrheit aus dem Sack. Poul Thomson z.B., der dänische IWF-Vertreter in der Troika, meinte letztes Jahr in einem Interview, im Grunde ginge es gar nicht so sehr darum, ob Griechenland irgendwann alle seine Schulden abzahlen könnte, sondern um die Durchsetzung der „Reformen“ im Land, also um die Umsetzung der Memorandum-Politik. Worauf es ankommt, ist, dass alle Krisenlasten auf den Rücken der arbeitenden Klasse abgewälzt werden, das ist auch die Devise der Regierungen. In dieser Hinsicht ist Griechenland das Pilotprojekt für ganz Europa.

Die wirklichen Gründe für die Schuldenkrise liegen woanders. Ein Grund ist die Einführung des Euro selbst, da die ständige Überbewertung des Euro gegenüber dem Dollar die wirtschaftlich schwächeren Länder in Schwierigkeiten bringt. Ein anderer Grund ist die aggressive Exportpolitik Deutschlands nach 2000, die mit Agenda 2010 und Hartz 4 durchgesetzt wurde und die Leistungsbilanzen Griechenlands und der europäischen Peripherie in die Negativzone gedrückt hat. Der Hauptgrund für die Krise besteht aber in der Einnahmen- und Ausgabenpolitik der griechischen Regierungen vor und speziell auch nach 2008. Nach dem Zusammenbruch des Bankensystems von 2008 haben griechische Banken erst von der damaligen Nea-Dimokratia (ND)-Regierung 28 Mrd. Euro, dann 2010 von der PASOK-Regierung zweimal 25 Mrd. zugeschoben bekommen, insgesamt also 78 Mrd. Dieser Betrag ist von der Größenordnung her nicht so weit von den 109 Mrd. entfernt, die Griechenland in der ersten Runde der Troika-Kredite bekommen soll.

Zu den Ursachen der Verschuldung gehören auch die Rüstungsausgaben, für die Griechenland zwischen 1990 und 2008 75 Mrd. Euro aufgebracht hat. Der wirkliche Grund für die Schuldenkrise ist die Unterwürfigkeit der griechischen Regierungen, sowohl von PASOK als auch von ND, dem Groß- und Finanzkapital gegenüber. Die Besteuerung von Unternehmensgewinnen in Griechenland ist eine der niedrigsten in ganz Europa und wurde im Jahr 2000 von 40 auf 25% und letztes Jahr auf 20% gesenkt. Das Reedereien-Kapital wird praktisch überhaupt nicht besteuert, die Reichen und Superreichen haben Hunderte von Milliarden auf Konten in der Schweiz und anderswo angehäuft. Der märchenhafte Reichtum der orthodoxen Kirche, des größten Immobilienbesitzers des Landes, wird nicht angetastet.

Das bedeutet, dass eine kleine Minderheit ständig ihren unglaublichen Reichtum auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit, die zunehmend verarmt, vergrößert. Das ist die Politik der griechischen Regierungen und der Troika, die angeblich den Erfordernissen der EU und der Eurozone entspricht. Dabei wird zunehmend deutlich, dass diese Politik immer stärker unter deutsches Kommando gerät, und das einfach deshalb, weil das deutsche Kapital Europa immer stärker dominiert und die schwächeren Länder ins Hintertreffen geraten. Es ist aber schon jetzt ziemlich klar, dass das „deutsche Europa“ nicht funktionieren wird!

Zwei Zusatzbemerkungen      

Zu diesem Kapitel über die griechischen Schulden noch zwei Zusatzbemerkungen: Die erste bezieht sich auf die Parteienlandschaft in Deutschland. Es sind nicht nur die derzeitigen Regierungsparteien in Deutschland, die die Politik der Troika unterstützen, sondern auch die SPD und die Grünen aus dem Lager der Opposition, die vorbehaltlos dahinterstehen und nur kleine Varianten derselben Politik vorschlagen. Dazu möchte ich ein Zitat aus einem Interview vorlesen, das der grüne Spitzenpolitiker Özdemir am 21. Juli SPIEGEL-online gegeben hat. Özdemir sagt dort: „In Griechenland wurde die Mehrwertsteuer um 4 Prozentpunkte auf 23% erhöht, das staatliche Investitionsbudget 2010 um 20% reduziert, Gehaltskürzungen sind zwischen  20 und 40% erfolgt. Wir fordern zu Recht Privatisierung – aber die findet hier auf Ramschniveau statt. Papandreou und seine Leute gehen sehr entschlossen vor. Die Regierung setzt ihre Reformen nicht nur um, weil das Kanzleramt so stur war – das ist Quatsch. Nein, der griechischen Regierung ist es sehr ernst, weil die Reformen im Interesse der großen Mehrheit der Griechen sind. Damit sie künftig in einem Land leben, in dem die Korruption bekämpft wird und der Staat ein Dienstleister und kein Bremser ist. Aber klar ist auch: Den Gürtel so eng zu schnallen, wie es die Griechen aktuell tun, verlangt nach einer Perspektive.“ Soweit das Zitat.

Man könnte Herrn Özdemir fragen, mit welchem „Recht“ eine deutsche Regierung von Griechenland Privatisierung fordert. Nach gängigem Demokratieverständnis kann das nur das griechische Volk bzw. eine demokratisch legitimierte Regierung tun, die sich auf den Volkswillen stützt – und nicht eine wie die derzeitige PASOK-Regierung, die mit Lug und Trug, mit betrügerischen Wahlversprechen die Wahlen von 2009 gewonnen und schon damals nicht die Bevölkerungsmehrheit repräsentiert hat. Diese Regierung hat in absolut undemokratischer Weise die Diktatur der Gläubiger und das Memorandum installiert, regiert seitdem offen gegen den Willen der großen Bevölkerungsmehrheit und zieht ihre Politik des Ausverkaufs und der sozialen Demontage durch, womit in Griechenland die Erfolge und Errungenschaften der Kämpfe der Arbeiterbewegung eines Jahrhunderts zunichte gemacht werden. 

Die zweite Bemerkung betrifft Griechenland im europäischen Kontext. Die Memorandum-Politik ist nur die extreme Zuspitzung der einen und derselben Politik, wie sie überall in Europa und auch in Nordamerika praktiziert und in Zukunft noch brutaler durchgesetzt werden soll. In den USA sind von Obama 2,4 Billionen Dollar Kürzungen vor allem im Sozialbereich beschlossen worden, das „Wall Street Journal“ ist damit aber nicht zufrieden und fordert 4 Billionen Kürzungen. Italien, die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Eurozone, hat 1,9 Billionen Euro Schulden und die Regierung Berlusconi hat gerade 45 Mrd. Kürzungen für die nächsten beiden Jahre mit einem Abbau von 50.000 Stellen im öffentlichen Dienst  beschlossen. In Großbritannien sind Kürzungen in Höhe von 95 Mrd. Euro bis 2015 vorgesehen, die hauptsächlich zu Lasten des Sozialsektors, des Kindergelds, der Jugendförderung und der Wohnzuschüsse gehen. Das Ergebnis ist überall dasselbe und bedeutet in erster Linie: Jugend ohne Zukunft und ohne Perspektive – und dann gibt es sogenannte Unruhen, die –bewusst oder unbewusst- Aufstandsversuche der Jugendlichen und jungen Leute darstellen, die von den herrschenden Eliten und ihren Regierungen verraten und verkauft worden sind, wie man 2005 in den Außenbezirken von Paris, im Dezember 2008 in Athen und jetzt zuletzt in ganz England beobachten konnte. Auch dieser Trend wird sich in Zukunft fortsetzen und noch verschärfte Dimensionen annehmen.   

 

Zweiter Teil:

 Die Streiks, die Platzbesetzungen und der soziale Widerstand

A) Platzbesetzungen und Wandel des Massenbewusstseins

 In den letzten Monaten, von Mai bis Juli, hat der soziale Widerstand gegen die Memorandum-Politik durch die Bewegung der Platzbesetzungen und besonders des Syntagma-Platzes vor dem griechischen Parlament in Athen neuen Auftrieb auf Massenebene erfahren. Inspiriert ist diese Bewegung durch die Revolutionen Anfang dieses Jahres in Tunesien und Ägypten, dort durch die zentrale Bedeutung der Besetzung des Tahrir-Platzes. Im Mai begannen die Massendemonstrationen und Platzbesetzungen in Madrid und Barcelona, die dann direkt die Bewegung der Platzbesetzungen in Athen und ganz Griechenland  ausgelöst haben. Ende Mai haben sich an einem Sonntag mehr als 300.000 Protestierende auf dem Syntagma-Platz versammelt. Dadurch wurde klar, dass der soziale Widerstand eine neue Perspektive hatte und ganz neue Schichten und Bevölkerungsgruppen in die Aktionen hineingezogen wurden. Die Platzbesetzungen kamen zur rechten Zeit, denn im Herbst und Winter war das allgemeine Niveau des Widerstands, trotz vieler Streiks und auch einiger Generalstreiks, relativ niedrig und nicht geeignet, die Regierung und die Umsetzung ihrer Politik wirklich zu gefährden.

An der Bewegung beteiligen sich Empörte aus verschiedenen Gruppen, Arbeitslose, Benachteiligte, Opfer der Memorandum-Politik, Leute, die die verschiedensten Parteien gewählt haben, auch PASOK und ND. Diese Schicht von relativ wenig politisierten Menschen versammelte sich auf dem oberen Teil des Platzes direkt vor dem Parlament und auf dem unteren Teil des Platzes fand eine Dauerbesetzung statt, an der in erster Linie Angehörige linker Organisationen und Gruppen beteiligt waren, des linken Flügels von SYRIZA, von ANTARSYA, teilweise Autonome, aber auch viele unorganisierte jüngere Menschen und Studierende. Nicht beteiligt war von Anfang an die KP (KKE), die nach einiger Zeit den Platzbesetzungen gegenüber eine ziemlich feindselige Haltung eingenommen hat. Die KP verurteilt grundsätzlich alles, was nicht von der Parteiführung kontrolliert wird, und geht keine Aktionsbündnisse mit anderen Parteien und Organisationen ein, immer mit dem Argument, dass alle anderen letztlich auf der Seite der Regierung und der Herrschaft des Kapitals stehen und dass nur die KP selbst eine wirklich linke Kraft bildet.

Das Auftauchen der „neuen Bewegung“ ist Ausdruck eines tiefen Bewusstseinswandels der griechischen Gesellschaft auf Massenebene. Das hatte sich aber sogar in den Monaten der Flaute der Widerstandsbewegung angekündigt, und im November 2010 wurde dies bei den Ergebnissen der Kommunal- und Bezirkswahlen ganz deutlich. Diese Wahlen waren die ersten nach 2009 und damit der erste reale Test, wie die Bevölkerung zur Memorandum-Politik steht: Die Wahlenthaltungen und ungültigen Stimmen erreichten 50%, ein für Griechenland ungewöhnlich hoher Prozentsatz. PASOK erhielt 34,6% mit -9,4, ND 32,6% (-0,9), die KP 10,9% (+ 3,4), die rechtsextreme LAOS 4,1 (-1,5), SYRIZA 4,4% (-0,2), Ökologen rund 3% und überraschend ANTARSYA 1,9% (+ 1,5). Die linke Ablehnung kam auf insgesamt 25%, die drei Systemparteien, also PASOK, ND und LAOS zusammen auf knapp 70%, aber nur 35% der Wahlberechtigten, PASOK auf nur 17%. Damit war klar, dass die Memorandum-Politik auch im Sinn der parlamentarischen Demokratie keine Grundlage mehr hatte. Normalerweise hätte die Regierung schon damals zurücktreten müssen, denn Meinungsumfragen ergaben im November, dass nur 23 % für die Memorandum-Politik, aber 46% für Neuverhandlungen in der Schuldenfrage und schon 14% für den Stopp der Schuldenrückzahlungen waren. 

Bis zum vergangenen Monat ist dieser Anteil auf 38% angestiegen, d.h. 38% sprechen sich dafür aus, keine Schulden mehr abzubezahlen, auch wenn das bedeuten würde, dass Griechenland deswegen aus der Eurozone austreten und zur Drachme zurückkehren würde.  Bei den Kommunalwahlen im November zeigte sich auch, besonders im Zentrum von Athen, eine für die Krise sehr charakteristische Polarisierung der politischen Kräfte. Die Parteien, die seit 1974, dem Ende der Militärdiktatur, das System tragen, nämlich PASOK und ND, sacken ab und die Kräfte auf der extremen Linken, aber auch der extremen Rechten bekommen neue Chancen. ANTARSYA bekam in der Athener Innenstadt 2,9% und einen Stadtrat, aber auch eine faschistische Organisation von Neonazis und Messerstechern bekam mit über 5% der Stimmen einen Stadtrat. Diese Neonazi-Gruppe, Chrisi Avji, betreibt rassistische Propaganda und übt mit Unterstützung oder Duldung der Polizei und der offiziellen Parteien in Teilen der Athener Innenstadt eine Art von Terrorherrschaft aus.

B)  Streiks, Protestaktionen und Platzbesetzungen

Der Widerstand gegen die Memorandum-Politik wurde seit Beginn des Jahres 2010 hauptsächlich von der Gewerkschaftsbewegung getragen, die aber in drei Blöcke gespalten ist. Die Gewerkschaftsverbände GSEE (Privatunternehmen) und ADEDY (öffentlicher Dienst) sind stark bürokratisiert und haben PASOK-Führungen, die schon seit Jahrzehnten versuchen, die gewerkschaftlichen Kämpfe auf einem möglichst niedrigen Niveau zu halten. Der zweite Block ist der von PAME innerhalb der Gewerkschaftsverbände, der von der KP-Führung kontrolliert wird und oft wortradikal auftritt, aber sehr sektiererisch ist und die Bewegung dadurch insgesamt schwächt. Der dritte Block sind die Basis-Komitees, der dynamischste Teil der Gewerkschaftsbewegung, in dem vor allem Teile von SYRIZA und ANTARSYA vertreten sind.  Hauptsächlich diesem dritten Block ist es zu verdanken, dass es 2010 eine Reihe von Generalstreiks gab, die von der Bürokratie ausgerufen, aber von unten organisiert wurden. Am 5. Mai 2010 waren allein in Athen 200.000 Demonstrierende auf den Straßen, als im Parlament das Memorandum Nr. 1 abgesegnet wurde. Das war der Höhepunkt dieser Bewegung, aber an diesem Tag kamen durch einen Brandsatz in einer Athener Bank drei Angestellte ums Leben und der Widerstand wurde dadurch zurückgeworfen.

In der Folge gab es bis Mai dieses Jahres immer wieder sowohl Generalstreiks, in den letzten 20 Monaten insgesamt 12, als auch viele, teilweise lang andauernde Streiks in Branchen, die von der Memorandum-Politik besonders hart getroffen wurden, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, bei den Lehrern, den im öffentlichen Bereich tätigen Ärzten, dem Pflegepersonal, den Massenmedien und es gab viele andere Aktionen. Ab Herbst 2010 gibt es die Aktion „Ich zahle nicht“ in U-Bahn und Bussen gegen die Fahrpreiserhöhungen, an den Zahlstationen der Autobahnen, im Winter folgte eine Art Aufstand in Keratea, einer Kleinstadt südöstlich von Athen, gegen die Einrichtung einer Mülldeponie, wo die Bevölkerung wochenlang fast täglich mit MAT, den Sondereinheiten der Polizei, aufeinanderstieß und die Anlage der Mülldeponie schließlich verhindert werden konnte.

Im März und April gab es einen wochenlangen Hungerstreik von 300 nordafrikanischen Migranten, die sich in Athen zusammenfanden und die Legalisierung ihres Aufenthalts forderten. Dies war eine sehr heroische Aktion, die vom Großteil der Massenmedien und der Regierung verleumdet wurde und in der griechischen Bevölkerung keine starke Unterstützung hatte. Schließlich war die Regierung gezwungen, Zugeständnisse zu machen und die Forderungen der Hungerstreikenden wenigstens teilweise zu erfüllen. Diese Erfahrungen zeigten, dass auch unter den Bedingungen der neuen Diktatur und des Memorandums wenigstens Teilsiege möglich sind. Trotzdem war bis zum Mai dieses Jahres eine Situation entstanden, wo nicht mehr zu erwarten war, dass die –meistens isolierten- Streiks die Kraft hatten, die Regierung wirklich zu gefährden. Es ist notwendiger, aber auch schwieriger geworden zu streiken.

Im Mai trat dann die Bewegung der Platzbesetzungen auf. Diese neue Bewegung markiert einen, bislang vielleicht nur kleinen, aber wichtigen und notwendigen, qualitativen Sprung nach vorn. Die neue Bewegung ist absolut politisch und richtet sich direkt gegen Troika und Regierung, was durch die Besetzung des Syntagma-Platzes symbolisiert wird. Die Losungen, die vorgebracht werden, stellen nicht nur die Legitimität der Memorandum-Politik in Frage, sondern auch das politische System, die derzeitige bürgerlich-demokratische Demokratie, die Memoranden hervorbringt. Die neue Bewegung richtet sich also gegen die Grundfesten des ökonomischen und politischen Systems. Das kommt in den Beschlüssen der „Volksversammlung“, die im Juni und Juli fast jeden Abend stattgefunden hat, klar zum Ausdruck. Zum Beispiel heißt es im Beschluss vom 2. Juni: “Wir sind geeint,  weil es nicht zugelassen werden kann, dass ganze Völker geopfert werden, um die Gläubiger zu entschädigen – die Schulden sind nicht unsere und wir werden sie nicht bezahlen. Wir werden auf den Plätzen bleiben, bis alle, die für die derzeitige Sackgasse verantwortlich sind, verschwinden und nicht mit anderem Personal zurückkehren: IWF, Memoranden, Troika, Regierungen, Banken sowie alle unsere Ausbeuter. Wir werden unsere Demonstrationen geeint und geschlossen fortsetzen, bis ‚Unruhe in der Unterwelt ausbricht und der Boden unter dem ungeheuren Druck der Sonne zurückweicht‘“, wie es in AXION ESTI heißt, einem Gedicht von Elytis. „Direkte Demokratie jetzt!“

Diese Passagen sind charakteristisch für den Geist der neuen Bewegung – gegen Ausbeutung, für eine andere Form der Demokratie, die direkte Demokratie. Zu den Hauptslogans am oberen Teil des Platzes gehören: „Die Junta ist nicht 1973 zu Ende gegangen, aber wir werden sie hier auf diesem Platz begraben!“ und „Nehmt euer Memorandum und macht euch fort von hier!“ Und der generelle Hauptslogan ist: „Wir schulden nichts – Wir zahlen nicht – Wir verkaufen nicht!“ Der Slogan ist ein erster ideologischer Sieg des Widerstands, da die Forderung, die Schuldenrückzahlung insgesamt abzulehnen, im letzten Jahr nur von ANTARSYA und anderen Organisationen der antikapitalistisch-revolutionären Linken vertreten worden ist.  

Die neue Bewegung hat sich von Anfang an stark von allen existierenden Parteien und Organisationen, auch von den linken, abgegrenzt und auf absoluter Unabhängigkeit bestanden. Auch mit den Gewerkschaften wollte die neue Bewegung anfangs nichts zu tun haben. Das hat sich schon im Juni geändert, als die Volksversammlung des Syntagma-Platzes GSEE, ADEDY und die Einzelgewerkschaften aufrief, zu streiken und die Belagerung und Abriegelung des Parlaments zu unterstützen.

C) Die Juni-Auseinandersetzungen und weitere Perspektiven

 Im Juni fand dann die große Auseinandersetzung auf dem Syntagma-Platz rund um das Parlament darüber statt, ob das Mittelfristige Programm der Regierung durchs Parlament gebracht werden konnte. Die neue Bewegung hatte für den 15. Juni als Generalprobe und für den 28. und 29. Juni, dem Tag der Abstimmung im Parlament, zu einer Belagerung des Parlaments aufgerufen. Aufgrund des starken Polizei-Aufgebots konnte die Blockierung der Zufahrtswege zum Parlament nicht realisiert werden und schließlich wurde das Mittelfristige Programm von der verbliebenen PASOK-Mehrheit im Parlament befürwortet. Am 15. Juni schwankte die Regierung, Papandreou war, offenbar unter dem Eindruck der Massenproteste, für einige Stunden zurückgetreten. Am Abend entschloss er sich aber, mit einer Umbildung des Kabinetts weiterzumachen.

Das Vorgehen der Polizei war an diesen drei Tagen extrem brutal, es gab viele Festnahmen, die immer vollkommen willkürlich sind, exzessive Knüppeleinsätze auch gegen Unbeteiligte und Wehrlose und vor allem den Chemiekrieg mit CS-Rauchpatronen gegen die Demonstrierenden. Die Polizeihorden wurden in beispielloser Form auf die Leute losgelassen und die Regierung zeigte damit ihr wahres Gesicht. Die Bewegung wurde allerdings vorläufig besiegt, da sie ihr Ziel, die Abstimmung des Mittelfristigen Programms im Parlament zu verhindern, nicht erreichen konnte. Die Beteiligung an den zweitägigen Generalstreik vom 28. und 29. Juni und an den Aktionen rund um das Parlament war nicht so massenhaft, wie es für einen Sieg, also den Rücktritt der Regierung, notwendig gewesen wäre. Griechenland hat sich zwar in den letzten 18 Monaten in ein soziales Pulverfass verwandelt, aber der Juni hat noch nicht den Aufstand gebracht, der notwendig ist, um die betriebene Politik zu Fall zu bringen.

Aber der Kampf geht weiter. Die Regierung steht vor enormen Problemen, ihre Wirtschaftspolitik ist aussichtslos, das Schuldenproblem ist nicht in den Griff zu bekommen.

 Die gesellschaftliche Basis von PASOK, besonders auch in den Gewerkschaften, zerbröckelt immer mehr und löst sich schrittweise auf. Die nächsten Wahlen werden PASOK ein Waterloo bringen. Die Wut großer Teile der Bevölkerung auf die PASOK-Regierung –aber auch auf alle anderen bürgerlichen Politiker- ist fast grenzenlos und die Politiker können sich in der Öffentlichkeit nicht mehr blicken lassen, ohne Gefahr zu laufen, verprügelt zu werden. PASOK und das ganze bisherige bürgerliche System der Machtausübung befinden sich auf dem absteigenden Ast.

Die Bewegung der Platzbesetzungen wird ab dem 3. September weitergehen. Generell kann man sagen, dass die Bewegung eine Verbreiterung und eine Vertiefung braucht. Sie muss sich in die Stadtteile der Großstädte und im ganzen Land verbreiten, um wirklich nahe an der Basis zu sein und diese mit in die Kämpfe hineinzuziehen. Besonders kritisch sind aber auch die Betriebe, die öffentlichen Unternehmen, die jetzt privatisiert und ausverkauft werden sollen, die Schulen, Universitäten und öffentlichen Krankenhäuser, die kaputt gespart werden sollen. Die Bewegung braucht also eine Neuformierung, die Wiedergeburt der Arbeiterbewegung und der Studentenbewegung.

 In allen diesen Bereichen ist es nötig, dass sich der Widerstand vertieft, wenn der Kampf gegen die soziale Demontage und die Ausplünderung Griechenlands erfolgreich sein und die Perspektive der antikapitalistischen und sozialistischen Umwälzung der Gesellschaft eröffnen will. Dafür braucht Griechenland auch die Herausbildung einer neuen, antikapitalistisch-revolutionären Linken jenseits der im Parlament vertretenen reformistischen Parteien SYN/SYRIZA und KPG. Der Hauptansatz für eine solche Linke ist ANTARSYA, zu der auch meine Organisation, OKDE-Spartakos / 4. Internationale gehört.

Der soziale Widerstand in Griechenland ist Teil einer Bewegung, die sich schrittweise in den arabischen Ländern, in ganz Europa und weltweit ausbreitet und sich dagegen wehrt, dass die Folgen der globalen kapitalistischen Krise auf die Arbeitenden, die Jugend, die Frauen, die Ausgebeuteten und Unterdrückten abgewälzt werden. Dieser Widerstand wird in Zukunft überall in Europa sicher weiter zunehmen.

Alle fortschrittlichen Menschen in Deutschland und Europa, alle, für die Freiheit, Gleichheit und die sozialen Rechte noch Bedeutung haben, für die die Wahrung und Herstellung einer menschenwürdigen Existenz für alle Menschen in Europa und letztlich weltweit eine notwendige Zielsetzung darstellen, die Gewerkschaften und ihre Grundeinheiten, die Parteien und Organisationen, die sich nicht mit der schrankenlosen Herrschaft einer verantwortungslosen Finanzoligarchie, der Großbourgeoisie und ihrer Regierungen abfinden wollen, sollten sich dafür einsetzen, den Kampf der griechischen Bevölkerung, der Organisationen der Arbeitenden und die Bewegung der Platzbesetzungen solidarisch zu unterstützen.

Der Kampf in Griechenland ist ein Kampf für die sozialen Rechte, Gerechtigkeit und wahre Demokratie in ganz Europa, also auch in Deutschland.                                                                

(Andreas Kloke, Athen, 7.9.2011)

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